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Frauen abgedrängt

Indien: Nur sieben Prozent der Kandidaten bei der laufenden Parlamentswahl sind weiblich. Parteien verweigern seit 18 Jahren Einführung einer Quote

Von Manipadma Jena, IPS *

Subhasini Ali kandidiert im Wahlkreis Barrackpore im ostindischen Bundesstaat Westbengalen für einen Parlamentssitz. Die 67jährige ist prominente Vertreterin der »All India Democratic Women’s Association« (AIDWA), eines Arms der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), und war zweimal Abgeordnete ihres Landes. Die Politikerin gehört zu den wenigen Frauen des Subkontinents, die bei allgemeinen Wahlen antreten. Selbst Parteien, die lautstark für eine Frauenquote plädieren, erwiesen sich als Enttäuschung: Auch ihre Kandidaten für das 543 Sitze zählende Unterhaus »Lok Sabha« sind zu mehr als 90 Prozent Männer. Insgesamt sind nur sieben Prozent der 3355 Kandidaten in den ersten fünf des neun Phasen umfassenden Abstimmungsprozesses Frauen, wie die Vereinigung für demokratische Reformen (ADR) berichtet.

»Die Männer sind nicht bereit, uns Frauen Platz zu machen«, konstatiert Subhasini Ali. Aktivistinnen sehen auch für die letzten Phasen des Urnengangs keine Chancen für eine größere weibliche Repräsentanz. Frauen stellen 47,6 Prozent der 814,5 Millionen Stimmberechtigten bei den Wahlen vom 7. April bis 12. Mai. Jyotsna Chatterji vom Gemeinsamen Frauenprogramm JWP stellt fest: »Diese Wahl gibt uns das Gefühl, verloren zu haben. Frauen werden immer mehr abgedrängt«.

Auch bei den allgemeinen Wahlen 2009, zu denen 363 Parteien antraten, waren nur sieben Prozent der Bewerber um ein Abgeordnetenmandat Frauen. 59 von ihnen gewannen einen Sitz, das sind knapp elf Prozent der Parlamentarier.

Die in der Lok Sabha vertretenen politischen Parteien wehren sich seit mehr als 18 Jahren gegen die Verabschiedung des »Frauen-Reservierungsgesetzes« (WRB), das eine Frauenquote vorsieht. Demnach sollten Frauen mindestens ein Drittel aller Sitze im Unter- und Oberhaus halten. Daß es bis heute nicht angenommen wurde, führen Frauengruppen auf zutiefst patriarchalische Denkmuster männlicher Politiker zurück. Würde es verabschiedet, blieben 180 Sitze im Unterhaus den Frauen vorbehalten. Die Gegner der Neuregelung wollen ihnen dagegen nur eine Quote innerhalb einer Quote zugestehen, die es bereits für Frauen aus Dalit- und anderen ethnischen Gemeinschaften gibt. Für diese sind 120 Sitze in der Lok Sabha vorgesehen. 2009 profitierten lediglich 17 Frauen von dieser Quote.

»Viele Parteien haben sich bereit erklärt, der WRB-Klausel zuzustimmen, 33 Prozent der Sitze den weiblichen Parteimitgliedern zu überlassen«, sagt Jyotsna Chatterji, die Ende der 1990er Jahre mit anderen Aktivistinnen die Speerspitze der Pro-Quote-Bewegung bildete. Doch an diese unverbindliche Zusage hat sich niemand gehalten. Dies zeige, daß es ohne eine gesetzlich fixierte Quote nicht gehe, so Subhasini Ali.

Die drei größten Parteien – die regierende Kongreßpartei, die rechte Bharatiya-Janata-Partei (BJP), die aller Voraussicht nach die neue Regierung stellen wird, und die wenige Monate alte Aam-Aadmi-Partei – haben versprochen, im Fall ihres Wahlsiegs das WRB zu verabschieden. Viele Aktivistinnen vertrauen nicht darauf – und fordern offensivere Maßnahmen. »Die Parteistrukturen und der Wahlprozeß selbst brauchen einen radikalen Wandel«, meint etwa Tapashi Praharaj von der linken AIDWA. Und Jyotsna Chatterji macht darauf aufmerksam, daß viel Geld aufgebracht werden muß, um bei den Wahlen kandidieren zu können. Gerade dieser Umstand mache es vielen Frauen unmöglich anzutreten. Sie weist auch das Standardargument männlicher Politiker zurück, daß nur wenige Frauen zur Kandidatur bereit seien. Vielmehr würden fähige Frauen in den Parteien meist nicht wahrgenommen.

Derweil ist die Lage auf der lokalen Ebene schon eine andere. Dort haben bereits mehr als zwei Millionen Frauen in Entscheidungsgremien mitgewirkt. Seit 1993 gilt hier eine Frauenquote von 33 Prozent, in einigen Bundesstaaten konnte diese sogar auf 50 Prozent erhöht werden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 2. Mai 2014


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