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Roter Stern droht in Ostindien zu verblassen

Westbengalens linker Chefminister sieht sich mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert

Von Hilmar König, Delhi *

Buddhadeb Bhattacharjee, der Chefminister des seit über 30 Jahren von einer Linksfront regierten indischen Unionsstaates Westbengalen, resümierte dieser Tage seine zehnjährige Amtszeit. Besonders zu schaffen macht ihm gegenwärtig die ultralinke militante Naxaliten-Bewegung.

Wenn Chefminister Bhattacharjee sich in der Öffentlichkeit zeigt, lässt sich aus seiner Miene schwer ablesen, was ihn bewegt. Stets wirkt er stoisch cool und unbeirrbar, obwohl ihn in der zweiten Hälfte seiner zehnjährigen Amtszeit mehr als ein Problem plagte. Da war zunächst die schmerzliche Entscheidung, in Singur das Projekt des Tata-Kleinwagens »Nano« aufgeben zu müssen. Der Betrieb zog in den westindischen Unionsstaat Gujarat um. Die oppositionelle Partei Trinamool Congress (TC) hatte sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die energisch und mit Gewalt gegen die Verwendung von Agrarland für das Industrieprojekt protestierte. In der Auseinandersetzung wurden über 40 Menschen getötet. Bhattacharjee musste eine schwere Niederlage hinnehmen.

Ähnlich in Nandigram, wo der Chefminister im Rahmen seines ehrgeizigen Industrialisierungsprogramms einen riesigen, mit Auslandskapital finanzierten Industriekomplex schaffen wollte. Er musste das Vorhaben wegen des vom TC aufgeheizten lokalen Widerstands aufgeben.

Im Norden des Unionsstaates bereitet ihm der nepalesischstämmige Bevölkerungsteil in den Darjeeling Hills Sorgen, der einen separaten Staat »Gorkhaland« schaffen will. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr erlitt die Linksfront eine herben Rückschlag, als sie vom Wahlbündnis TC/Kongresspartei ausmanövriert wurde. Die Zahl der Abgeordneten der westbengalischen Linken im Parlament des Unionsstaates sank von 42 im Jahre 2004 auf jetzt 15.

Schließlich das brennend aktuelle Thema, irgendwie mit dem maoistischen Aufruhr, der Bewegung der Naxaliten, in den drei westbengalischen Distrikten Paschim Medinipur, Bankura und Purulia fertig zu werden. Weite Teile der Region Lalgarh werden immer noch von der Naxaliten-Guerilla beherrscht, obwohl der Chefminister die Zentralregierung in Delhi um militärische Unterstützung ersuchte und auch 23 Kompanien Sicherheitskräfte erhielt.

Am Sonntag erklärte er auf einer Kundgebung in Debra im Distrikt Paschim Medinipur, er werde Westbengalen von der Anwesenheit der Maoisten erlösen. Inzwischen hätten im Lalgarh-Gebiet zwölf Polizeistationen wieder unter staatliche Kontrolle gebracht werden können. Bhattacherjee bezeichnete die militanten Maoisten als eine »Armee von Killern«, denen es nicht um das Wohl der Armen gehe, sondern die ihnen Geld abpresse und sie mit der Gewalt der Bajonette in ihre Reihen zwinge. Gespräche mit den Linksextremisten kämen höchstens in Frage, wenn diese der Gewalt abschwören und ihre Waffen abliefern.

Die KPI(Marxistisch) argumentiert, der TC stecke mit den Maoisten unter einer Decke, um überall in Westbengalen Chaos und Anarchie zu stiften. Über 160 Mitglieder der Partei seien bisher den Naxaliten-Kommandos zum Opfer gefallen. Mamata Banerjee, die TC-Chefin und Eisenbahnministerin in der Zentralregierung, hat bereits mehrmals gefordert, die Linksregierung in Westbengalen in die Wüste zu schicken und die Präsidentenherrschaft zu proklamieren. Das heißt, Delhi soll mit Hilfe des Gouverneurs bis zu den Wahlen direke Regierungsgewalt ausüben.

Am Sonnabend fanden in zehn Wahldistrikten Nachwahlen zum westbengalischen Staatsparlament statt. Noch ist offen, ob sich Bhattacharjees Hoffnung erfüllte, durch ein gutes Ergebnis den beschädigten Ruf der Linksfront aufbessern und der Allianz aus TC und Kongresspartei-Allianz Wind aus den Segeln nehmen zu können. Im Jahre 2011 finden die nächsten Wahlen zum Parlament des Unionsstaates statt.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2009


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