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Händeschütteln und Konfrontation

Widersprüchliche Signale während des Staatsbesuches des chinesischen Präsidenten in Indien

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Ein widersprüchliches Bild während des Indien-Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping: Posieren vor den Kameras und zugleich Konfrontation an der umstrittenen Grenze. Mehr als 2000 Menschen – chinesische Yakhirten und Soldaten auf der einen Seite, indische Dörfler, Bauarbeiter und Soldaten auf der anderen – standen sich indischen Medien zufolge in den vergangenen Tagen an zwei Abschnitten der über 4000 Kilometer langen, nicht demarkierten indisch-chinesischen »Linie der realen Kontrolle« (LAC) gegenüber, wie die Grenze im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Jede Seite beschuldigten die andere, das Territorium des Nachbarn betreten zu haben. Zur gleichen Zeit saßen Präsident Xi Jinping und der indische Premier Narendra Modi in Ahmedabad auf einer gujaratischen »Jhula«, einer Art Hollywoodschaukel, und schüttelten für die Fotografen und Kamerleute immer wieder die Hände. Der Gastgeber sprach von »einzigartiger Chemie«, der Gast von »einer Seele in zwei Körpern«. Nach der Unterzeichnung von mehr als einem Dutzend Abkommen ging die Visite Xis so am Freitag trotz allem ziemlich erfolgreich zu Ende.

Bei den Gesprächen am Donnerstag war das seit etwas mehr als 50 Jahren bestehende Grenzproblem, das noch aus der britischen Kolonialzeit stammt, einmal mehr Thema. Über den genauen Grenzverlauf konnte sich eine gemeinsame Kommission in 17 Sitzungen seit 1990 nicht einigen. Modi brachte – nach indischer Darstellung »mit Nachdruck« – seine »tiefe Besorgnis über wiederholte Zwischenfälle« an der LAC zum Ausdruck. Er plädierte dafür, den Konflikt so schnell wie möglich zu lösen und ein Klima gegenseitigen Vertrauens, der Achtung der Empfindsamkeiten und Sorgen der anderen Seite zu schaffen. »Frieden und Stabilität in unserem Verhältnis und entlang unserer Grenzen«, so betonte er, seien Voraussetzung dafür, das enorme Potential der Beziehungen zwischen den beiden asiatischen Giganten zu nutzen.

Xi spielte das unübersehbare Muskelspiel an der Grenze dagegen herunter, indem er erwiderte, manchmal könne es »gewisse Zwischenfälle« geben. Beide Seiten hätten jedoch Mechanismen, solche Situationen »effektiv zu managen«. Er versicherte, Peking sehe sich zum Wandeln auf einem »Pfad friedlicher Entwicklung« verpflichtet. Tatsache ist, daß bei all den Grenzverletzungen der letzten Jahre kein einziger Schuß gefallen ist.

Abgesehen von diesem heiklen Thema fanden beide Seiten große gemeinsame Nenner. Das belegt ein fünf Jahre gültiges Handelsabkommen über 20 Milliarden Dollar, mit dem das Handelsbilanzdefizit Indiens abgebaut werden soll. Für Agrarprodukte, Erzeugnisse des Handwerks, der Pharmaindustrie sowie der Edelstein- und Schmuckbranche wird der Zugang zum chinesischen Markt vereinfacht. Mehr als ein Dutzend Abkommen zur Kooperation bei der Modernisierung der indischen Infrastruktur, der Eisenbahn und des Straßennetzes, bei der Energieerzeugung, in der verarbeitenden Industrie, der Einrichtung von Industrieparks sowie über Städtepartnerschaften wurden unterzeichnet. Die Investitionen sollen einen Umfang von rund zehn Milliarden US-Dollar haben. Modi und Xi vereinbarten zudem die Aufnahme von Gesprächen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Viel Anerkennung fand auch, daß Peking die Eröffnung einer neuen, sichereren Route für indische Hindu-Pilger zum heiligen Berg Kailash in Tibet erlaubt.

In einer Rede vor dem Indian Council for World Affairs verwies Xi auf die weltweite Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen China und Indien, die zusammen mit Brasilien, Rußland und Südafrika Teil der BRICS-Gruppe sind. Peking befürworte auch die Aufnahme Indiens als Vollmitglied in die Shanghai Cooperation Organisation, der außer China und Rußland etliche mittelasiatische Staaten angehören, sowie die Schaffung eines ökonomischen Korridors, der sich von China über Myanmar und Bangladesch bis nach Indien erstreckt. Chinas Präsident regte außerdem eine verstärkte »strategische Kommunikation und Koordinierung in regionalen und internationalen Angelegenheiten« zwischen Peking und Neu-Delhi an, um mehr Einfluß auf globale Ereignisse nehmen zu können.

* Aus: junge Welt, Montag 22. September 2014


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