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Indonesiens verdrängter Genozid

Völkermord in Papua nachgewiesen. USA und Australien lieferten Kriegsgerät

Von Thomas Berger *

Die Asiatische Menschenrechtskommission (AHRC) hat in dreijähriger akribischer Recherchearbeit eine Liste mit 4146 Namen zusammengestellt – Personen, die nachweislich 1977/78 bei der indonesischen Militäroffensive in der Provinz Papua getötet wurden. Doch selbst das ist nur ein kleiner Teil der damaligen Opfer. »Mehrere zehntausend Tote« hält das Ermittlerteam in seiner Studie unter dem Titel »Unbeachteter Völkermord« für möglich. Eine Frau berichtete, daß allein in ihrem Heimatdorf wenigstens 4000 Einwohner ermordet wurden. Zu den Verbrechen der Militärdiktatur unter Haji Mohamed Suharto, die von Überlebenden geschildert wurden, gehören Luftangriffe einschließlich des Einsatzes von Napalm, Massenexekutionen, Folter und Vergewaltigungen. In der Konsequenz wirft die AHRC dem damaligen Regime einen Völkermord vor.

In 15 Dörfern des indonesischen Teils der Insel Neuguinea waren die Menschenrechtler unterwegs, um Augenzeugenberichte und andere Beweismittel zu sammeln. Die Überlebenden berichteten von Massenerschießungen und zahlreichen Übergriffen auf Frauen, von denen viele vergewaltigt und anschließend bestialisch ermordet wurden. Mit der Offensive im zentralen Hochland Papuas reagierte das Suharto-Regime seinerzeit auf das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung, die bis heute von der Bewegung Freies Papua (OPM) angeführt wird. Einst war die Inselhälfte eine eigene Verwaltungseinheit der holländischen Kolonialherren und blieb weiter unter deren Kontrolle, als Indonesien seine Unabhängigkeit erlangte. Die UNO, die Papua kurzzeitig verwaltete, hatte ein Referendum vorgeschrieben. Doch nur eine kleine Gruppe handverlesener Einwohner votierte in einer Abstimmungsfarce 1969 für die Annexion durch Jakarta. Nach den Wahlen vom 1977 eskalierte die Situation.

Obwohl die gewaltsame Unterdrückung der Freiheitsbewegung in Papua lange bekannt war, hat es zum genauen Vorgehen des Militärs bislang kaum Untersuchungen gegeben. Was der Ende Oktober veröffentlichte Bericht nun zutage fördert, sind aber nicht nur massive Anschuldigungen gegen die indonesische Armee und die damaligen politischen Auftraggeber in Jakarta. Unbequeme Fragen müssen sich auch westliche Verbündete der Militärdiktatur gefallen lassen. Zwei von Australien gestellte Hubschrauber sowie zwei weitere aus US-Beständen sollen an den Luftangriffen beteiligt gewesen sein. Von den Amerikanern hatte Indonesien 1976/77 auch Kampfflugzeuge der Marke »OV-10 Bronco« gekauft, die bei der Offensive gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz kamen.

Dem Bericht zufolge haben die Militärs dabei auch Streumunition eingesetzt. Auf der Lima-Konferenz zu den inzwischen von über 100 Staaten geächteten Bomben hatte die heute noch amtierende Regierung von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono 2007 noch das Gegenteil behauptet. Streubomben und das ebenfalls verwendete Napalm hätten laut der jetzigen Untersuchung zu besonders hohen Opferzahlen geführt, weil die Bewohner extra ins Freie geeilt waren und sich versammelt hatten. Grund waren Gerüchte, australische Flugzeuge würden mit Hilfsgütern kommen.

Basil Fernando, Leiter Strategie und Programmentwicklung des AHRC, nannte es »schockierend«, daß der Genozid nie näher untersucht worden sei. Die Menschenrechtskommission fordert von Indonesien nun eine Anerkennung der damaligen Verbrechen und eine Entschuldigung. Zudem solle endlich eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingesetzt werden. Papua, heute geteilt in die beiden Provinzen Westpapua und Papua, hat zwar auf dem Papier seit gut einem Jahrzehnt eine weitgehende Selbstverwaltung, viele Einwohner sehen in den indonesischen Militärs allerdings nach wie vor Besatzer. Dazu trägt auch die Regierung in Jakarta bei, die bis heute bemüht ist, jegliche kritische Berichterstattung aus Papua zu unterbinden.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 7. November 2013


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