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Indonesien: Friedenschluss mit Aceh-Rebellen?

Internationale Vermittler vermelden Durchbruch

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel, der sich mit den neuesten Entwicklungen im innerindonesischen Konflikt um die Provoinz Aceh befasst.


Von Martin Ling

Das Ende des Fastenmonats Ramadan könnte für die indonesische Provinz Aceh einen Neuanfang bedeuten. Am 9. Dezember wollen die Regierung in Jakarta und die muslimischen Rebellen der Bewegung Freies Aceh (GAM) im schweizerischen Genf ein Friedensabkommen unterzeichnen.

Die Botschaft kam überraschend: Die Unruheprovinz Aceh an der Nordspitze der Insel Sumatera stehe vor einem Friedensabkommen, meldeten gestern Vermittler des Schweizer Henry-Dunant-Zentrums für humanitären Dialog. Seit Mai 2000 versucht das Genfer Zentrum zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Nun hätten die Rebellen einer Autonomieregelung zugestimmt und bestünden nicht mehr auf einem Referendum, das der Provinz völlige Unabhängigkeit bringen sollte.

Alex Flor von der Menschenrechtsorganisation "Watch Indonesia!" sieht in dem verkündeten Durchbruch eine Riesenchance für die Beendigung des Bürgerkriegs in Aceh, dem seit 1976 mehr als 11000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Bemerkenswert sei, so Flor gegenüber ND, dass das Militär offenbar bereit gewesen sei, über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Bisher sei das ein Tabu gewesen, weil die Rebellen nicht als Kriegsgegner, sondern als nicht gleichwertige kriminelle Aufständische betrachtet wurden. Allerdings vermutet Flor noch Stolpersteine auf dem Weg zur Unterzeichnung eines Abkommens am 9. Dezember. Zum einen sei noch nicht klar, welche Größe die befriedeten Zonen haben sollen, und zum anderen gebe es über den zentralen Streitpunkt der Autonomieregelung durchaus noch Differenzen. Während die Rebellen die Vereinbarung als Verhandlungsgrundlage ansähen, gehe die indonesische Regierung von einem endgültigen Verzicht auf die Unabhängigkeit aus. Dennoch sieht Flor ernsthaftes Bemühen um eine friedliche Lösung. Dies werde auch daran deutlich, dass die indonesische Regierung internationale Beobachter zulassen wolle. Bisher hatten lediglich zwei Delegierte des Henry-Dunant-Zentrums Aufenthaltsrecht in der Unruheprovinz und standen dort auf verlorenem Posten. Überraschend kommt die Einigung, weil nach dem 11. September unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terror eine bedingungslose Offensive der indonesischen Militärs erwartet wurde. Die Streitkräfte haben ihren Druck in der Tat erhöht. Eine Basis der Rebellen südlich des Industriezentrums Lhokseumawe wurde vollständig von Truppenverbänden umstellt. Vielleicht hat auch das zum Einlenken der Separatisten beigetragen.

Die Bewegung Freies Aceh kämpft seit 1976 auch mit Waffengewalt für die Unabhängigkeit. Seither ist die Provinz von der Größe Niedersachsens Schauplatz eines blutigen Konflikts. Die 4,3 Millionen Einwohner bilden eine streng gläubige Minderheit unter den indonesischen Muslimen, die sich ökonomisch und politisch benachteiligt fühlt, da ihr nur ein Bruchteil der Erlöse aus den Erdöl- und Erdgasvorkommen des ehemaligen Sultanats zugute kommt. Erst seit kurzem ist für Aceh ein Teil-Autonomie-Statut in Kraft, das der Provinz mehr Erlöse verspricht. Die Erfüllung dieses Statuts wird eine zentrale Voraussetzung für eine dauerhafte Lösung des Konflikts in Aceh sein.

Aus: Neues Deutschland, 20. November 2002


Weitere Pressestimmen:

In der Frankfurter Rundschau schreibt Pierre Simonitsch aus Genf u.a.

... Keine Einigung konnte bisher über das künftige Mandat und die Aufgaben einer in Aceh stationierten indonesischen Elitetruppe, der "Mobilen Brigade", erzielt werden. Derzeit belagern etwa 1000 Mitglieder dieser Brigade eine Stellung der Rebellen in Paya Cot Trieng. Die Aufständischen lehnen die Aufforderung der indonesischen Militärs ab, sich zu ergeben.
Der versprochene Frieden hängt an einem dünnen Faden, denn erst wenn beide Seiten einander vertrauen soll die Abrüstung beginnen. Bis dahin sollen lediglich öffentliche Stätten wie Schulen, Moscheen und Spitäler zu "demilitarisierten Zonen" erklärt werden.
(Frankfurter Rundschau, 20.11.2002)

Und in der taz kann man in einem Artikel von Nicola Glass u.a. lesen:

... Wie weit die Autonomie tatsächlich geht, wird sich zeigen: Wenn sie auch nur den Anschein separatistischer Abspaltung erweckt, dürfte die Regierung in Jakarta auch künftig versuchen, diese mit Hilfe des Militärs im Keim zu ersticken. Immer wieder gibt es in Aceh und anderen Landesteilen Klagen über brutale Menschenrechtsverletzungen der Armee. Die genauen Umstände des vermeintlichen Durchbruchs zum Frieden in Aceh bleiben unklar. Berichten zufolge hatte die Armee trotz des islamischen Fastenmonats Ramadan in der vergangenen Woche ein Rebellenlager umzingelt und beschossen. Trotzdem bleibt offen, warum sich die seit 1976 für eine völlige Unabhängigkeit von Indonesien kämpfenden Rebellen der Bewegung freies Aceh (Gam) plötzlich mit einer Autonomieregelung zufrieden geben sollten. Die Gam äußerte sich gestern nicht.
Da das Abkommen erst zum Ende des Ramadans in drei Wochen unterzeichnet werden soll, haben Friedensgegner noch viele Gelegenheiten, es zu torpedieren. Der blutige Konflikt in Aceh, einem einst unabhängigem Sultanat, reicht bis in die niederländische Kolonialzeit zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpften die Acehnesen noch für Indonesiens Unabhängigkeit. Gegen Jakarta lehnten sie sich auf, als Versprechungen für mehr Autonomie nicht eingehalten wurden. ...
(taz, 20.11.2002)


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