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Indonesien: Folterpolizisten freigesprochen

Trotz "Menschenrechtskammer": Weiterhin "straffreier Raum" für indonesische Sicherheitskräfte in West Papua

Nachfolgenden Artikel (Titel: "Indonesische Polizisten, die Papuastudenten zu Tode gefoltert haben, freigesprochen") von Alex Rayfield hat das West Papua Netzwerk aus dem Englischen übersetzt und veröffentlicht. Wir dokumentieren den Bericht, weil er darauf aufmerksam macht, dass sich die Menschenrechtssituation in den von Indonesien annektierten Gebieten bis heute nicht wesentlich gebessert hat. Nicht von ungefähr hat amnesty international zwei Papuas, die wegen einer friedlichen Demonstration zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, die "Aktion des Monats Oktober 2005" gewidmet (siehe: www.amnesty.de).



Indonesische Polizisten, die Papuastudenten zu Tode gefoltert haben, freigesprochen

Von Alex Rayfield*

Wenn Sie meinen, Schapelle Corby sei im indonesischen Rechtssystem schlecht behandelt worden, dann stellen Sie sich einmal die Papuastudenten vor, die, während sie in ihren Studentenheimen in Abepura, West Papua, schliefen, in den frühen Morgenstunden des 7. Dezember 2000 einen hinterhältigen Angriff der Polizei überlebten

Nachdem sie beinahe fünf Jahre auf den Abschluss des Falles gewartet hatten, waren die Studenten in der letzten Woche in einen Gerichtssaal nach Makassar gekommen, und hörten die Richter das Urteil „Unschuldig“ gegen zwei Polizeibeamte verkünden, die des Gewaltmissbrauchs angeklagt waren. Ein Student war bei dem Einsatz getötet worden, zwei andere starben später als Folge der Misshandlungen im Polizeigewahrsam, und über einhundert Studenten waren während des Angriffs gequält oder gefoltert worden. Es handelt sich um den ersten Fall, der vor der kürzlich unter dem Gesetz 26/2000 eingerichteten Menschenrechtskammer verhandelt wurde. Die Einrichtung dieser Kammer war als positiver Schritt in Richtung auf die Aufarbeitung des unglaublichen Umgangs mit Menschenrechten in Indonesien gesehen worden.

Dieses Urteil sendet jedoch eine Besorgnis erregende Botschaft nicht nur an Papuas, sondern an alle Indonesier, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass das indonesische Rechtssystem wirklich der Gerechtigkeit dient und verdeutlicht, dass für indonesische Sicherheitskräfte weiterhin ein straffreier Raum besteht.

Kurz nach ein Uhr griff am Morgen des 7. Dezember 2000 eine Gruppe von nicht identifizierten Personen die Polizeistation von Abepura an. Ein Polizist namens Petrus Eppa wurde in dem Handgemenge getötet. Während eines weiteren Angriffs auf das Büro für Autonomie in Abepura wurde Markus Padama, ein Sicherheitsbeamter, getötet. Gegen 2.30 Uhr befahlen der damalige Polizeichef Daud Sihombing und der damalige Polizeipräsident Johny Wailan Usman, die Angreifer zu fassen.

Die Polizei unternahm einen Vergeltungsangriff gegen eine Gruppe Studenten aus dem Hochland, die nach späteren Untersuchungen einer Anzahl angesehener Rechtsschutz- und Menschenrechtsorganisationen weder mit dem Angriff auf die Polizeistation noch mit dem auf das Autonomiebüro etwas zu tun hatten. Während der folgenden 24 Stunden überfielen Brimob-Beamte (Indonesiens paramilitärische Polizeibrigade) eine Reihe nahegelegener Studentenheime für Papuastudenten. Hauptziel war das Nimin Hostel. Die BTN Puskopad Abepura Wohnbereiche, deren Bewohner aus Kotalima, Mamberano und Wamena stammen, das Yapen Waropen Hostel und das Illaga University Students Hostel wurden ebenfalls von der Polizei heimgesucht.

Der Student Elkius Suhuniap (männlich, 23) wurde während der Angriffe der Polizei durch eine Kugel tödlich getroffen. Über einhundert weitere Personen einschließlich schwangerer Frauen und Kinder wurden zusammengetrieben und in Polizeigewahrsam genommen, wo sie systematisch geschlagen, gefoltert und mit rassistischen Bemerkungen beleidigt wurden. Ein Papuastudent erinnerte sich, die Polizeihabe ihn geschlagen und angespuckt und gesagt: „Deine Mutter isst Schweinefleisch und Du hast das Gehirn eines Schweins. Sogar mit Deinem College Abschluss wirst Du keine Arbeit bekommen. Ihr Papuas seid dumm; dumm und meint doch, Ihr könntet unabhängig sein.“

Die beiden Studenten Ori Ndoronggi (männlich, 19) und Johny Karunggu (männlich, 20) starben im Polizeigewahrsam an den Verletzungen infolge der Folter. Ein weiterer Student namens Agus Kabak (männlich, 19) ist seitdem dauerhaft behindert und ein vierter, Arnold Mundo Soklay (männlich, 32) ,wurde zum Krüppel geschlagen und starb später in Jayapura an seinen Verletzungen. Die Studenten wurden in Anwesenheit des Schweizer Journalisten Oswald Iten gefoltert und totgeschlagen. Dieser war bereits früher ebenfalls verhaftet worden, weil er eine Unabhängigkeitsdemonstration fotografiert hatte. Die Polizei sagte zu Iten, derartige Gewalt sei „normal“, wenn ein Polizist getötet wurde.

Später schrieb Iten: „Was ich sah, war unglaublich schockierend. Etwa ein halbes Dutzend Polizisten schlugen mit Keulen auf Menschen, die auf dem Boden lagen und erstaunlicherweise nicht laut schrien; von ihnen kam höchstens mal ein Stöhnen. Nach einigen langen Sekunden sah mich ein Wächter und schlug mit seiner Keule gegen die Gitterstäbe der Tür des Zellenblocks. Ich ging schnell zurück an meinen normalen Ort, konnte vor dort aber immer noch die Keulen, Stöcke und Peitschen aus gespaltenem Bambus am Werk sehen. Ihre Enden waren blutverschmiert und Blut war an die Wände bis hinauf zur Decke gespritzt. Manchmal sah ich Polizisten auf Bänke springen, um von dort aus weiter zu schlagen und zurück auf die Körper zu springen.“

Indonesiens Kommission für Menschenrechte (Komnas HAM) führte eine unabhängige Untersuchung dieser Angriffe durch. Im Ergebnis wurden 25 Tatverdächtige durch die Kommission identifiziert, aber nur zwei von ihnen wurden schließlich durch das Büro des Generalstaatsanwaltes vor Gericht gestellt. Man gab keine Erklärung dafür, warum die anderen Verdächtigen nicht weiter verfolgt wurden. Und die beiden Angeklagten wurden nicht verhaftet und durften weiterhin ihren Dienst versehen. Sie wurden sogar befördert. Das Büro des Generalstaatsanwaltes behinderte Untersuchungen durch gesetzliche Vertreter der Überlebenden und verzögerte den Fall weit über die zeitliche Grenze hinaus, die im Menschenrechtsgesetz 26/2000 festgeschrieben ist.

Als das Gericht in der letzten Woche sein Urteil verkündete, bekamen Überlebende und ihre Familie einen hysterischen Anfall. Eine Frau stieg auf einen Stuhl und schrie ihren Unglauben heraus und dass die Richter unfair gewesen seien. Auf der anderen Seite klatschten die Brimob Soldaten, die den Gerichtssaal füllten, Beifall und begannen die Brimob Hymne zu singen. Der bekannte Verteidiger der Menschenrechte, Todung Mulya Lubis aus Jakarta, sagte, das Urteil werde das Gefühl der Entfremdung der Papuas von der Einheitsrepublik Indonesien weiter vertiefen.

Im Gericht wurden die Überlebenden, ihre Familien und Freunde von Vertretern der Peace Brigades International begleitet, weil viele von ihnen drohende Telefonanrufe oder schriftliche Nachrichten bekommen hatten oder durch „unbekannte Personen“ im Vorfeld des Prozesses eingeschüchtert worden waren. Indonesische Menschenrechtsjuristen sagen, ihnen sei von Eingeweihten signalisiert worden, die in diesem Fall verantwortlichen Richter seien von den Autoritäten unter Druck gesetzt worden, auf Freispruch zu erkennen und eine Wiedergutmachung für die Überlebenden und ihre Familien abzulehnen. Vertreter der Europäischen Union und der Regierungen von Neuseeland und Canada beobachteten den Prozeß. Die australische Botschaft war nicht vertreten.

Br. Budi Hernawan vom katholischen Büro für Gerechtigkeit und Frieden in Jayapura sagte: „Das Abepura Urteil zeigt, dass Menschenrechtsverletzungen in West Papua von der Zentralregierung nicht ernst genommen werden. Das Urteil beweist, dass es keinen politischen Willen gibt, den Menschen West Papuas Gerechtigkeit zu gewähren. Der Staat ist nicht einmal bereit, das Recht der Papuas auf Leben sicher zu stellen.“

Das Urteil wurde wenige Wochen nach der Veröffentlichung eines Berichtes des Zentrums für Frieden und Konfliktstudien der Universität von Sydney zur Lage der Menschenrechte in West Papua gesprochen. Er hat den Titel „Völkermord in West Papua? Die Rolle des indonesischen Sicherheitsapparates“. Der Bericht ist das Ergebnis vierjähriger Studien und offenbart eine systematische Politik von Menschenrechtsverletzungen an Papuas seitens der indonesischen Sicherheitskräfte mit dem Verbrennen ganzer Dörfer, außergerichtlichen Tötungen, Vergewaltigungen und Folter. Sowohl die indonesische als auch die Howard Regierung Australiens stellten die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse in Frage.

Die demokratische Senatorin Natasha Scott Despoja nahm im Parlament zum Bericht „Völkermord in West Papua?“ Stellung und forderte die australische Regierung auf, „ein Verhältnis mit Indonesien zu pflegen, das sich auf Ehrlichkeit und Offenheit gründet, von gemeinsamem Respekt vor den Menschenrechten und der Anerkennung des Wertes und der Würde menschlichen Lebens geprägt ist.“ Senatorin Scott Despoja bat die australische Regierung, „unsere Rolle bei dem international diskreditiertem Act of Free Choice von 1969 zu überprüfen“, der Indonesien zur Kontrolle über West Papua verhalf. Der Senator der Grünen, Bob Brown, stellte den Antrag, „die Veröffentlichung des Berichts zur Kenntnis zu nehmen“ und die australische Regierung zu beauftragen, die in dem Bericht gestellten Ansprüche zu prüfen und darüber im Senat zu berichten. Der Antrag von Senator Brown wurde von der Labour Partei abgelehnt.

In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtssituation in West Papua stetig verschlechtert. Jakartas inkonsequente Politik, Militäreinsätze, mangelnde Bereitschaft, zur ernsthaften Umsetzung der Gesetzgebung zur Besonderen Autonomie in der Provinz, Versuche die Provinz in zwei Teile zu teilen und Mangel an politischem Willen, den Kern des Konfliktes überhaupt anzusprechen, haben die Lage weiter verschärft. Jakarta möchte nun Einheiten des Militärs, die in Aceh frei geworden sind, nach West Papua verlegen und dort eine neue Militärverwaltung einrichten.

Das Wachstum der Zahl der Soldaten zeigt die Furcht der Zentralregierung vor der gewaltfreien Bewegung, die Jakartas Legitimität in Frage stellt und deren Schwierigkeiten die Aufmerksamkeit einer größer werdenden transnationalen moralischen Gemeinschaft erregen.

Die Brutalität des Abepura Falles illustriert den Ernst der untragbaren Menschenrechtssituation in West Papua. Das Urteil der letzten Woche wird den Nationalismus in West Papua anfeuern und die Entschlossenheit der Papus stärken, sich von der von den Papuas weithin als illegal und illegitim betrachteten kolonialen Besetzung durch Indonesien zu befreien.

Es ist nicht schwer, zu verstehen, warum das so ist. Und Jakarta kann sich nur selber als Schuldigen sehen.

* Alex Rayfield ist Forscher und Aktivist, der mit der Australian West Papua Association zusammenarbeitet.

Übersetzung: Pfr. i. R. Hans-Martin Thimme

West Papua Netzwerk im Netz: www.west-papua-netz.de


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