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Diplomatisches Trommelfeuer

Unter dem Motto "Indien zuerst" ging Premier Narendra Modi 2014 in die außenpolitische Offensive. Dabei orientiert er vor allem auf die USA

Von Hilmar König/Neu-Delhi *

Im vergangenen Jahr entpuppte sich in Indien der hindu-nationalistische Premierminister Narendra Modi überraschenderweise als geschickter und energischer Diplomat auf der internationalen Bühne. Gemäß seinem Motto »Indien zuerst« will er dem Land zu einer Position verhelfen, die seinen Status als aufstrebende Wirtschaftsmacht, in der Raumfahrt sowie im militärischen Bereich angemessen reflektiert.

Wenn US-Präsident Barack Obama am 26. Januar 2015 als Ehrengast zum 65. Jahrestag der Republik Indien der Festparade in Neu-Delhi beiwohnt, markiert das den bisherigen Höhepunkt nicht nur in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern, sondern auch des neuen außenpolitischen Kurses der Modi-Regierung. Obama ist der erste US-Präsident, der Augenzeuge dieses militärisch geprägten Spektakels sein wird. Und er ist der erste Präsident, der in seiner Amtszeit zweimal Neu-Delhi besucht.

Rund eine Dekade lang war der indische Regierungschef wegen der Massaker in Gujarat im Jahre 2002 von Washington mit einem Einreiseverbot belegt worden. In dem Bundesstaat, in dem Modi zu diesem Zeitpunkt Regierungschef war, waren während eines dreitägige Pogroms allein nach offiziellen Zahlen über 1.000 Menschen getötet worden, fast 800 davon Muslime.

Als Modi im September in New York und Washington mit Präsident Obama zusammentraf, eröffnete Modi ein neues Kapitel in dem bilateralen Verhältnis. Dass Obama die Einladung zum Tag der Republik annahm, belegt das überzeugend. Die strategische Partnerschaft wird deutlich vertieft werden. Die USA werden ihre Position als Indiens wichtigster Rüstungslieferant ausbauen. Schon jetzt führt das Pentagon mit Indien mehr Militärmanöver durch als mit irgendeinem anderen Land. Und Modi hat den US-Investoren den Himmel auf Erden versprochen.

Als Regierungschef in Gujarat war Modi vor seinem Amtsantritt im Mai mehr als zehn Jahre lang ein agiler und charismatischer nationaler Politiker, ohne Erfahrungen in der Außenpolitik. Deshalb hatte man nicht erwartet, dass er sich gerade in diesem Bereich derart engagieren würde. Doch es folgte ein wahres Trommelfeuer an Auslandsreisen und Einladungen an ausländische Staats- und Regierungschefs. Modi lud zu seiner Amtseinführung im Mai alle Spitzenpolitiker der südasiatischen Nachbarstaaten ein, auch den pakistanischen Premier Nawaz Sharif. Er reiste nach Bhutan, Nepal, Japan, das ihm 35 Milliarden Dollar an Investitionen anbot, zum BRICS-Gipfel nach Brasilien, zur UNO-Vollversammlung und in die USA, zum G-20-Treffen in Brisbane sowie zum Ostasiengipfel. Er empfing den australischen Premier Tony Abbott, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der 20 Milliarden Dollar für Infrastrukturprojekte in Aussicht stellte, und er verhandelte mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Die indischen Repräsentanten in der Welthandelsorganisation zeigten sich unbeugsam, als es um die Nahrungsmittelsicherheit für Millionen Inder gegen »Handelserleichterungen« ging.

Während der Trend zu den USA unverkennbar ist, bemüht sich Neu-Delhi zugleich um die Durchsetzung nationaler Interessen und um Spielraum für die Außenpolitik. »Die Welt kann keine neuen Blöcke haben. Jeder ist mit jedem verbunden. Es ist ein Gewebe. Keine einzelne Macht kann die Welt dominieren«, sagte dazu Modi. Er will Indien konkurrenzfähiger, gewichtiger und selbstbewusster in der Weltarena machen. Dem dient auch die »Look East«-Orientierung, die zwar von seinem Vorgänger Manmohan Singh ausgegeben worden war, die Modi jetzt aber vehement betreibt – auch um den starken Einfluss Chinas in Südostasien und in Südasien zu kontern.

Ein besonderes Kapitel ist das tief gestörte Verhältnis mit Pakistan. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es unter Premier Modi in absehbarer Zeit zu guten Beziehungen kommen wird. Ein besonderes Verhältnis besteht auch zu Israel, das ein Hauptwaffenlieferant für Indien geworden ist. Dennoch hielt die neue Regierung bislang an der traditionellen Solidarität mit den Palästinensern fest. Aber hier, so ein Bericht der Zeitung The Hindu, zeichne sich eine »tektonische Veränderung« ab. Neu-Delhi erwäge, sein Abstimmungsverhalten in der UNO, das bisher propalästinensisch war, durch Stimmenthaltung zu ersetzen. Es bedürfe nur noch eines »administrativen Abnickens«.

Tritt das ein, trennt sich Indien von einer seiner ältesten außenpolitischen Grundlinien. 1947 votierte es in der UNO gegen die Teilung Palästinas und 1974 war es der erste nichtarabische Staat, der die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als einzige legitime Vertretung der Palästinenser anerkannte. 1988 gehörte Neu-Delhi zu den ersten, die den Staat Palästina anerkannten. 1996 eröffnete es in Gaza eine Vertretung. 2003 stimmte es gegen den Bau der israelischen Mauer und 2011 für Palästina als UNESCO-Vollmitglied.

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Januar 2015


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