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Strammer Stehaufmann

Ob General a.D. Prabowo neuer Staatspräsident Indonesiens wird, ist ungewiß. Gewiß ist, als Restposten des Suharto-Regimes trägt er zur Entsorgung der Vergangenheit bei

Von Rainer Werning *

Dem Zeitgeist verhaftet und die Gunst des Augenblicks nutzend, präsentierte sich der 62jährige Präsidentschaftskandidat, Exgeneral und Exschwiegersohn Suhartos populistisch: »Ich werde dafür Sorge tragen«, erklärte Prabowo Subianto vor wenigen Tagen auf einer Wahlveranstaltung in Madura (Ostjava), »daß unsere Fußballnationalmannschaft künftig an Weltmeisterschaften teilnimmt. Und ich möchte, daß sich Indonesien auch als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft bewirbt«. Da muß Prabowo zwar mindestens bis 2026 warten. Aber der Stimmung tat das keinen Abbruch; man feierte den Mann und sein Versprechen bereits im Hier und Jetzt.

Überdies hat der Exgeneral im Tandem mit seinem Vizekandidaten Hatta Rajasa folgende Punkte im Falle ihres Wahlsieges hoch auf die Agenda gesetzt: Erweiterung der Anbauflächen von Reis, Nutzung moderner Düngemittel, Ausbau der Gas- und Ölproduktion, Umweltschutz, stabile Preise bei Grundnahrungsmitteln, Kampf gegen Kleptokratie und scharfes Vorgehen gegen illegalen Holzeinschlag. Bei dem Zweiergespann Joko Widodo – im Volksmund kurz »Jokowi« genannt – und Jusuf Kalla, das vor Wochen in der Wählergunst laut Umfragen die Nase weit vorn hatte, aber mittlerweile reichlich Federn lassen mußte, hört sich das so an: Zuverlässige Ermittlung von Marktchancen (zum Beispiel beim Verkauf von Papayas), Ausbau des Ener­giesektors und Entwicklung einer entsprechenden Infrastruktur, Zurückfahren von Nahrungsmittelimporten, Balance zwischen Entwicklung und Umweltverträglichkeit. Statt Fußball versprach Jokowi, u.a. die Tofuproduzenten zu schützen und sich landesweit für stabile Preise einzusetzen. So austauschbar die Programme sind, so ereignislos verliefen die insgesamt fünf im Fernsehen übertragenen Debatten, in denen jeweils die eine Seite der anderen vorwarf, lediglich Bombastisches zu versprechen, statt ernsthaft avisierte Vorhaben zu implementieren (siehe Spalte).

Bereits als 32jähriger war Prabowo Subianto, aufgewachsen in einer gut situierten Familie und mit kosmopolitischen Erfahrungen, Hauptmann in den Kopassandha, den Kommandospezialkräften des Heeres, die später in Kopassus umbenannt und zur Elitetruppe der »Aufstandsbekämpfung« wurden. Ebenfalls im Jahre 1983 heiratete Prabowo mit Siti Hediati Harijadi (Titiek) eine Tochter des Präsidenten, die nach ihrer Trennung 2001 heute eine Reunion erwägen. Diese Liaison verschaffte ihm Privilegien und gestattete es ihm, sich unter stets neidvollen Blicken seiner Kameraden Dinge herauszunehmen, die eher höheren Rängen vorbehalten waren.

Prabowos militärische Karriere führte ihn unter anderem in die USA nach Fort Bragg und Fort Benning sowie im Jahre 1981 für mehrere Monate zur ­GSG9 nach Hangelar bei Bonn. Was er dort an zusätzlichem Drill und Schliff erfuhr, konnte er seit 1982 gemeinsam mit Major Luhut Pandjaitan im Rahmen der neuen Antiterrorsondereinheit »Detachment 81« in die Tat umsetzen. Mehr noch als Prabowos Rolle bei der Entführung studentischer Aktvisten in der Spätphase der Amtszeit seines Schwiegervaters geriet sein staatsterroristisches Draufgängertum im völkerrechtswidrig annektierten Osttimor ins Fadenkreuz heftiger Kritik. Dort eskalierten seit August 1983 die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der widerständigen Fretilin und indonesischen Militäreinheiten. Speerspitze des gnadenlosen Feldzugs gegen die Guerilla und die Zivilbevölkerung bildete zweifellos die Kopassus. Diese sorgte auch für die Formierung proindonesischer Milizen, die Ende der 1990er ihrerseits schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen.

Mit dem Abgang von Suharto 1998 sank auch der Stern Prabowos. Noch im selben Jahr mußte er wegen Befehlsverweigerung und eigenmächtigen Handelns demissionieren. Zeitweilig lebte er bei Verwandten und Freunden in Jordanien, um danach zielstrebig sein politisches Comeback vorzubereiten.

* Aus: junge Welt Mittwoch, 9. Juli 2014


Deutsch-indonesische Schatten

Von Rainer Werning **

Suharto ereilte nicht das gleiche Schicksal wie Marcos in den benachbarten Philippinen, erklärte der indonesische Schriftsteller Agus R. Sarjono vor geraumer Zeit im Gespräch mit dem Autor. Und er fuhr fort: »Suharto mußte viel­mehr langsam abtreten. Schmerzlich genug; er war nicht nur der Präsident Indonesiens. Suharto betrachtete sich überdies als javanischer König.« Nicht von einer wü­tenden Menge wurde dieser »König« aus seinem Palast gejagt wie im Frühjahr 1986 der philippinische Präsident Ferdinand E. Marcos, nein, »Bapak«, der Landesvater, trat am 21. Mai 1998 lächelnd zurück – genauer: beisei­te. Unspektakulär übertrug er die Amtsgeschäfte seinem Stell­vertreter und langjährigen Vertrauten, Bacharuddin Jusuf Habibie. Ein für Diktatoren eleganter Abgang.

1965 war das Schicksalsjahr für Suharto: Die US-amerikanische Re­gie­rung schätzte die politische Situation in Indonesien als überaus kritisch ein. Präsident Lyndon B. Johnson befürchtete, nach Vietnam drohe In­do­nesien als nächster »Dominostein« zu kippen und »kommunistisch« zu werden. Der Staatsgründer Achmed Sukarno, Indone­siens erster Präsident und erklärter Antiimperialist, sollte kaltgestellt werden, weil er unter anderem engere Kontakte zur Volks­republik China suchte. Im Westen sorgte das zusätzlich für Verdruß, denn Sukarno hatte bereits ausländischen Besitz verstaatlicht und westliche Investoren verprellt.

Vor allem die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) war Suharto – und ausländischen Militärs – ein Dorn im Auge. Etwa drei Millionen Mitglie­der zählte die PKI nach eigenen Angaben Mitte der 1960er Jahre. Sie war damit nach der Kommunistischen Partei Chinas und der KPdSU die weltweit drittstärkste kommunistische Partei. Unter dem Vorwand, eine Machtübernahme der PKI zu vereiteln, inszenierten Suharto und ihm treu ergebene Kumpane im Militär Anfang Oktober 1965 einen Putsch auf Raten. Innenpolitisch krempelte der General die Gesellschaft um. Schön­fär­berisch sprach er von der »Neuen Ordnung« und dem Militär wies er eine Doppelfunktion zu: Es sollte nicht nur für die Landesverteidigung, sondern auch für die soziale Befriedung im Innern zuständig sein. Außenpolitisch stützte Suharto fortan bedingungslos die westlich orientierte Staatengemeinschaft – von Australien über Großbritannien und den USA bis zur Bundesrepublik Deutschland.

Zunächst ging es um das große »Reinemachen«. Oberstes Ziel: die Zerschlagung der PKI und sämtlicher mit ihr sympathisierender Organisationen. In der US-Botschaft in Jakarta liefen die Fäden der »Counterinsurgency« (Aufstandsbekämpfung) zusammen. Robert Martens, ein ehemaliger Mitarbeiter in der politischen Ab­tei­lung der US-Vertretung, rechtfertigte die Eliminierung später so: »Wir haben eine Menge Leute getötet, womöglich klebt auch an mei­nen Händen Blut. Doch so schlecht war all das nicht; es gibt Zeiten, wo man im entscheidenden Augenblick hart zuschla­gen muß.« Das indonesische Militär schlug hart und unerbittlich zu. Mindestens eine halbe Million Menschen – einige Quellen spre­chen gar von weit über einer Million – fiel dem bis dahin größten Gemetzel nach dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Einer Geröllawine gleich riß Suhartos »Neue Ordnung« nach der PKI alles in den Abgrund, was noch Kritik wagte.

Beeindruckt von der neuen »Freiheit und Demokratie« in Jakarta zeigte man sich auch in der alten Bundesrepublik. Reinhard Gehlen, erster Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) und während des Zwei­ten Weltkriegs in Hitlers Generalstab für die militärische Ostaufklärung zuständig, lobte Suhartos präventive Konterrevolution im Geiste des Kalten Krieges. Die Geheimdienstkontakte zwischen beiden Ländern gestalteten sich so freundschaftlich, daß der BND sogar eine »legale Residentur« in der BRD-Botschaft in Jakarta einrichten konnte. Ihr Zweck: eine enge Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst der Suhar­to-Diktatur.

Über eineinhalb Jahrzehnte nach dem politischen Abgang Suhartos sind die Architekten und Mitstreiter von einst noch oder längst wieder auf freiem Fuß. Der 86jährige Despot selbst verbrachte noch eine Dekade wohl gehütet unter einem Baldachin der Immunität, bis er infolge mehrfachen Organversagens am 27. Januar 2008 für immer seine Augen schloß. Seitdem sind ihm zu Ehren Denkmäler gesetzt und Debatten darüber angestoßen worden, ob er als Nationalheld einzustufen sei. Das Kalkül der hartgesottenen Suharto-Aficionados scheint aufzugehen: Sind erst einmal die Opfer vergessen – besser: vergessen gemacht wor­den –, verschwindet mit ihnen auch das Sinnen über Alternativen zum Opfer fordernden Ver­lauf der Geschichte.

** Aus: junge Welt Mittwoch, 9. Juli 2014


Wahlk(r)ampf

Drei Monate nach den Parlamentswahlen am 9. April stimmen am heutigen Mittwoch annähernd 190 Millionen wahlberechtigte Indonesier darüber ab, ob Joko Widodo (53), seit 2012 Gouverneur von Jakarta, oder sein Herausforderer, der frühere General Prabowo Subianto, neuer Präsident des südostasiatischen Inselstaates wird. Während ersterer in den Medien als volksnaher, schmächtiger Schreinersohn und ehrbarer Bürger gezeichnet wird, gilt Prabowo als selbstbewußter Macher, der das Land zwar zu neuem Glanze führen möchte, der aber auch Teil dessen dunkler Vergangenheit ist.

Die Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P), für die Joko Widodo antritt, wurde im April zwar mit 19 Prozent stärkste Partei. Doch allgemein hatte man einen deutlicheren Erfolg prognostiziert. Auf dem zweiten Platz folgte die frühere Partei des damaligen Machthabers Suharto, Golkar, mit mehr als 14 Prozent. Gefolgt von Gerindra, der Partei Prabowos, mit zwölf Prozent. Eindeutiger Wahlverlierer war die Demokratische Partei des noch amtierenden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono – auch er wie Prabowo ein Exgeneral, der nach zwei Amtsperioden (seit 2004) nicht wiedergewählt werden kann.

Der Wahlkampf war schrill, inhaltsleer und in der Endphase mit persönlichen Diffamierungen ebenso gespickt wie mit Trivialem und Provokantem. Teile des Showbiz fanden es »geil«, sich auf Wahlveranstaltungen zu zeigen. Die Wiedereröffnung des »Soldatencafés« in der Stadt Bandung erregte Gemüter wie das Outfit des Sängers Ahmad Dhani. Dieser genoß Auftritte in schwarzer Uniformjacke, die an die von SS-Führer Heinrich Himmler erinnern sollte, und fand es »cool«, Symbole des Naziregimes öffentlich zur Schau zu stellen.

Mit Unterstützung seines betuchten Bruders und reichlich Cash aus dem mehr alten als neuen Establishment brachte Prabowo die erst Anfang 2008 gegründete Partei Gerindra (Bewegung Großindonesien) auf Trab und nutzte die landesweit schlagkräftig ausgerichtete Organisation zur Selbstbeweihräucherung. Religiöse Parteien, die bei der Parlamentswahl insgesamt mäßig abschnitten, stehen ebenso hinter ihm wie der scheidende Präsident. (rw)

(jW, 09.07.2014)




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