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"Aggressive Opposition"

Der Druck auf die Linksfront im indischen Westbengalen wächst von allen Seiten

Von Hilmar König *

Die regierende Linksfront im indischen Bundesstaat Westbengalen steht von allen Seiten unter Beschuß. Von Tag zu Tag wird deutlicher, daß die vielgefächerte Opposition alle Register zieht, einen erneuten Wahlsieg der Koalition aus KPI (Marxistisch), KP Indiens, Revolutionärer Sozialistischer Partei und dem Allindischen Vorwärtsblock zu verhindern. Seit 34 Jahren ist diese Allianz in Westbengalen an der Regierung. Spätestens im Mai finden hier Wahlen zur Volksvertretung (Assembly) statt.

An vorderster Front der Opposition steht der Trinamool Congress (TMC), der von der gegenwärtigen Eisenbahnministerin Mamata Banerjee geleitet wird. Die Partei ist Koalitionspartner der Indien regierenden Vereinten Progressiven Allianz. In Westbengalen wird sie bei den Wahlen ein Bündnis mit der Kongreßpartei eingehen. Nach Siegen bei Abstimmungen auf kommunaler und städtischer Ebene im vorigen Jahr geht dieses Bündnis mit großen Chancen ins Rennen. Zugleich arbeitet der TMC mit den maoistischen Rebellen zusammen, die in etlichen Distrikten Westbengalens aktiv sind und deren Überfällen auch Kommunisten zum Opfer gefallen sind. Sie attackieren Parteibüros, Polizeiposten und staatliche Einrichtungen, sorgen für Unruhe und versuchen so, die Linksfront zu schwächen. Potentielle Linkswähler sowie Kandidaten der Linken werden unter Druck gesetzt. Die Wahlbeteiligung soll so gering wie möglich gehalten werden.

Erst Anfang des Monats kam es im Dorf Netai zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, an der Sympathisanten der KPI (Marxistisch) beteiligt waren. Neun Menschen wurden getötet. Am Mittwoch reiste der Gouverneur Westbengalens nach Netai und sprach von einem »ziemlich ernsten Zwischenfall«. Zuvor hatte er konstatiert, daß sich in Westbengalen der »Kreis des Blutvergießens« ausweitet. Fast gleichzeitig entschloß sich die nationale Wahlkommission zu einem beispiellosen Schritt: Sie schickte ein Beobachterteam nach Westbengalen, obwohl der Wahltermin noch gar nicht feststeht. Die sechsköpfige Gruppe soll die Lage überprüfen. Prakash Karat, der Generalsekretär der KPI (M), erklärte dazu, eine solche Mission trage nicht zur Vorbereitung für eine freie und faire Abstimmung und zur Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung bei. Finanzminister Pranab Mukherjee bezeichnete die gegenwärtige Lage als »völlig inakzeptabel«.Auch Justizminister Veerappa Moily äußerte sich besorgt.

Vor diesem Hintergrund rief Innenminister Palaniappan Chidambaram dieser Tage den westbengalischen Chefminister Buddhadeb Bhattacharjee zu »Konsultationen« nach Neu-Delhi und verlangte Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt in diesem Bundesstaat. Bhattacharjee versicherte, alles zu unternehmen, um militante Gruppen zu entwaffnen und die Gewaltspirale zu stoppen. Im gleichen Atemzug wies Minister Chidambaram erneut auf das Zusammenwirken zwischen TMC und Maoisten hin. Diese sei der Hauptgrund für die Unruhen. Die Regierung in Neu-Delhi müsse sich unmißverständlich davon distanzieren, daß ein Koalitionspartner offen und direkt mit den Maoisten gemeinsame Sache macht.

Der Generalsekretär der KP Indiens, Ardhendu Bhushan Bardhan, unterstrich im junge Welt -Gespräch, daß es diesmal angesichts der aggressiven Opposition sehr schwer wird, das Votum im Frühjahr zu gewinnen. Nilotpal Basu aus der Führungsriege der KPI (M) äußerte sich ähnlich, wenn auch eine Nuance optimistischer. Seine Partei glaubt, es gebe wieder einen Trend hin zur Linksfront. »Wir rechnen mit einem Sieg, wenn auch knapper als in der Vergangenheit«, lautet der Grundtenor.

* Aus: junge Welt, 21. Januar 2011


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