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Schrille Töne

Hindu-Fundamentalisten provozieren muslimische Minderheit Indiens im Wahlkampf

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Hindu-Fundamentalisten spielen in den letzten Tagen im indischen Wahlkampf immer unverblümter die religiöse Karte. Sie tun sich mit Tiraden gegen die muslimische Minderheit hervor, der immerhin etwa 138 Millionen Inder angehören. Eine Gruppe prominenter Schauspieler, Sänger und Regisseure der Bollywood-Filmindustrie hat vor diesem Hintergrund an die Wählerschaft appelliert, »strategisch abzustimmen, um den weltlichen Charakter des Landes zu schützen«.

Die sechste von insgesamt neun Phasen der Parlamentswahlen in Indien ist im Gange. Sie enden am 12. Mai. Vier Tage später werden die Resultate verkündet. Meinungsumfragen stützen die Propaganda der hindu-fundamentalistischen Indischen Volkspartei (Bharatiya Janata Party; BJP), die sich mit weitem Vorsprung vor der rivalisierenden Kongreßpartei durchs Ziel gehen sieht. Die in verschiedenen Gruppen agierenden Hindu-Fundamentalisten, die als »Safran-Familie« oder »Sangh Parivar« zusammengefaßt werden, drehen im »Endspurt« noch einmal auf und spielen mit verteilten Rollen. Die einen hetzen und stacheln auf. Die anderen bevorzugen moderate Töne.

BJP-Spitzenkandidat Narendra Modi versucht, sich als sanfter Anwalt des Hindutva (Hindutum) zu präsentieren. Er beschwört in seinen Reden das Gemeinsame: »ein Land - eine Nation«. Er will das Stigma der Massaker von 2002 in Gujarat loswerden, die unter seinem Zepter als Chefminister geschahen und denen über 1000 Muslime zum Opfer fielen. Heute argumentiert er, Hindus und Muslime sollten an einem Strang ziehen, um das Joch der Armut gemeinsam abzuwerfen. Sein unverfängliches Mantra lautet: Entwicklung und gutes Regieren.

Der Hindu-Freiwilligenverband RSS, der alle Mitglieder der »Safran-Familie« ideologisch an der Kandare hat, verlangte in einem Papier, die Hindu-Mehrheit solle 100 Prozent für eine »nationalistische Regierung« stimmen. Gemeint ist eine mit Modi als Premier. Andere bevorzugen noch schrillere Töne. So drohte der gestandene BJP-Führer Giriraj Singh öffentlich, wer gegen Modi opponiere und ihn nicht wähle, der solle nach Pakistan gehen; in Indien sei für ihn kein Platz mehr. Der Hardliner Pravin Togadia, Präsident des »Welthindurates« (VHP), forderte am vorigen Wochenende, Muslimen müsse der Erwerb von Land oder Grundstücken in von Hindus dominierten Gebieten verboten werden. »Wo wir in der Mehrheit sind, sollten wir das Gesetz in unsere eigenen Hände nehmen«, empfahl der notorische Haßprediger bei einem Treffen in Bhavnagar in Gujarat.

Das schien wohl selbst anderen »Familienmitgliedern« zu starker Tobak, weil es auch als Breitseite gegen Modis Bemühen um »eine Nation« aufgefaßt werden könnte. Angeblich äußerten sie sich, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, verärgert über Togadias Verbalattacken. Narendra Modi brauchte drei Tage, um am Dienstag über Twitter solche »unverantwortlichen Erklärungen« zu mißbilligen. Togadia ruderte offensichtlich nach einem Wink aus der RSS-Zentrale etwas zurück: Er habe das nie gesagt. Es handele sich um eine böswillige, verleumderische Verschwörung gegen ihn. Er werde die Medien verklagen. Die nationale Wahlkommission ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken, verlangte die CD mit Tagodias Ausführungen und forderte die Polizei Gujarats auf, den Fall zu registrieren.

In diesem aufgeheizten Klima, zu dem auch Politiker der Kongreßpartei und anderer Parteien mit giftigen Bemerkungen beitragen, richteten Bollywood-Prominente ihren Appell an die Wählerschaft. Sie solle »strategisch abstimmen, um den weltlichen Charakter des Landes zu schützen.« Korruption und gutes Regieren seien zwar wichtige Themen, aber Indiens säkularer Charakter stehe nicht zur Disposition. Es gehe nicht darum, eine bestimmte Partei oder Person zu wählen oder nicht zu wählen, sondern jene, die für strikte Trennung zwischen religiösen und staatlichen Angelegenheiten stehen. Alles andere zerstöre die Fundamente der indischen Gesellschaft.

* Aus: junge welt, Mittwoch 23. April 2014


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