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"Wasser ist keine Ware, Wasser ist Leben"

Der indische Bürgerrechtler Rajendra Singh ist gegen Privatisierung öffentlichen Gutes *


Rajendra Singh ist einer der bekanntesten indischen Umwelt- und Bürgerrechtsaktivisten. Seit Jahrzehnten kämpft er für den Schutz der Ressource Wasser. Im Bundesstaat Rajasthan hat er in Modellprojekten gezeigt, wie Menschen auf lokaler Ebene ökologisch und politisch verantwortungsvoll mit Wasser umgehen können. Jetzt will der »Waterman« in ganz Indien für ein Umdenken werben. Für »nd« sprach Stefan Mentschel mit ihm.

Sie haben eine Kampagne für den Schutz des Wassers ins Leben gerufen. Warum?

Wasser ist die wichtigste natürliche Ressource für unser Leben. In Indien jedoch werden die Menschen zunehmend ihres Rechts auf freien Zugang zu sauberem und sicherem Wasser beraubt. Unternehmen aus aller Welt wollen bei uns mit Wasser Geld verdienen, die Nutzung und Verteilung kontrollieren. Die Regierung fördert das oder schaut tatenlos zu. Dem wollen wir mit der Kampagne entgegensteuern.

Was steht dabei im Mittelpunkt?

Es geht um Demokratisierung und Aufklärung. In Hindi heißt unsere Kampagne »Jal Jan Jodo«. Sinngemäß bedeutet das, die Ressource Wasser und die Menschen zusammenzubringen. Wir wollen ein Bewusstsein für die Gefahren der Privatisierung schaffen und werben für den Erhalt des Wassers als öffentliches Gut. Gleichzeitig klären wir die Leute über ihre Rechte und Verpflichtungen beim Umgang mit dieser wertvollen Ressource auf.

Wie wirkt sich die Privatisierung des Wassers aus?

Die Regierung verpachtet an Unternehmen das Recht, Wasser faktisch ohne Beschränkung selbst aus den tiefsten Gesteinsschichten zu fördern. Die natürlichen Speicher werden rücksichtslos ausgebeutet, so dass es in betroffenen Regionen kaum noch Grundwasser gibt. Die Menschen spüren das durch akuten Wassermangel.

Die Regierung gibt den Unternehmen freie Hand?

In den letzten Jahren haben Hunderte Firmen Lizenzen für die Ausbeutung der Wasserressourcen bekommen. Umweltauflagen spielen dabei kaum eine Rolle. Das Grundwasser wird im großen Stil abgepumpt. Hinzu kommt die ökologische Belastung durch die chemische Aufbereitung des Wassers für die Industrie.

Aber die Wasserknappheit lässt sich doch nicht nur auf profitorientierte Konzerne schieben. Indiens »Kornkammer« im Nordwesten ist eigentlich zu trocken für den Reisanbau. Trotzdem wird von dort aus ins ganze Land geliefert. Bewässert werden die Felder mit Grundwasser aus großen Tiefen, das dadurch immer weiter absinkt ...

Das ist richtig. Landwirtschaftliche Reformen haben in Indien aber auch dazu geführt, dass es heute für alle Menschen genug Lebensmittel gibt. Industrialisierung und Konzentration der Landwirtschaft führen allerdings zu neuen Problemen. Der Reis für das Land müsste eigentlich in den regenreichen östlichen Bundesstaaten angebaut werden, doch dort fehlen die Strukturen dafür. Im Nordwesten dagegen ist die Produktivität hoch, aber es gibt zu wenig Wasser. Auch in diesem Bereich wäre die Regierung gefordert.

Sie haben einmal gesagt, in Indien gebe es kaum noch ökologisch gesunde und saubere Flüsse. Warum?

Nur wenige Flüsse wie der Ganges oder der Yamuna, der durch Delhi fließt, speisen sich aus Schmelzwasser. 99 Prozent der indischen Flüsse brauchen Grundwasser. Doch wenn die Grundwasser führenden Schichten ausgebeutet sind, fehlt den Flüssen das Quellwasser. Viele Flüsse führen deshalb viel zu wenig Wasser oder drohen ganz auszutrocknen. Das Ökosystem ist gestört. Hinzu kommt die extreme Verschmutzung vieler Flüsse, weil Abwässer ungehindert eingeleitet werden.

Privatisierung, Ausbeutung, Umweltverschmutzung: Hat die indische Regierung beim Schutz des Wassers versagt?

Die Dimensionen stimmen nicht. Nach der Unabhängigkeit hat man riesige Staudämme und gewaltige Kanalsysteme gebaut. Aber keine Regierung kam auf die Idee, das Wassermanagement für ein so riesiges Land zu dezentralisieren, es in die Hände der Betroffenen zu legen. Die politisch Verantwortlichen haben an den Bedürfnissen von Mensch und Natur vorbei regiert. Die Folgen sind verheerend.

Wenn Politik und Verwaltung versagen, könnten da nicht Privatunternehmen mit ihrem Know-how helfen? In Delhi etwa ist die Wasserversorgung völlig marode. Der französische Konzern Veolia soll daher in einigen Stadtteilen das System sanieren und die Versorgung mit Trinkwasser sichern ...

Wir sind dagegen, denn im Namen einer solchen Reform wird den Menschen langfristig ihr Recht auf Wasser genommen. Unternehmen wollen Geld verdienen. Das dürfen sie auch gern im Straßenbau oder bei der Energieversorgung tun. Aber nicht mit Wasser, denn Wasser ist keine Ware, Wasser ist Leben.

Aber Sie sagten doch gerade, dass die Politik gescheitert ist. Wie soll sich dann überhaupt etwas ändern?

Ich habe Hoffnung, dass die Jugend ein stärkeres Bewusstsein für den unschätzbaren Wert des Wassers und der Natur entwickelt. Wenn diese Generation an die Hebel der Macht kommt, könnte sie etwas ändern.

Und die Kampagne »Jal Jan Jodo« soll bei der Bewusstseinsbildung helfen?

Das hoffen wir. Wir sind bereits in 18 Bundesstaaten Indiens aktiv. Wir besuchen Schulen und Universitäten. Wir reden mit den Leuten auf der Straße. Wir gehen aber auch in die Landesparlamente, treffen Abgeordnete und Minister. Darüber hinaus haben wir mit Hilfe der örtlichen Bevölkerung bereits 20 Projekte zum Schutz von Flüssen und Seen angestoßen, viele weitere sollen folgen. Unsere Kampagne ist auf mehrere Jahre angelegt, deshalb bin ich guten Mutes, dass wir erfolgreich sein werden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. Oktober 2013


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