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Applaus für die falsche Seite

Indien: Studenten drohte Gefängnis, weil sie beim Kricket für Pakistan jubelten

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Mehrere Tage lang drohten 67 Studenten aus Kaschmir im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh lebenslange Haftstrafen. Sie hatten beim Kricketspiel zwischen Indien und Pakistan am vergangenen Sonntag Partei für den Nachbarn ergriffen und waren deshalb wegen »an Landesverrat grenzenden Aufruhrs« angezeigt worden. Erst am späten Donnerstag abend wurde die Anklage fallen gelassen.

Traditionell kochen bei Kricketmatches zwischen beiden Nationen die Leidenschaften hoch. Für Zuschauer und Medien sind die Begegnungen zwischen den verfeindeten Nachbarn gewöhnlich mehr als ein reiner sportlicher Wettkampf, sondern ein Ventil für ungebremsten Nationalismus und für politische Rivalität, die seit der Staatsgründung Pakistans und der gleichzeitigen Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 besteht.

Am vergangenen Sonntag konnte Pakistan die indische Mannschaft in Mirpur (Bangladesch) besiegen. Das bejubelten die kaschmirischen Studenten in einem Klubraum der privaten Swami Vivekananda Subharti University in der indischen Stadt Meerut. Die Konsequenzen ihres »antinationalen« Verhaltens: eine Schlägerei mit Kommilitonen, ihre zeitweilige Suspendierung vom Lehrbetrieb und schließlich die Anklage. Sie selbst sagten aus, lediglich die großartige Leistung des pakistanischen Spielers Shahid Afridi beklatscht zu haben.

Die Kontroverse um die kaschmirischen Studenten sorgte auf allen indischen Fernsehkanälen für hitzige Debatten, ob ihr Verhalten »antinational« war und ihr Applaus für die pakistanische Mannschaft die »kommunale Harmonie« in Gefahr gebracht habe. Die Meinungen prallten aufeinander. Die Studenten hätten sich nicht wie Sportfans benommen, sondern wie parteiische Politiker, so die einen. Nein, darauf die Stimmen aus dem anderen Lager: In Indien herrsche Meinungsfreiheit, die »größte Demokratie der Welt« könne Beifall für den »Erzfeind« ohne weiteres aushalten und verkraften. Von Landesverrat könne überhaupt keine Rede sein. Schließlich einigte man sich darauf, die jungen Männer hätten Zurückhaltung üben und ihre Kommilitonen nicht provozieren sollen.

Der Chefminister des Bundesstaates Jammu und Kaschmir, Omar Abdullah, appellierte an seinen Kollegen im Bundesstaat Uttar Pradesh, in dem Meerut liegt, Mäßigung zu zeigen. Die Anklage wegen Aufruhrs sei »inakzeptabel harsch«. Das Innenministerium in Neu-Delhi verlangte zudem von der Regionalregierung detaillierte Aufklärung. Erst als Reaktion darauf wurden die »harschen« Punkte der Anklage zurückgenommen. Natürlich mischte sich auch Pakistan ein. Tasnim Aslam, die Sprecherin des Außenministeriums in Islamabad, lud die Studenten in ihr Land ein. Die pakistanischen Herzen und akademischen Institutionen stünden ihnen offen, sagte sie.

Eigentlicher Hintergrund der von außen als Posse erscheinenden Diskussionen sind die seit 1947 anhaltenden Auseinandersetzungen um das an der Grenze zwischen beiden Ländern liegenden Kaschmir. Sowohl Indien als auch Pakistan beanspruchen die Region ganz oder teilweise für sich und haben deshalb schon drei Kriege gegeneinander geführt. Im indischen Teil Kaschmirs sympathisieren Angehörige der muslimischen Bevölkerung mit Pakistan, und von Islamabad unterstützte Aufständische kämpfen für eine Abspaltung. Indien hält mit enormer Militärpräsenz dagegen. An der Grenzlinie kommt es immer wieder zu Feuergefechten. Alle Versuche, den Zwist durch Dialog zu lösen, scheiterten bislang an mangelnder Kompromißbereitschaft. Neu-Delhi lehnt eine Vermittlung Dritter ab, weil es eine Internationalisierung des Konflikts befürchtet.

* Aus: junge welt, Samstag, 8. März 2014


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