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Dritte Front etabliert

Indiens linke und säkulare Kräfte beteiligen sich mit einem eigenen Bündnis an den Parlamentswahlen. Hunderttausende bei Kundgebung in Dobbespet

Von Hilmar König, Neu- Delhi *

Das ist ein historisches Zusammenkommen aller demokratischen, säkularen und linken Parteien, um zu bekunden, daß wir alle eine dritte Kraft in diesem Land konstituieren ... Das Land braucht eine Alternative.« So Prakash Karat, der Generalsekretär der KPI (Marxistisch), am Donnerstag (12. März) auf der Kundgebung in Dobbespet im südindischen Bundesstaat Karnataka. Die Koalition, fuhr Karat fort, vertrete die Interessen der großen Mehrheit der Inder, verteidige säkulare Werte und kämpfe für soziale Gerechtigkeit. Da weder die Kongreßpartei noch die BJP klare Mehrheiten bei den Wahlen bekommen würden, erhalte die »Dritte Front« ein besonders starkes Gewicht. Einige hunderttausend Teilnehmer des Massenmeetings klatschten dem Redner begeistert Beifall.

Die »Dritte Front« als ein Konglomerat aus fast einem Dutzend linker, demokratischer, säkular ausgerichteter und regionaler Parteien versteht sich als Alternative zur Politik der sozialdemokratischen Kongreßpartei und der rechtsnationalen Indischen Volkspartei (BJP). Vor dem Hintergrund der Parlamentswahlen im April/Mai erlebte sie nun in Dobbespet ihre Geburtsstunde. Dem Bündnis gehören die KPI (Marxistisch), die KP Indiens, die Revolutionäre Sozialistische Partei, der Vorwärtsblock, die Partei Janata Dal (Secular), die Bahujan Samaj Party (BSP), die Partei All India Anna Dravida Munnetra Kazhagam, die Partei Telugu Desam, die Partei Telangana Rashtra Samiti und die Partei Haryana Janhit Congress an. Es bestehen gute Aussichten, daß in den nächsten Tagen auch die Orissa-Regionalpartei Biju Janata Dal der Front beitritt. Die KPI (ML) ist nicht Mitglied der Front, will aber einige linke Kandidaten in den Unionsstaaten Jharkhand, Uttar Pradesh und Andhra Pradesh unterstützen und sich mit der KPI (M) und der KPI über Kandidatennominierungen in Bihar verständigen. Damit zeigt das Bündnis in fast allen Teilen des Riesenlandes Flagge. Am 15. März findet die nächste Zusammenkunft der Spitzenrepräsentanten statt, auf der eventuell über Vorschläge zum Amt des Premierministers, jedoch ganz bestimmt über ein Manifest, ein gemeinsames Minimalprogramm, beraten wird.

Deve Gowda, Chef der Janata Dal (S) und von 1996 bis 1998 Premier einer Regierung in Delhi ohne Kongreßpartei und ohne BJP, betonte in seiner Rede, die Front werde mit einer gemeinsamen Plattform und Programmen antreten, die für die Armen, die Bauern und die einfachen Leute gemacht sind. Satish Mishra von der starken Dalit-Partei BSP rief aus: »Wir sind keine dritte Alternative, sondern die einzige Alternative, die für eine gute Wirtschafts- und für eine unabhängige Außenpolitik sorgen wird.« Auf dem Massenmeeting erklärte KPI-Generalesekretär Ardendhu Bhushan Bardhan, die Bildung der Front sei kein plötzlicher Entschluß gewesen, sondern das Ergebnis von zwei Jahren harter Arbeit. Damit trage man der Tatsache Rechnung, daß sich Indien in der Ära von Koalitionen befindet und nicht, wie von der BJP behauptet, in Lager der beiden Hauptparteien gespalten ist.

Der Chef des Zentrums für Medienstudien in Neu-Delhi, Bhaskara Rao, schätzte die Bedeutung der neuen Formation so ein: Die »Dritte Front« habe das Potential, sowohl die von der Kongreßpartei als auch von der BJP dominierten Gruppierungen herauszufordern. Ihr falle eine wichtige Rolle zu, wenn keine der beiden Gruppierungen ausreichende Abgeordnetensitze erhält.

In seltener Einigkeit eröffneten BJP und Kongreßpartei umgehend das propagandistische Feuer auf den gemeinsamen politischen Gegner. Die »Dritte Front« sei sei ein »Phantom«, eine »Fata Morgana«, ein »Gespenst«, eine »Allianz ohne Prizipien«. Man brauche sie nicht ernst zu nehmen. Sie stelle keinerlei Bedrohung da, würde sich bald in Luft auflösen und bei den Wahlen völlig bedeutungslos bleiben. Gleichzeitig bemühen sich beide Parteien emsig, Mitglieder aus der »Dritten Front« herauszubrechen, denn sie wissen, welche Kapazitäten tatsächlich in dieser noch losen Allianz stecken. Für die Bildung der nächsten Regierung könnte diese dritte Kraft mehr werden als nur das sprichwörtliche Zünglein an der Waage.

* Aus: junge Welt, 14. März 2009


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