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Gefahr für Indiens "Rote Bastion"

Opposition will Linksfront in Westbengalen mit allen Mitteln aus der Regierung drängen

Von Henri Rudolph, Delhi *

Bei Kommunalwahlen im indischen Unionsstaat Westbengalen sah sich die Linksfront, die dort seit 33 Jahren an der Macht ist, am Sonntag (30. Mai) vor allem von der Oppositionspartei Trinamool Congress (TC) und der Kongresspartei herausgefordert. Das Wahlergebnis, das am Mittwoch (2. Juni) veröffentlicht wird, berührt die Zukunft des linken Regierungsbündnisses.

Obwohl die Wahlen nur über die Zusammensetzung örtlicher Volksvertretungen entscheiden, sind sie Teil eines erbitterten politischen Kampfes. Dessen Schärfe lässt sich daran ablesen, dass während der Wahlkampagne rund 200 linke Aktivisten getötet worden sein sollen. Selbst ein Eisenbahnunglück am vergangenen Freitag (28. Mai) , bei dem mehr als 145 Menschen starben und über 180 Passagiere Verletzungen erlitten, wurde zu Wahlkampfzwecken missbraucht. Es habe sich um eine »politische Verschwörung« gehandelt, behauptete Mamata Banerjee, Chefin des Trinamool Congress (TC) und Eisenbahnministerin der Zentralregierung in Delhi.

Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee von der KPI (Marxistisch) erklärte, seine Kontrahentin bediene sich der »Sprache der Unterwelt« und eines »Stils der Nazi-Propaganda«. Sie unterstütze separatistische Kräfte und kollaboriere mit den militanten, in Westbengalen sehr aktiven Maoisten. Der Hindu-Freiwilligenverband RSS, Maoisten, rechte Organisationen und Fundamentalisten sind nach den Worten des Chefministers mit dem Trinamool Congress »eine Regenbogenallianz eingegangen, um die Linksfront von der Macht zu verdrängen.« Diese Allianz stelle eine »dunkle, giftige Kraft« dar. Mohammed Salim, Führungsmitglied der KPI (M), warf dem TC vor, er setze »seit einem Jahr auf Mord, Raub und Brandschatzungen«, um Angst und Schrecken zu verbreiten und Anarchie zu stiften.

Mamata Banerjee blieb ihren politischen Gegnern nichts schuldig und bezeichnete die KPI (M) als Hauptfeind. Die Führer dieser »reichsten Partei Indiens« stopften sich die »Taschen mit öffentlichen Geldern voll«. Nach 33 Jahren linker Regierungen sei es höchste Zeit für einen Wandel, für »Wiedergeburt und Erneuerung Westbengalens«, für eine »Entwicklung mit menschlichem Antlitz« und für die »Wiederherstellung der Demokratie«. Bhattacharjees Regierung töte Menschen, verübe Gräueltaten und wolle ihre Macht durch Wahlbetrug erhalten. Dagegen sei ihre Partei die »einzige konstruktive Alternative«. Im Fall einer Niederlage bei den Kommunalwahlen müssten die Linken abtreten und bereits im Oktober Neuwahlen für das Parlament Westbengalens ansetzen. Diesem Ziel ordnete Frau Banerjee alles unter. Sie will Chefministerin werden und den Unionsstaat »aus den Krallen der Linksfront befreien«. Die Kommunalwahlen betrachtete sie als ersten Schritt dazu.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Juni 2010


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