Tauziehen um Indiens Außenpolitik
Die USA wären nicht unzufrieden, wenn Minister Natwar Singh nicht wieder ins Amt zurückkehrte
Von Thomas Berger*
Traditionelle Nichtpaktgebundenheit in bester Tradition von Jawaharlal Nehru und Indira Gandhi
oder engere Kooperation mit den USA? Um diese Kernfrage in der Ausrichtung der
Außenpolitik läuft in Indien derzeit ein Machtkampf zwischen unterschiedlichen Kräften in der
Regierung.
Dass sich Inder und US-Amerikaner einander in jüngster Vergangenheit angenähert haben, ist
unverkennbar. Schon das dieser Tage zu Ende gegangene gemeinsame Luftwaffenmanöver ist ein
Beispiel dafür. Wie weit jedoch will sich Indien von den USA als einzig verbliebener Supermacht
vereinnahmen lassen? Vor allem die Linke macht mobil, um das Erbe des ersten Premiers
Jawaharlal Nehru wenigstens in der Außenpolitik zu retten. Und zumindest einige in der regierenden
Kongresspartei argumentieren auf gleiche Weise. Parallel dazu versuchen andere Kreise, eine noch
engere indo-US-amerikanische Kooperation in diplomatischen und sicherheitspolitischen Aspekten
zu forcieren. In vorderer Front dieser zweiten Gruppe steht Delhis Botschafter in Washington, Ronen
Sen.
Hingegen war der bisherige Außenminister und Kongress-Veteran Natwar Singh bei der USA-Diplomatie
nicht sonderlich beliebt. Daher weinte man ihm in Washington auch keine Träne nach,
als er vor kurzem von Premier Manmohan Singh beurlaubt wurde. Hintergrund sind die Vorwürfe, die
im so genannten Volckert-Bericht gegen den Minister, der aber vorerst weiter dem Kabinett
angehört, erhoben werden. Er soll zu den »Begünstigten« im Rahmen der korrupten Praktiken beim
UNO-Hilfsprogramm »Öl für Lebensmittel« in Irak während des Embargos von 1996 bis 2003
gehören. Angesichts wachsenden Drucks seitens der hindu-nationalistischen Opposition, die den
sofortigen Rücktritt des Beschuldigten forderte, musste ihn der Regierungschef aus der Schusslinie
nehmen, bis die Vorwürfe geklärt sind. Verschiedenen einflussreichen Personen käme es allerdings
sehr gelegen, wenn Natwar Singh mit seinen Vorbehalten gegenüber einer USA-Hegemonie nie
wieder ins Amt zurückkehrte. In Washington kommt man prima mit dem Umstand klar, dass der
Premierminister derzeit selbst das Ressort leitet.
Ohnehin hatte Manmohan Singh seinem Minister im politischen Alltag immer wieder bestimmte
Entscheidungen abgenommen. Gerade in Bezug auf die Beziehungen zwischen Indien und der
Bush-Regierung wurden diverse Weichenstellungen am eigentlich Zuständigen vorbei im Büro des
Premiers vorgenommen. Dort sitzen Drahtzieher, die Natwar Singhs Vorbehalte gegenüber der USAPolitik
nicht teilen oder für andere Interessen beiseite schieben. Für Unruhe hatte deshalb auch die
Ankündigung des Ministers gesorgt, im Rat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bei der
nächsten Abstimmung über Warnungen an Iran mit Nein zu stimmen. »Eine tickende Zeitbombe« ist
er damit und mit einigen anderen Äußerungen, nicht nur für die rechte Opposition. Auch in der
Kongresspartei, ja sogar im eigenen Ministerium, gab es viele, die hinter den Kulissen an seinem
Stuhl sägten und mit seiner Beurlaubung nicht unzufrieden sind.
Im Gegensatz dazu erfreut sich der Umstrittene (noch) großen Rückhalts bei den Linken. Sowohl
Prakash Karat, Chef der indischen Marxisten (KPM), als auch der Generalsekretär der
Kommunistischen Partei (KPI), A.B. Bardhan, sehen den Volckert-Bericht durchaus kritisch. Die
Befürchtung liege nahe, so die Linkspolitiker, dass Paul Volckert, einst Chef der US Reserve Bank,
im Auftrag der Bush-Regierung besonders jene in die Schusslinie rückte, die gegen den Irak-Krieg
aufgetreten waren. Auch für die in dem Bericht Genannten müsse zunächst die
Unschuldsvermutung gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Zudem warnten die Linken die
Regierung, den USA allzu sehr das Wort zu reden, was Drohungen gegen Iran betrifft. Gegen das
gemeinsame Manöver haben die Mitglieder der Linksfront ohnehin mehrere Protestaktionen
durchgeführt, die den Verlauf der Waffenübung jedoch nicht beeinträchtigten.
* Aus: Neues Deutschland, 21.11.2005
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