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Rettungsversuch für Westghats

Indien will Schutzzone im Gebirge einrichten

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die indischen Westghats sollen unter Schutz gestellt werden. Einem Bericht des Ministeriums für Umwelt und Forstwirtschaft zufolge will die Regierung in Neu-Delhi 37 Prozent des ökologisch fragilen Höhenzugs als »Ecological Sensitive Area« (ESA) ausweisen. Die Einzelheiten des Projektes stehen zur öffentlichen Diskussion. Das Ergebnis soll dem National Green Tribunal – einer 2010 vom Parlament geschaffenen Gerichtsinstanz für Umweltfragen – Anfang November unterbreitet und nach dessen Bewertung wirksam werden.

Die bereits existierenden 39 Schutzgebiete in den Westghats wurden 2012 ins UNESCO-Weltnaturerbe aufgenommen. Das sich rund 1600 Kilometer in Nord-Süd-Richtung erstreckende Gebirge mit Höhen bis über 2500 Meter war 1988 zum »ökologischen Krisenherd« erklärt worden, weil fast 60 Prozent des etwa 160000 Quadratkilometer großen Gebietes zersiedelt sind und für Industrie, Staudämme, Bergbau, Land- und Plantagenwirtschaft genutzt werden. Der Bericht des Ministeriums verwendet dafür die Bezeichnung »Kulturlandschaft« im Gegensatz zur »Naturlandschaft«, zu der die Schutzgebiete und andere von Menschenhand noch nicht umgestaltete Areale gehören.

Das Gebirge bietet ein Habitat für 139 Säugetierarten, 179 Amphibienarten und 508 Vogelarten. 325 weltweit gefährdete Spezies kommen hier noch vor. 48 Prozent der Reptilien und 75 Prozent der Amphibien sind endemisch. Das Vorkommen von 35 Prozent der über 5000 blühenden Pflanzen ist ebenfalls auf diesen Raum begrenzt. Die Bergregenwälder der südlichen Westghats gelten als Indiens artenreichste Region. Zudem liegt hier eine der vier Wasserscheiden des Subkontinents. Sie speist die ostwärts fließenden Ströme Godavari, Krishna und Kaveri.

Das Dokument des Ministeriums basiert auf Studien zweier Gruppen. Die erste Vorlage lieferte der Ökologe Madhav Gadgil. Für ihn stand verständlicherweise die Sorge um die Natur an erster Stelle. Seine konsequenten Schlußfolgerungen und Empfehlungen für strikten Schutz der gesamten Westghats stießen auf vehemente Ablehnung der Regierungen der Bundesstaaten Maharashtra, Goa, Karnataka, Kerala und Tamil Nadu, über deren Territorium sich das Gebirge erstreckt. Sie sahen von diesen Vorschlägen die Existenzgrundlage von Millionen Menschen und die Interessen der Industrie- und Bergbaufirmen bedroht. Deshalb beauftragte das Umweltministerium das Mitglied der staatlichen Planungskommission, Krishnaswamy Kasturirangan, die Studie Gadgils zu überprüfen und mit Rücksicht auf die Einwände der Bundesstaaten zu modifizieren. Gadgil wurde nach eigener Aussage nicht mehr konsultiert, ein von ihm angestrebtes Treffen mit Umweltministerin Jayanthi Natarajan wurde von dieser abgelehnt.

In der etwa 60000 Quadratkilometer großen ESA – das sind 90 Prozent der verbleibenden Naturlandschaft – werden Bergbau, Steinbrüche, Kohlekraftwerke und verschmutzende Industrien wie Ölraffinerien, Alu- und Kupferhütten, Gerbereien, Düngemittel- oder Zementfabriken verboten. Andere Projekte bedürfen der Zustimmung der Dorfräte. Die ESA-Zone macht um die »Kulturlandschaft«, um Siedlungen, Agrarflächen und Plantagen, einen Bogen. Neue Gemeinden und Gebäudekomplexe mit mehr als zwei Hektar Ausdehnung dürfen allerdings nicht mehr gebaut werden. Was sich jedoch bereits im Planungsstadium befindet, erhält grünes Licht. Windräder dürfen in der ESA aufgebaut werden, bis es dazu klare Umweltrichtlinien gibt, ebenso Wasserkraftwerke, doch unter neuen strikten Auflagen. Zwei größere Wasserkraftprojekte in Kerala und Karnataka werden allerdings gesondert behandelt.

Selbst gegen diese abgeschwächte Fassung laufen die ESA-Gegner nun Sturm. Die Regierung Keralas hat auf einem Allparteientreffen dem Projekt des Umweltministeriums eine einmütige Absage erteilt. Auf der anderen Seite machen sich die Befürworter der Rettung der Westghats lautstark bemerkbar. Das letzte Wort wird schließlich das National Green Tribunal sprechen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Oktober 2013


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