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Manipurs "Eiserne Lady" wieder in Haft

Indische Menschenrechtsaktivistin Irom Chanu Sharmila war nur zwei Tage in Freiheit

Von Hilmar König, Delhi *

Die als »Eiserne Dame von Manipur« bekannte indische Menschenrechtsaktivistin Irom Chanu Sharmila wurde nur zwei Tage nach ihrer Freilassung in der vergangenen Woche wieder festgenommen.

Nur kurze Zeit war die indische Menschenrechtsaktivistin Irom Chanu Sharmila auf freiem Fuß. Am Mittwoch vergangener Woche freigelassen, wurde sie am Freitag wieder festgenommen. Seit 14 Jahren protestiert die 42-Jährige mit einem Hungerstreik gegen ein Gesetz, das den Streitkräften in ihrer Heimat Sondervollmachten einräumt.

»Ikone des zivilen Widerstands«, »Stählerne Revolutionärin«, »Heroische Kämpferin«, »Eiserne Lady« – das sind nur einige der Titel, die indische Medien Irom Chanu Sharmila verliehen haben. Einige stellen sie sogar in eine Reihe mit Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Doch dagegen wehrt sie sich. Sie will nicht gepriesen werden, sondern sie ersucht ihre Landsleute um Massenunterstützung für ihr Anliegen: Frieden und Entwicklung.

Miserable Lebensbedingungen, schwache sozialökonomische Strukturen und ethnische Auseinandersetzungen sind im nordostindischen Unionsstaat Manipur an der Grenze zu Myanmar der Nährboden für eine seit Jahrzehnten operierende Aufstandsbewegung. Der Staat geht dagegen vor allem mit militärischen Mitteln vor. Eine Sonderverordnung (AFSPA) aus dem Jahr 1990 räumt den Streitkräften bei der Bekämpfung separatistischer Gruppen im Nordosten ebenso wie im nordwestlichen Jammu und Kaschmir weitgehende Befugnisse ein. Die Soldaten dürfen beispielsweise auf Sicht schießen und Verdächtige ohne Haftbefehl festnehmen. Das öffnet auch dem Missbrauch Tür und Tor. Irom Sharmila hatte im Jahr 2000 als Augenzeugin miterlebt, wie nahe ihrem Haus an einer Bushaltestelle zehn Menschen von Angehörigen des Militärs niedergemetzelt wurden. Daraufhin trat sie in den Hungerstreik – und wurde im November 2000 auf Gerichtsbeschluss festgenommen, weil nach Ansicht der damaligen Richter durch die Nahrungsverweigerung »Selbstmordgefahr« bestand. In Wirklichkeit war das ein politisches Urteil. Der Unionsstaat und die Zentrale in Delhi wollten die Mahnerin mundtot machen. Sie sollte aus den Schlagzeilen verschwinden.

In ein Gefängniskrankenhaus eingewiesen, wurde Sharmila drei Mal täglich durch einen Tropf zwangsernährt. Örtliche Gerichte wiesen zwar wiederholt ihre Freilassung an, doch da sie jedes Mal sofort wieder in den Hungerstreik trat, wurde sie immer wieder festgenommen. »Meinen Hungerstreik unternehme ich im Namen der Menschen von Manipur. Das ist kein persönlicher Kampf. Er ist symbolisch. Er ist ein Symbol für Wahrheit, Liebe und Frieden«, erklärte Sharmila 2006 gegenüber der BBC. Und dieser Position blieb sie treu.

Die »Eiserne Lady« will die Außerkraftsetzung des AFSPA. Der Staat weist diese Forderung mit der Begründung zurück, ohne das Gesetz könnten die Streitkräfte ihre Aufgaben nicht erfüllen. Eine vom Höchsten Gericht ernannte Untersuchungskommission kam indes im Juli 2013 zu dem Schluss, dass die Aufständischen trotz des Gesetzes weiter aktiv sind und dass unter dessen Deckmantel schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden. Die Organisation Human Rights Alert und die manipurische Vereinigung von Opferfamilien hatten dem Gericht im September 2012 eine Namensliste von 1528 Personen vorgelegt, die seit 1979 in Manipur durch außergerichtliche Hinrichtungen getötet wurden.

Am Dienstag vergangener Woche hatte ein weiteres Gericht geurteilt, Sharmila bediene sich bei ihrer »politischen Forderung legaler Mittel« und eine Selbstmordgefahr könne ausgeschlossen werden. Sichtbar geschwächt, mit Tränen in den Augen, nach Worten suchend, verließ sie daraufhin das Jawaharlal-Nehru-Hospital in Imphal, der Hauptstadt von Manipur.

»Ich werde mein Fasten fortsetzen, bis AFSPA ein für alle Mal abgeschafft wird,« kündigte sie im Kreise der »Kampagne rettet Sharmila« an. Das Gerichtsurteil habe die Rechtmäßigkeit ihres Handelns bestätigt, sagte sie, »Wegen AFSPA gibt es in meinem Heimatland so viele Witwen. Ich bin kein Opfer des Konfliktes, aber ich möchte nicht, dass kommende Generationen in dieser Dunkelheit aufwachsen.«

Allerdings gestand das Urteil der Regierung auch zu, »angemessene Maßnahmen« zum Schutz von Sharmilas Sicherheit und Gesundheit zu ergreifen. Die indische Polizei begründete ihre abermalige Festnahme am Freitag denn auch wieder mit ihrem Hungerstreik. Ein Polizeivertreter, der anonym bleiben wollte, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: »Wir können sie nicht sterben lassen.«

* Aus: neues deutschland, Montag 25. August 2014


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