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Drei Königinnen

Mayawati Kumari, Jayalalitha Jayaram und Mamata Banerjee kommt bei den indischen Parlamentswahlen eine Schlüsselrolle zu – nicht aber im Kampf um Frauenrechte

Von Thomas Berger *

Ab Mitte April werden mehr als 700 Millionen Inder ein neues Bundesparlament wählen. Das Ergebnis wird nachhaltig von drei Frauen abhängen: Mayawati Kumari, Jayalalitha Jayaram und Mamata Banerjee sind in ihren jeweiligen Heimatregionen ungekrönte Königinnen. Von höchst unterschiedlicher Herkunft und auch vom politischen Ansatz her sehr verschieden, sind alle drei doch ausgesprochen machtbesessen und unberechenbar. Ihr starker regionaler Einfluß macht sie zu potentiellen Bündnispartnerinnen für andere, doch zugleich weiß jeder, daß eine Allianz mit ihnen nicht sehr belastbar ist.

Im Vordergrund steht dieses Mal Mayawati. 1956 als Dalit geboren, wie sich die Angehörigen der untersten Gruppen im indischen Kastensystem selbst nennen, gelang es der Tochter eines kleinen Angestellten, eine Ausbildung als Lehrerin zu absolvieren. Schon 1977 führte ihr Mentor Kanshi Ram sie in die Welt der Politik ein. Der mittlerweile verstorbene Gründer der Bahujan Samaj Party (BSP) war ein unermüdlicher Vorkämpfer für die Gleichberechtigung der Dalit. Mayawati selbst hat wesentlichen Anteil daran, daß die BSP, die Ende der 70er nur in einigen Unionsstaaten präsent war, mittlerweile landesweit großen Einfluß hat. Doch in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Unionsstaat, liegt nach wie vor die Hauptbastion der BSP. Im Mai 2007 gelang Mayawati dort die Sensation, als erste Dalit-Frau aus eigener Kraft in das Amt der Ministerpräsidentin zu kommen, nachdem die BSP bei den Regionalwahlen die absolute Mehrheit gewonnen hatte. Auf dem Posten hatte sie zwar schon zuvor dreimal gesessen, doch immer in Koalitionen, die nur einige Monate hielten. Der Erdrutschsieg der BSP ist auch darauf zurückzuführen, daß die Parteichefin erfolgreich um Stimmen aus den höchsten Kasten geworben hatte.

Die Dalit-Queen

Wer immer mit ihr gearbeitet hat, beschreibt Mayawati als äußerst schwierig. »Selbstherrlich«, »unbeherrscht«, »beratungsresistent« – dies sind nur einige der wenig schmeichelhaften Attribute, die selbst von jenen kommen, die noch nicht mit ihr gebrochen haben. Zur Entwicklung im überwiegend bitterarmen Uttar Pradesh hat sie wenig Abrechenbares beigetragen. Sie war mehr mit dem Aufstellen von Denkmälern für ihre politischen Idole beschäftigt. Zugleich gilt sie als ausnehmend korrupte Politikerin. Ein Bauprojekt am Taj Mahal in Agra, das im Ruch der Günstlingswirtschaft stand, wurde seinerzeit gestoppt. Ihrer Beliebtheit hat dies aber keinen Abbruch getan, und inzwischen rüstet sich die Dalit-Queen, wie sie in vielen Medien genannt wird, gar zum Sturm auf Delhi: Sie will Premierministerin werden. Formell wird die BSP zur kürzlich gegründeten Dritten Front gezählt, die auf Initiative der Linken im südindischen Karnataka aus der Taufe gehoben wurde und rund ein Dutzend Parteien umfaßt. Mayawatis Anspruch auf das mächtigste politische Amt ist mit den Partnern nicht abgesprochen und kommt bei vielen im Bündnis mit Sicherheit nicht gut an.

Schlechte Erfahrungen

Jayalalitha verfügt im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu über erheblichen politischen Einfluß. Dort hat die 61jährige bereits mehrere Male an der Spitze der Regionalregierung gestanden, ihre AIADMK und die zweite große Tamilenpartei DMK wechseln sich bei Wahlen mit der Herrschaft ab. Jede der beiden großen nationalen Parteien hat schon einmal mit ihr koaliert, doch wie die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) hat auch die Kongreßpartei (INC) damit schlechte Erfahrungen gemacht. Ähnlich wie Mayawati hat die selbsternannte Anwältin der Armen kaum etwas getan, um die Lebensbedingungen der Unterprivilegierten zu verbessern. Und Dalit werden in Tamil Nadu so stark diskriminiert wie in kaum einem anderen Unionsstaat.

Die derzeitige Oppositionsführerin in Chennai (früher Madras) hat Ermittlern nie glaubhaft erklären können, wie ihr märchenhaftes Vermögen zustande gekommen ist. Im Vorfeld des jetzt anstehenden Urnenganges wollte sich Jayalalitha eigentlich wieder dem INC als Partner andienen – und verwies lautstark auf das spezielle Verhältnis, das sie zu den früheren Premiers Indira und Rajiv Gandhi gehabt habe. Erst, nachdem ihre Avancen sich als erfolglos herausstellten, entschloß sich die »Tamilenkönigin« zum Eintritt in die Dritte Front.

Im Bund mit dem INC marschiert derzeit Mamata Banerjee. Die 54jährige war 1984 als eine der jüngsten Abgeordneten des Unterhauses in die nationale Politik eingestiegen. Zu Zeiten der INC-Regierung war sie in den frühen 90er Jahren Ministerin für mehrere Fachbereiche. 1997 gründete sie ihren Trinamool Congress (TC) und spaltete damit den INC in ihrem Heimatstaat Westbengalen. Der Kampf gegen die dort seit mehr als 30 Jahren regierende Linksfront geht der Antikommunistin über alles.

Keine der drei Frauen kann im entferntesten als Kämpferin für die Rechte der Frauen gelten. Mayawati und Jayalalitha haben in ihren Regierungszeiten nicht einmal weitere Frauen in Spitzenpositionen von Regionalpolitik und Verwaltung geholt. Selbst beim Kampf um die Frauenquote im nationalen Parlament haben ihre Stimmen gefehlt. Bei den anstehenden Wahlen spielt natürlich auch noch eine vierte Frau eine bedeutende Rolle: Sonia Gandhi. Die 62jährige INC-Chefin und Witwe von Rajiv Gandhi, die 2004 das Premiersamt aus Sicherheitsgründen ausschlug, ist nach wie vor die treibende Kraft hinter dem amtierenden Regierungschef Manmohan Singh.

* Aus: junge Welt, 3. April 2009


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