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Demokratieabbau auf indonesisch

Die drittgrößte Demokratie der Welt bereitet sich auf die neue Legislaturperiode vor – mit umstrittenen Gesetzen*

Von Alex Flor *

Zwei Gesetze wurden in Indonesien erlassen, die die Demokratie beschränken. Kurzfristige Machtinteressen sind dabei der Antrieb.

Anfang Oktober traf sich das im April 2014 neu gewählte indonesische Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung. Unter Leitung der Alterspräsidentin Popong Otje Djundjunan (Partei Golkar) ging es dabei hoch her, obwohl es im Grunde nur um protokollarische Fragen ging. Einige Abgeordnete waren jedoch der Meinung, dass vor der anschließenden Abstimmung über die neue Parlamentspräsidentin erst eine Diskussion über die Änderung der Geschäftsordnung stattfinden müsse. Sie überzogen die Sitzungsleitung mit Zwischenrufen und forderten eine Vertagung der Sitzung. In einer zunehmend turbulenten Sitzung kam der völlig überforderten Alterspräsidentin sogar ihr Sitzungshammer abhanden, so dass ihr sprichwörtlich gezeigt werden musste, »wo der Hammer hängt«.

Doch wichtiger sind andere Vorgänge: Ende September verabschiedete sich das alte indonesische Parlament mit einem Paukenschlag von der Bildfläche, der die Demokratie des Landes um mindestens zehn Jahre zurückwirft. Eine Mehrheit der »rot-weißen« Koalition, die im Präsidentschaftswahlkampf den unterlegenen Kandidaten Prabowo Subianto unterstützt hatte, erließ ein Gesetz, das die Direktwahl von Regierungschefs auf lokaler Ebene abschafft. Erst vor zehn Jahren war es möglich geworden, das Bürgermeister und Gouverneure direkt vom Volk gewählt werden. Auch der damalige Kandidat der Demokratischen Partei, Susilo Bambang Yudhoyono, wurde aufgrund ähnlicher gesetzlicher Vorgaben als erster Präsident Indonesiens direkt vom Volk gewählt und fünf Jahre später mit großer Mehrheit im Amt bestätigt.

In Jakarta wird dieser Tage lautstark darüber diskutiert, ob die »rot-weiße« Koalition auch die Direktwahl der Staatspräsidenten wieder abzuschaffen gedenkt. Als Argument wird – wenig glaubhaft – die damit verbundene Kostenersparnis angeführt. Dabei gibt es durchaus diskutable Gründe. Gerade die gegenwärtige Situation auf nationaler Ebene zeigt deutlich, wie die Regierungsfähigkeit darunter leidet, wenn der direkt gewählte Präsident nicht über entsprechende Mehrheiten im Parlament verfügt. Solche grundsätzlichen Überlegungen hätten aber wohl eher gestört, da sie drohten, auf das Parlament zurückzufallen. Es zählte alleine der schnelle taktische Erfolg über den neugewählten Präsidenten Joko Widodo.

Für das indonesische Wahlvolk war es nach vielen Jahrzehnten autokratischer Herrschaft wichtig, dass es selbst entscheiden kann, wer an der Spitze der Regierungen aller Verwaltungsebenen steht. Trotz Mängel war die Direktwahl somit geeignet, ein demokratisches Bewusstsein im Volk zu verankern: »Wir können mitbestimmen!« In einigen Fällen gelang es tatsächlich, populäre Kandidaten zur Bürgermeistern, zur Gouverneuren oder zuletzt gar zum Präsidenten zu wählen. Doch jetzt hat das indonesische Parlament dem demokratischen Bewusstsein des Volkes eine Absage erteilt.

Noch-Präsident Yudhoyono war gegen diese Bestrebungen – zumindest rhetorisch. Er konnte aber nicht verhindern, dass sich die Fraktion seiner Demokratischen Partei im Parlament der Abstimmung entzog und somit der »rot-weißen« Koalition eine klare Mehrheit sicherte. Mittlerweile hat er einen Präsidentenerlass verabschiedet, durch den das neue Gesetz wieder kassiert werden soll. Doch das dient eher der politischen Kosmetik, denn der Erlass muss vom Parlament abgesegnet werden und hat somit wenig Aussicht auf Erfolg.

Bereits kurz zuvor hatten die »Rot-Weißen« ihre Muskeln spielen lassen. Sie verabschiedeten ein Gesetz, das bisher geltende Regeln auf den Kopf stellt. Bis dato wurde der Parlamentspräsident von der stärksten Fraktion gestellt. Künftig soll er oder sie von den Abgeordneten gewählt werden. Auch das ein klarer Affront gegen die Wahlsiegerin von der Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P), der auch der neue Präsident Joko Widodo angehört. Die PDI-P verfügt zwar absolut über die meisten Sitze, kann aber derzeit keine parlamentarische Mehrheit hinter sich vereinen. Politische Beobachter kritisieren insbesondere, dass die »rot-weiße« Koalition dieses Gesetz erst zu einem Zeitpunkt zur Abstimmung stellte, als die Mehrheitsverhältnisse der kommenden Legislaturperiode längst fest standen. Es wird somit deutlich, dass auch bei dieser Entscheidung nicht grundsätzliche Überlegungen, sondern kurzfristige Machtinteressen die Antriebsfeder waren. Vergleichbare Regeländerungen wurden auch für die Besetzung der Parlamentsausschüsse getroffen.

Das Parlament stellte durch die kurzfristige Verabschiedung der beiden höchst umstrittenen Gesetze unter Beweis, dass es im Zweifelsfall zum schnellen Handeln bereit und fähig ist. Der alte Parlamentspräsident Marzuki Alie (Demokratische Partei) kritisierte indes, dass in der vergangenen Legislaturperiode insgesamt 126 Gesetze verabschiedet worden seien und noch 129 anhängig seien.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Oktober 2014


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