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Unverständnis für Narendra Modi

Indien: Schwere Schäden durch Unwetter. Regierung verteidigt bauernfeindliches Landerwerbsgesetz

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In den vergangenen Wochen sind durch ungewöhnlich heftige Regenfälle und Hagel in Nord- und Mittelindien auf 2,7 Millionen Hektar Ackerland die Ernten vernichtet worden. Viele Landwirte in den Bundesländern Uttar Pradesh, Madhya Pradesh, Rajasthan, Punjab, Haryana und Maharashtra stehen vor dem Ruin. Etliche sahen nur den Freitod als Ausweg aus der Katastrophe. Das Ausmaß der Schäden bei Weizen, Gerste und Reis, bei Hülsenfrüchten und Ölsaaten, Raps und Kartoffeln, Obst und Gemüse ist noch nicht erfasst. In Maharashtra zerstörte Hagel Orangen- und Apfelplantagen. Die Spur der Verwüstung zieht sich dort durch 1.400 Dörfer in 15 Distrikten. Wie Daily Mail Online berichtete, fiel in 4.227 Dörfern Rajasthans die Frühjahrsernte den Niederschlägen zum Opfer. Fast 1.400 Stück Vieh verendeten dort.

Steigende Lebensmittelpreise im ganzen Land sind die Folge. Gemüse hat sich bereits um bis zu 20 Prozent verteuert. Bauern und Landarbeiter erwarten großzügige staatliche Hilfe und Entschädigung, um die Ausfälle zu kompensieren und wieder über die Runden kommen zu können. Deshalb hatten Millionen Farmer und ihre Familien am Wochenende mit hohen Erwartungen vor den Radios gesessen, als Premier Narendra Modi in seiner wöchentlichen Botschaft zu aktuellen Problemen diesmal vor allem zur Landbevölkerung sprach. Er beklagte zwar die Lage der Betroffenen und versicherte, die Regierung werde alles unternehmen, ihnen aus der Misere zu helfen.

Den Großteil seiner Ansprache widmete er jedoch der Verteidigung des Landerwerbsgesetzes, das seine Regierung der Indischen Volkspartei (BJP) gerade modifiziert hat. Dies stieß bei den Farmern auf Unverständnis, die nicht wissen, wie sie die Rechnungen für Strom, Diesel und Dünger, das Schulgeld für ihre Kinder und die Zinsen an die privaten Geldverleiher begleichen sollen.

Die ursprüngliche, von der Vorgängerregierung verabschiedete Fassung des Gesetzes wurde von der BJP als zu »bauernfreundlich« bewertet. Der hindunationalistischen Partei zufolge hemmte es außerdem die industrielle Entwicklung. Tatsächlich enthielt sie eine Reihe von Hürden, die expandierende Großunternehmen zu überwinden hatten. So gab es eine Klausel, um negative soziale Auswirkungen zu verhindern. Sie erklärte eine Zustimmung der Bauern zum Verkauf von Boden für privat-öffentliche Projekte zur unabdingbaren Voraussetzung. Diese Einschränkung wurde jetzt gestrichen. Die oppositionelle Kongresspartei, die Kommunisten, mehrere Regionalparteien, Sozialaktivisten und Landwirtschaftsverbände reagierten darauf mit scharfer Kritik. Sie argumentieren, mit der Modifikation sei die Regierung ins andere Extrem verfallen, begünstige beim Kauf von Land einseitig Industrielle und lege keinen Wert mehr darauf, ob der Bodenbesitzer einem Verkauf überhaupt zustimmt. Selbst Bauernorganisationen, die mit der BJP verbündet sind, lehnen das Gesetz in der vorliegenden Form ab.

Modi wies in seiner Radioansprache alle Einwürfe als Lügen zurück. Die Modifikation erleichtere künftig den Bau von Straßen, Hospitälern und Wohnungen. Die jetzige Fassung berücksichtige die Interessen der bäuerlichen Landbesitzer und sorge für soziale Gerechtigkeit, behauptete er. Denn in den geplanten Industriebetrieben könnten doch auch die Kinder der Bauern später Beschäftigung finden.

Während die Landbevölkerung mit den aktuellen Auswirkungen des Unwetters zu kämpfen hat und die Menschen tiefer in die Taschen greifen müssen, um ihre Lebensmittel zu bezahlen, machen Indiens Parlamentsabgeordnete erst einmal Ferien. Am 5. April soll die viel kritisierte Gesetzesnovelle in Kraft treten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. März 2015


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