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Verblassender Charme

Indonesien: In einem Monat tritt Joko Widodo sein Amt als Staatspräsident an

Von Rainer Werning *

Der Exbürgermeister Surakartas und Gouverneur von Jakarta, Joko Widodo (kurz »Jokowi« genannt), sah Wochen vor der indonesischen Präsidentschaftswahl am 9. Juli bereits wie der strahlende Sieger aus. Doch auf der Zielgeraden mußte er kräftig Federn lassen und fuhr mit 53,15 Prozent der Stimmen nur einen knappen Wahlsieg ein. Auf seinen Herausforderer und Vertreter des ancien régime, Exgeneral Prabowo Subianto, entfielen 46,85 Prozent der Stimmen. Prabowo tat, was er im Falle einer Niederlage vor der Wahl angekündigt hatte. Er zog vor das Verfassungsgericht. Dieses folgte allerdings nicht seinem Hauptvorwurf, die Wahlen seien systematisch manipuliert worden.

Eine Schlappe für den einstigen Schwiegersohn des langjährigen Despoten Suharto, der im Zuge heftiger innenpolitischer Turbulenzen im Mai 1998 freiwillig seinen Sessel im Präsidentenpalast räumte und zurücktrat. Anstatt wenigstens die Contenance zu wahren und dem Sieger einen Glückwunsch auszusprechen und die Hand zu reichen, zog sich Prabowo schmollend zurück, um hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen. Dabei hat er gute Karten; im Parlament verfügt die von ihm geführte Gerindra-Partei zusammen mit der einstigen Suharto-Partei Golkar, der Partei des scheidenden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono sowie drei kleineren islamischen Gruppierungen als Oppositionsblock mit insgesamt 347 von 560 Sitzen über eine komfortable Mehrheit.

Jokowis Vier-Parteien-Koalition schließt neben der Demokratischen Partei des Kampfes (PDI-P) unter anderem die ebenfalls von einem Exgeneral, dem früheren Verteidigungsminister und Oberkommandierenden der Streitkräfte, Wiranto, gegründete Hanura-Partei ein. Da diese Koalition nur über etwa 40 Prozent der Parlamentssitze verfügt, ist sie auf Überläufer aus dem Prabowo-Lager angewiesen. Überdies drängen Leute aus Jokowis eigenem Camp unter der dominanten Lady Megawati Sukarnoputri darauf, angemessen mit Posten und Pfründen bedacht zu werden. So ist denn heftiges Stühlerücken in Jakarta in vollem Gange. Vieles deutet darauf hin, daß dem Wahlsieger dasselbe Schicksal droht wie einst der »Demokratie-Ikone« Corazon C. Aquino im Nachbarland Philippinen. Nämlich mit Rücksicht auf zu viele widerstreitende intra- und interparteiliche Interessen zerrieben zu werden.

Vollmundig hatte Jokowi im Wahlkampf eine »mentale Revolution« beschworen und mit dem Versprechen, Untersuchungen vergangener Verbrechen wieder aufzunehmen, zahlreiche Stimmen geködert. Doch wie sein Vorgänger besetzt er sein 34köpfiges Kabinett mit 16 Parteileuten und 18 Technokraten, und die Wiederaufnahme von Verfahren früherer Menschenrechtsverletzungen ist vom Tisch. So wird u.a. wohl nie geklärt werden, wer die Ermordung des bekannten Menschenrechtlers Munir Said Thalib angeordnet hatte. Munir war im September 2004 auf dem Weg nach Amsterdam bei einem Zwischenstopp in Singapur mit Arsen vergiftet worden. Der Kapitän der Fluglinie Garuda Indonesia wurde zu einer 14jährigen Haftstrafe verdonnert. Doch als eigentliche Drahtzieher hinter dem Anschlag gelten Muchdi Purwoprandjono und A.M. Hendropriyono, zwei Exgeneräle und einstige Topleute der National Intelligence Agency (BIN). Letzterer fungiert heute als Berater des Übergangsteams von Jokowi.

Selbst der designierte Vizepräsident Jusuf Kalla ist eher ein Gewährsmann für alte als für neue Politik. Das verbindet ihn mit Wiranto im eigenen und Prabowo im gegnerischen politischen Camp. In dem aufwühlenden Film »The Act of Killing« (2012) von Joshua Oppenheimer taucht Kalla als gefeierter Redner anläßlich einer Großveranstaltung der Pemuda Pancasila auf. Vor den Mitgliedern dieser stramm antikommunistischen paramilitärischen Jugendorganisation erklärte er unter tosendem Beifall: »Das Wort Gangster, ›preman‹ in Bahasa Indonesia, kommt von ›free men‹. Diese Nation braucht ›freie Männer‹. Würde jeder für die Regierung arbeiten, wären wir eine Nation von Bürokraten. Nichts geschähe. Wir brauchen Gangster, um Dinge zu bewegen und voranzubringen.«

* Aus: junge Welt, Dienstag 23. September 2014


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