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Indonesien am Scheideweg

Der Herausforderer der Präsidentin liegt nach erster Wahlrunde in Führung - Spannend wird erst die zweite Runde

Die erste Runde der Präsidentenwahl in Indonesien am 5. Juli 2004 brachte nach fast zehntägiger Auszählung der Stimmen im Grunde genommen das erwartete Ergebnis. Der Herausforderer Susilo Bambang Yudhoyono, ein ehemaliger General, siegte - wenn auch knapp - vor der Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri. Spannend wird es erst beim zweiten Wahlgang. Im folgenden dokumentieren wir einen Artikel über das Ergebnis des ersten Wahlgangs sowie ergänzende Informationen über die Präsidentschaftskandidaten.

Vorteil für Yudhoyono

Von Wolfgang Pomrehn

In Indonesien sind am Mittwoch abend [14. Juli] die Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen veröffentlicht worden. Demnach ist der Abstand der Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri zum Favoriten Susilo Bambang Yudhoyono wesentlich geringer als zunächst angenommen. Sukarnoputri erhielt 26,25 Prozent, während für Yudhoyono 33,6 Prozent der Wähler stimmten. Verschiedene Meinungsumfragen hatten ihn wenige Tage vor der Wahl noch bei 40 bis 45 Prozent der Stimmen gesehen. Wie der mit 22,2 Prozent auf dem dritten Platz gelandete Wiranto ist Yudhoyono ein ehemaliger Viersternegeneral. Am 20. September wird er in einer Stichwahl erneut gegen Sukarnoputri antreten.

Die schwache indonesische Linke, die sich zum Teil in der Vereinigten Oppositionsfront zusammengeschlossen hat, konzentrierte sich während des Wahlkampfs darauf, die Bevölkerung aufzurufen, für keinen der Exgeneräle zu stimmen. Militärs und rechte Kräfte hatten sich 1965 mit einem der weltweit blutigsten Massaker der Nachkriegszeit, dem Hunderttausende Kommunisten, Gewerkschafter und Angehörige der chinesischen Minderheit zum Opfer fielen, an die Macht geputscht. Seitdem regierte es mit einem weitverzweigten, die ganze Gesellschaft kontrollierenden System, das auch sechs Jahre nach dem Sturz des Diktators Suharto noch nicht vollständig aufgelöst ist. Wiranto war der letzte Armeechef unter Suharto und hat sich noch nach dessen Abgang schwerer Kriegsverbrechen in Osttimor schuldig gemacht.

Im Wahlkampf standen allerdings wirtschaftliche Probleme im Vordergrund. Indonesien wurde 1997 und 1998 von der Asienkrise besonders hart getroffen. Mit der Wirtschaft geht es seitdem zwar langsam wieder bergauf, aber im Gegensatz zu seinen nördlichen Nachbarn hat sich das Land noch nicht vollständig erholt. Immerhin konnte es im letzten Jahr aber erstmalig wieder auf Kredite des Internationalen Währungsfonds verzichten. Nach dem jüngsten Weltbankbericht leben über die Hälfte der 220 Millionen Indonesier von weniger als zwei US-Dollar am Tag, womit sie das Armutskriterium der UNO erfüllen. Im letzten Jahr wuchs die Wirtschaft um 4,1 Prozent, in diesem wohl etwas mehr, wobei das Ziel der Regierung von 4,8 Prozent vermutlich verfehlt wird. Aber auch die würden kaum reichen, um die Zahl der 40 Millionen Arbeitslosen spürbar zu verringern. Gut zwei Drittel von ihnen sind zwischen 14 und 25 Jahren alt – für die Jugend des Landes sieht die Zukunft besonders düster aus. Die Wirtschaft krankt vor allem an fehlenden Investitionen. In- wie ausländisches Kapital hält sich zurück, und dem Staat fehlen wegen hoher Auslandsschulden die Mittel.

Die Antworten der Kandidaten auf diese anhaltende gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise unterschieden sich bestenfalls im Ausmaß der Versprechen. Exportorientierung, Bedienung der Auslandsschulden und liberale Marktwirtschaft wurden von keinem in Frage gestellt. Die amtierende Präsidentin versprach einige Infrastrukturprogramme und will die weitverbreitete Korruption bekämpfen, indem sie die Gehälter im öffentlichen Dienst anhebt. Gleichzeitig versprach sie, in den nächsten fünf Jahren für 55 Prozent der städtischen und 30 Prozent der ländlichen Bevölkerung eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser aufzubauen. Ein Versprechen, das, wie Bill Guerin im Honkonger Internetmagazin Asia Times anmerkt, nicht gerade ein günstiges Licht auf ihre bisherige Regierungszeit wirft.

Aus: junge Welt, 16. Juli 2004



Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen*

Nach Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse der nationalen Parlamentswahlen durften sieben Parteien Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Sie hatten mehr als 5% der Stimmen bzw. mehr als 3% der Mandate gewonnen hatten. Das waren wie erwartet Golkar, die PDI-P, die PKB, die PPP und die PAN, aber auch die PD und die PKS. Präsident und Vizepräsident werden gemeinsam gewählt. Erhält ein Kandidatenpaar in der ersten Wahlrunde (am 5. Juli) landesweit mehr als 50% und in mehr als der Hälfte der Provinzen mehr als 20 % der Stimmen, wird es in seine Ämter eingesetzt. Werden, was zu erwarten ist, die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt es zu einem zweiten Wahlgang am 20. September, bei welchem keine neuen Paare gebildet werden dürfen.

Am 22. Mai standen die insgesamt fünf Kandidatenpaare fest (in Klammern, die Parteien, die die Paare nominiert haben):
  • Susilo Bambang Yudhoyono (PD) und Yusuf Kalla,
  • Wiranto (Golkar) und Solahuddin Wahid,
  • Megawati Sukarnoputri (PDI-P) und Hasyim Muzadi,
  • Hamzah Haz (PPP) und Agum Gumelar,
  • Amien Rais (PAN) und Siswono Yudohusodo.
Die bisher durchgeführten Umfragen haben ergeben, dass der ehemalige Koordinierungsminister für Sicherheit und Politik, Susilo Bambang Yudhoyono von der eigens als Wahlkampfmaschine gegründeten PD, die besten Chancen hat. Susilo war unter Suharto ein hochrangiger General, der zu einer Militärfraktion gerechnet wurde, die man vorsichtig als "für Reformen aufgeschlossen" bezeichnen könnte.

Unter Abdurrahman Wahid, Staatspräsident bis zu seiner verfassungsrechtlich fragwürdigen Amtsenthebung im Juli 2001, und unter Megawati hatte er als Koordinierungsminister eines der wichtigsten Ämter inne. Kurz vor seiner Kandidatur und nach einem vielleicht inszenierten Streit über die Kompetenzenverteilung mit der Präsidentin, bei dem er von ihrem überaus einflussreichen Ehemann, Taufik Kiemas, als "kindisch" bezeichnet wurde, trat er von seinem Amt zurück.

Der Javaner Susilo tat sich mit dem Koordinierungsminister für Volkswohlfahrt, Yusuf Kalla, zusammen, der Mitglied Golkars sowie der NU ist. Er stammt aus Makassar (Sulawesi) und hat bei der Vorbereitung der Friedensschlüsse in Poso (Zentral-Sulawesi) und in den Molukken, beides ehemals Bürgerkriegsgebiete, eine wichtige Rolle gespielt.

Die größten Konkurrenten von Susilo und Yusuf Kalla sind Megawati, die zusammen mit dem NU-Vorsitzenden Hasyim Muzadi antreten wird, sowie der ehemalige Kommandeur der Streitkräfte, Wiranto, dessen Partner der Stellvertreter Hasyims und jüngere Bruder von Abdurrahman Wahid, Solahuddin Wahid, sein wird.

Wiranto, der bei einem Parteikonvent überraschend von den - vermutlich bestochenen - Delegierten gekürt wurde, hat die stärkste Partei Golkar hinter sich, allerdings wird er als Befehlshaber für die Massaker im Anschluss an das Referendum in Ost-Timor (1999) verantwortlich gemacht. Vielleicht hat er deshalb die Zusammenarbeit mit Solahuddin gesucht, der stellvertretender Vorsitzender der staatlichen Menschenrechtskommission ist.

Zwar hat Megawati mit Hasyim Muzadi, dem Vorsitzenden einer 30-40 Millionen Mitglieder starken traditionalistischen Muslimorganisation, einen äußerst populären Mitstreiter, allerdings stammen beide aus Java, und sowohl für die PDI-P als auch für die NU (bzw. die mit ihr verbundene PKB) gehören Ost- und Mitteljava zu den wichtigsten Hochburgen. Außerdem ist mit Solahuddin Wahid ein weiteres prominentes NU-Mitglied im Rennen, so dass diese Stimmen zumindest im ersten Wahlgang aufgeteilt werden müssen.

Für die PKB wurden zunächst Abdurrahman Wahid und Marwah Daud Ibrahim (Golkar) aufgestellt, allerdings wurde der fast blinde, gesundheitlich angeschlagene Ex-Präsident von der Wahlkommission nach einem medizinischen Check-up disqualifiziert.

Hamzah Haz (PPP) und Agum Gumelar sowie Amien Rais (PAN) und Siswono Yudohusodo sind nur Außenseiterchancen einzuräumen. Hamzah Haz und Amien Rais, die das islamisch-modernistische Lager repräsentieren, haben mit ihren Parteien nur einen kleinen Stimmenanteil gewinnen können und konnten jeweils keine überzeugenden und populären Partner auf ihre Seite ziehen.

Sollte Megawati Präsidentin werden, bliebe vermutlich alles beim Alten. Die Wahl Wirantos könnte sich als katastrophal erweisen, weil eine Aufwertung des Militärs, die Einschränkung von Grundrechten und eine allgemeine politische und wirtschaftliche Destabilisierung wahrscheinlich wäre. Das wiederum könnte einen Aufschwung islamistischer Kräfte bewirken. Die Folgen einer Präsidentschaft Susilos, der gemeinhin als integer und als effizienter Krisenmanager gilt, sind unvorhersehbar.

* Die Informationen stammen aus einem Beitrag von Andreas Ufen, wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg, der in der Zeitschrift "Südostasien aktuell" Nr. 3/2004 veröffentlicht wird. Ein Vorabdruck erschien unter dem Titel "Indonesien am Scheideweg" auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau vom 28. Juni 2004.


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