Westpapua: Das Eldorado der indonesischen Sicherheitskräfte
Ein Augenzeugenbericht von John Rumbiak (Jayapura, Westpapua)
Unter dem Titel "Und die internationale Gemeinschaft schweigt zu dem Elend" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 12. Dezember 2001 zwei Referate, die bei einem Solidaritätstreffen im bayerischen Neuendettelsau wenige Tage zuvor gehalten wurden. Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag von John Rumbiak, Mitarbeiter von ELSHAM, einer Menschenrechtsorganisation in Jayapura, der Provinzhauptstadt Westpapuas. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Hans Martin Thimme vom Westpapua-Netzwerk. Das zweite Referat haben wir ebenfalls in Auszügen dokumentiert: Referat von Carmel Budiardjo.
... Wenn man die vielen Dokumentationen über die Menschenrechtsverletzungen
in Aceh, in den Molukken und in Osttimor, die wir analysiert haben, miteinander
vergleicht, dann kommt man auf vier grundlegende Themen, die auch die immer
noch andauernden Menschenrechtsverletzungen in Westpapua bestimmen.
Der Konflikt um das Recht auf Selbstbestimmung
Das erste ist der Konflikt zwischen dem Volk von Papua und dem Staat Indonesien
über das Recht auf Selbstbestimmung. Das ist die eigentliche Quelle, die bis heute
alle Konflikte in Westpapua nährt. Die Papuas sind der Meinung, ihr Recht auf
Selbstbestimmung sei verletzt worden. Aber die internationale Gemeinschaft, die
Indonesien unterstützt, behauptet, die Frage der Selbstbestimmung der Papuas sei
Vergangenheit. Das fördert ein Klima des Konflikts, das seit den Anfängen in den
60er Jahren bis heute herrscht.
Die Kultur des Militarismus
Das zweite Thema ist die Kultur des Militarismus und der Straffreiheit. Wenn man
über die Lage der Menschenrechte in Westpapua spricht, muss man über zweierlei
Arten von Rechten sprechen, die bürgerlichen und die politischen Rechte. In
Westpapua wurde viele, viele Jahre lang bis heute eine Politik des Militarismus
verfolgt. Das hat Auswirkungen für die Menschenrechte im bürgerlichen Bereich,
aber auch im Bereich des Sozialen und der Wirtschaft. Der Militarismus war und
ist ein Grundproblem, denn der Widerstand der Papuas dagegen wird als subversiv,
als gegen das indonesische Gesetz gerichtet gebrandmarkt. Darum fördern die
indonesischen Sicherheitskräfte den Militarismus und erklären bestimmte Gebiete
Westpapuas, wo die Widerstandsbewegung lebendig ist, zu militärischen Zonen. In
diesen Gebieten wird systematisch Krieg gegen die Papuas geführt. Amnesty
International schätzt, dass seit 1963 etwa 100.000 Papuas getötet wurden. Meine
Organisation denkt, die Zahl sei größer als 100.000. ...
Etwas zum Thema Straffreiheit und Militarismus: Ideologisch gesehen betrachten
die Sicherheitskräfte Indonesiens Westpapua als "Übungsfelder für das Töten"
(killing grounds). Das hat auch ein früherer General des indonesischen
Geheimdienstes, General Makari in einem Interview der Far Eastern Economic
Review im Jahr 1999 so ausgedrückt. Was man damit meint ist, dass Westpapua
als ein Ort gesehen wird, wo die Sicherheitskräfte ihre militärischen Theorien üben
und umsetzen. Wir können das anhand geschehener Menschenrechtsverletzungen
beweisen. Dabei gehen sie folgendermaßen vor: Zunächst wird ein bestimmtes
Gebiet zur militärischen Zone erklärt. Damit ist es automatisch für jede
Beobachtung von außen geschlossen. Dann werden die Dörfer in diesem Gebiet
bombardiert. Danach springen Fallschirmjäger ab, die die Dörfer niederbrennen und
jeden, den sie sehen, töten. Nachdem das Militär sah, dass man mit dieser
Strategie und Methode in Westpapua durchkommen kann, gingen sie nach
Osttimor und Aceh und wendeten sie auch dort an. ...
...
Ich nenne Westpapua das Eldorado der Sicherheitskräfte. Sie sichern nicht nur die
wirtschaftlichen Aktivitäten in Westpapua ab, sie sind auch selbst an den
Unternehmen beteiligt und betreiben darüber hinaus ihre eigenen Geschäfte. Das
wird im Fall von Freeport ganz deutlich. Im Vertrag zwischen diesem Unternehmen
und der Regierung wurde festgelegt, dass die Sicherheitskräfte die Aufgabe haben,
den Schutz des Unternehmens zu sichern. Das hat ungeheure Auswirkungen. Oft
führt das zum Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung.
So genannte wirtschaftliche Entwicklung
Ein drittes Thema ist, was ich so genannte Entwicklungsmaßnahmen nenne:
Transmigration, Bergbau, Holzgewinnung und andere Entwicklungsvorhaben in
Westpapua. Die staatlichen Gesetze erkennen die Rechte der Urbevölkerung nicht
an. Wenn also über das Recht auf Entwicklung geredet wird, muss man klar
sehen: Für die Papuas gibt es keine Entwicklung. Diese Art von so genannten
Entwicklungsmaßnahmen kann von den Papuas nur als eine neue Weise des
Kolonialismus verstanden werden. Sie werden systematisch unterdrückt. Sie
stehen einem Militarismus von Seiten der Indonesier gegenüber, der bürgerliche
und politische Rechte missachtet und der sich auch noch von internationalen
Geberorganisationen finanzieren lässt - von der Weltbank, der Asiatischen
Entwicklungsbank und auch von Regierungen. Es gibt aber kein einziges Gesetz,
das die Rechte der Urbevölkerung anerkennt. Diese neue Art von
Entwicklungsvorhaben drängt die Papuas an den Rand. Tausende, ja Millionen
Hektar Land werden ihnen weggenommen, ihre Umwelt wird systematisch zerstört.
Das ist wirklich ein großes Problem für die Papuas, denn ihre Umwelt ist die
Heimat ihrer Kultur. Wenn sie zerstört wird, wird das ganze Lebenssystem der
Papuas zerstört.
Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft
Das vierte Thema ist, was ich das Schweigen der internationalen Gemeinschaft
nenne. Es ist ganz deutlich: Das eigentliche Hindernis jeder Kampagne ist die
Ausrede von einer staatlichen Souveränität. Jeder Ruf nach Beendigung des
Militarismus in Westpapua, nach Beendigung der Verletzungen der
Menschenrechte in Westpapua, wird blockiert durch das, was man staatliche
Souveränität nennt. Und natürlich auch von wirtschaftlichen Interessen. Das sind
die eigentlichen hohen Mauern, die jedes Interesse der internationalen
Gemeinschaft an Westpapua verhindern. Jeder glaubt, die Frage des Rechts auf
Selbstbestimmung dort sei bereits entschieden. Der Meinung sind die Papuas aber
nicht!
...
Die aktuelle Lage
Nachdem ich damit die Grundlagen des Bildes deutlich gemacht habe, möchte ich
nun die Aufmerksamkeit auf die aktuelle Lage richten. ... Sie (Megawati Sukarnoputri, d. Red.) machte unmittelbar vor dem
Papuakongress Ende Mai 2000 einen Besuch in Westpapua, um die Lage zu
erkunden. Sie berichtete darüber in Jakarta und basierend auf ihrem Bericht stellte
der Geheimdienst ein streng vertrauliches Papier zusammen. Ihre Erfahrungen vor
Ort sind wohl auch offiziell in der beratenden Volksversammlung (MPR) diskutiert
worden, die im August letzten Jahres stattfand. So konnte Jakarta schließlich die
offizielle Feststellung treffen, dass die Bewegung Westpapuas eine separatistische
Bewegung sei, der darum mit Repression zu begegnen sei.
Nach unseren Beobachtungen im Land begann die zusätzliche Stationierung von
Truppen in Westpapua im August 2000. Zusätzliche 15.000 bis 20.000 Mann
wurden vor allem an der Grenze zwischen Papua Neuguinea und Westpapua
stationiert - drei Bataillone. Sie wurden auch zum Schutz der so genannten
lebenswichtigen Objekte eingesetzt. Allein im Bereich des Bergbauunternehmens
Freeport ist nach unseren Informationen ein Bataillon zum Schutz des Betriebes
stationiert. Dazu gehören Spezialeinheiten von KOPASSUS für die
Geheimdienstaufgaben, KOSTRAD und sogar Marine und Luftwaffe. Seit dieser Zeit
entwickelt die indonesische Regierung ein strategisches Sicherheitssystem, das
etwa die Insel Biak am Pazifik zu einem nationalen Luftwaffenstützpunkt erklärt. Es
gibt nur zwei Stützpunkte dieser Art in Indonesien, einer ist Madiun und der zweite
ist jetzt Biak.
Strategie der Sicherheitskräfte: Provokationen und Morddrohungen
Nun noch etwas zu dem sehr strategischen langfristigen Sicherheitssystem, das
jetzt für Westpapua entwickelt wurde. Sicherheitskräfte wurden an Orten in
Westpapua stationiert, die als heiß gelten - Orte, wo die
Unabhängigkeitsbewegung sehr stark ist. Seit dieser Zeit ist die Zahl der
Verhaftungen deutlich angestiegen, was die Situation der Menschenrechte in
Westpapua gut veranschaulicht. Seit dieser Zeit hat das Präsidium des Papuarates
versucht, einen Dialog mit Jakarta zu beginnen. Aber alle Versuche wurden
abgeblockt, und die politischen Aktivisten landeten im Gefängnis. Und wieder ist
dies die Methode, nach der sie vorgehen, wie es das streng geheime Papier der
Sicherheitskräfte erklärt. Die Polizei in Westpapua hat ihre eigene Strategie
entwickelt, um die Bewegung als solche zu treffen. Sie infiltrieren die Bewegung,
provozieren Konflikte und können dann die Leute verhaften. ...
Dokumentiert nach Frankfurter Rundschau, 12. Dezember 2001
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