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"Es droht die Gefahr eines nuklearen Dammbruchs"

Bündnis 90/Die Grünen legen im Bundestag einen Antrag zum Atomdeal zwischen USA und Indien vor (Wortlaut)

Anlässlich des Besuchs von US-Präsident Bush in Indien Anfang März 2006 unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen zur nuklearen Zusammenarbeit. Dieses Abkommen wurde in der Weltöffentlichkeit sehr kritisch aufgenommen, bedeutete es doch das Ende der rund 30 Jahre währenden nuklearen Lieferbeschränkungen gegen Indien und eine nachträgliche Honorierung des indischen Weges zur Atomwaffenmacht (siehe hierzu "Atomdeal mit Indien: George W. Bush in Südasien").
Im Folgenden dokumentieren wir einen Antrag, den die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen am 9. März 2006 im Bundestag eingebracht haben und der sich kritisch mit der Atompolitik der USA befasst. Kritischer als alles, was die Grünen in den sieben Jahren ihrer Regierungsbeteiligung (1998-2005) hierzu verlautbart haben. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung in diverse Ausschüsse überwiesen.



Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/834, 07.03.2006

Antrag

der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

elektronische Vorab-Fassung*

Nuklearen Dammbruch verhindern - Indien an das Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung heranführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
  1. Der Deutsche Bundestag teilt die Sorge, dass das nukleare Nichtweiterverbreitungsregime durch das am 2. März 2006 von Indien und den USA unterzeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor fundamental geschwächt wird. Das Abkommen hat eine Aufhebung der seit rund 30 Jahren bestehenden nuklearen Lieferbeschränkungen gegen Indien zum Ziel. Mit diesem Präzedenzfall droht die Gefahr eines nuklearen Dammbruchs. Die Umsetzung des Abkommens setzt nicht nur eine Änderung der amerikanischen Rechtsgrundlagen, sondern auch das Einvernehmen aller 45 Teilnehmer an der Nuclear Suppliers Group (NSG) voraus. Damit sind auch die Bundesregierung und die Mitgliedsstaaten der EU in der Mitverantwortung.
  2. Es ist zu begrüßen, dass sich Indien grundsätzlich bereit erklärt, sein Atomprogramm weiteren Kontrollen zu unterwerfen und sich dem Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) und anderen Rüstungskontrollabkommen anzunähern. Es ist im fundamentalen internationalen Interesse, Indien, Israel und Pakistan, die als einzige Staaten bisher dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nicht beigetreten sind, näher an das globale Nichtverbreitungsregime heranzuführen.

    Der Deutsche Bundestag hat wiederholt an die Nicht-Mitglieder des NVV appelliert, sich diesem und anderen Rüstungskontrollabkommen anzuschließen. Der NVV sieht nicht vor, dass Staaten, denen es unter Umgehung oder Verletzung der NVV-Verpflichtungen nach dem 01.01.1967 gelungen ist, sich Atomwaffen zuzulegen, dem NVV als Atommächte beitreten können. Eine Vertragsänderung kann nur im Konsens erfolgen und ist daher auf absehbare Zeit unwahrscheinlich.

    Das US-indische Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor sollte zum Anlass genommen werden, nach multilateralen und universellen Lösungen zu suchen, die das gegenwärtige Nichtverbreitungsregime stärken, und nicht schwächen.
  3. Das geplante Abkommen zwischen den USA und Indien beinhaltet die faktische Anerkennung des indischen Atomwaffenstatus. Indien wird eine bevorzugte Regelung bei nuklearen Kontrollen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) eingeräumt. Nach dem Willen der indischen Regierung sollen alle Anlagen, die tatsächlich oder potenziell militärischen Zwecken dienen, für internationale Inspektoren unzugänglich bleiben. Bisher stehen solche Vorrechte nur den vom Nichtverbreitungsvertrag (NVV) anerkannten Atomwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA zu.

    Trotzdem soll Indien unbegrenzten Zugang zu Atomtechnologie erhalten, wie er bisher nur NVV-Staaten zusteht, die auf Atomwaffen verzichtet haben und ihre Atomprogramme umfassend durch die IAEO kontrollieren lassen. Diese Privilegierung Indiens, das bisher allen nuklearen Kontrollabkommen ferngeblieben ist, unterminiert einen zentralen Pfeiler des NVV und belastet den ohnehin in der Krise befindlichen Nichtverbreitungsvertrag schwer. Die Aufhebung internationaler Lieferbeschränkungen gegen Indien droht zu neuen Rüstungswettläufen in Asien zu führen, weil es Indien ermöglicht, wieder Uran zur Energiegewinnung zu importieren. Dann könnte Indien die eigenen, knappen Uranreserven ausschließlich für militärische Zwecke verwenden und so, gemeinsam mit seinem Raketenprogramm, sein geplantes nukleares Aufrüstungsprogramm beschleunigen und ausbauen. Die regionalen Gegenspieler China und Pakistan würden dann wahrscheinlich ebenfalls nuklear nachziehen.

    Schon jetzt erschwert das Abkommen internationale Bemühungen, den Iran von einer freiwilligen Beschränkung seiner Nuklearaktivitäten zu überzeugen. Indien, das außerhalb des NVV steht, werden Sonderrechte bei der Nutzung der Kernenergie und damit de facto dem Ausbau des Atomwaffenarsenals eingeräumt; gleichzeitig erwartet die internationale Gemeinschaft von Iran, das seit mehr als 30 Jahren Mitglied im NVV ist, wegen des Verstoßes gegen Safeguard-Auflagen den Verzicht auf den rechtlich zulässigen geschlossenen Brennstoffkreislauf.
  4. Strategische Gründe und der Verweis auf Indien als Demokratie, die in der Vergangenheit mit ihren Atomwaffen und Atomanlagen verantwortlich umgegangen sei und keine Bedrohung darstelle, werden als Hauptgründe für den Kurswechsel angeführt. Damit werden doppelte Standards eingeführt, die den NVV aushöhlen. Auch Demokratien haben kein Recht auf Atomwaffen oder einen Rabatt auf Verstöße gegen deren Nichtweiterverbreitung. Strategische Partner von Heute können zu Gegnern von Morgen werden. Rüstungs- und Atomtechnologieexporte an vermeintlich stabile, strategisch wichtige Partner sind in der Vergangenheit oft in falschen Händen gelandet und/ oder wurden missbraucht. Iran und Irak sind typische Beispiele für die Kurzsichtigkeit einer solchen Politik.

    Der durch die amerikanische Regierung eingeschlagene Weg, Indien eine Sonderstellung einzuräumen, und damit die Statik eines der erfolgreichsten und auf Universalität angelegten Rüstungskontrollregime zu erschüttern, ist in vielfacher Hinsicht falsch und gefährlich.
    • Indien wäre nicht verpflichtet, auf den weiteren Bau von Atomwaffen zu verzichten, die bestehenden Bestände abzubauen und zentralen Rüstungskontrollabkommen beizutreten. Es könnte mit Hilfe der zivilen Zulieferungen sein Atomwaffenarsenal weiter ungehindert ausbauen.
    • Indien würde für seine Umgehung des NVV und Verletzung der Zusagen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie nachträglich belohnt. Alle anderen Staaten, die sich – z.T. unter erheblichem Druck der internationalen Staatengemeinschaft - zum Verzicht auf bzw. zur Einstellung ihrer Atomwaffenprogramme bereit erklärt haben und dem NVV auf dieser Vertragsgrundlage beigetreten sind, würden für ihre Vertragstreue bestraft. Eine rasche Lösung im Atomstreit mit dem Iran und Nordkorea würde angesichts doppelter Standards erheblich erschwert.
    • Die indische „Sonderregelung“ würde zum Referenzmodell für Israel, Pakistan und alle Staaten, denen es gelingt, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Andere NVV-Mitglieder könnten in der Folge des Abkommens Atomtechnologie an Staaten liefern, die außerhalb der globalen Nichtverbreitungsnorm stehen. Multilaterale Ausfuhrkontrollen, wie sie in der NSG vereinbart sind, würden dann zunehmend irrelevant.
    • Staaten, die beabsichtigen, sich unter vertragswidriger Ausnutzung der Schwächen des NVV Atomwaffen zuzulegen, können darauf hoffen, hierfür langfristig belohnt zu werden. Die gegenwärtige Kontrolle des Brennstoffkreislaufs, die Kündigungsregelungen und das Sanktionsregime des NVV sind, wie z.B. das Beispiel Nordkorea zeigt, kein unüberwindbares Hindernis.
  5. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass eine Lockerung der Lieferbeschränkungen unter den gegebenen Bedingungen nicht erfolgen darf und von der Bundesregierung abgelehnt werden muss. Eine Zustimmung zur Aufhebung internationaler nuklearer Lieferbeschränkungen gegen Indien kann erst dann im deutschen und europäischen Interesse liegen, wenn Indien im Gegenzug überprüfbare, weitreichende, irreversible Verpflichtungen zu nuklearer Transparenz sowie zur Abrüstung eingeht und sich verbindlich globalen Nichtverbreitungsregeln und nuklearen Rüstungskontrollbeschränkungen unterwirft. Darüber hinaus müssen unverzüglich die Brennstoffkreislauf-, Kündigungs- und Sanktionslücken des NVV geschlossen werden.

    Der Deutsche Bundestag sieht sich damit in Übereinstimmung mit der langjährigen Politik der USA, wie sie u.a. der amerikanische Vizeaußenminister, Strobe Talbott, zum Ausdruck gebracht hat (Rheinischer Merkur, 25.06.1999):

    „Amerika kann nicht zulassen, dass Indien und Pakistan sich selbst als Atommächte etablieren, quasi als natürliche Folge ihrer Atomtests. Damit dürfen sie sich nicht einfach die Rechte und Privilegien verschaffen, die die regulären Vertragspartner besitzen – wie zum Beispiel die volle internationale Hilfe bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Hierbei weich zu werden würde einen Vertrauensbruch gegenüber denjenigen Ländern bedeuten, die freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet haben.
    Was noch schlimmer wäre: Damit könnte für andere Länder ein gefährlicher Anreiz geschaffen werden, sich selbst ohne Rücksicht auf Verluste in die Reihe der Atommächte einzureihen. Deshalb gilt: Solange Indien und Pakistan nicht von ihren Atomwaffen abrücken und im Blick auf all ihre atomaren Aktivitäten eine internationale Sicherheitsklausel akzeptieren, werden sie auch nicht in den Genuss der Anerkennung und der Privilegierung gelangen, der den Unterzeichnerstaaten vorbehalten ist.“
  6. Die teure und risikoreiche Atomenergie wird auch für Indien keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung der Energieprobleme liefern. Indien ist sehr reich an ungenutzten erneuerbaren Energien. Die Bundesregierung sollte daher die Aktivitäten der deutsch-indischen Zusammenarbeit in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung deutlich verstärken.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
  1. gegenüber den USA und Indien die ernste Besorgnis des Deutschen Bundestages nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen;
  2. innerhalb der EU für ein gemeinsames und einheitliches Vorgehen in der Nuclear Suppliers Group zu werben, mit dem Ziel ,das Regime der nuklearen Nichtverbreitung unter Einbeziehung von Indien, Israel und Pakistan spürbar zu stärken;
  3. weiterhin darauf zu drängen, dass Indien, Pakistan und Israel dem NVV als Nichtatomwaffenstaaten beitreten;
  4. im Rahmen der Diskussion um eine mögliche Lockerung nuklearer Lieferbeschränkungen gegen Indien strengste Maßstäbe anzulegen und dafür zu sorgen, dass parallel dazu tragbare Lösungen für eine Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs, die Erschwerung des Kündigungsrechts und der Sanktionierung von Verletzungen des NVV-Vertrages gefunden werden;
  5. gegenüber den USA, Indien und anderen Partnerstaaten deutlich zu machen, dass vor einer Lockerung der internationalen Exportrestriktionen von Seiten Indiens folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen:
    • alle Nuklearanlagen, die ganz oder teilweise nicht-militärischen Zwecken dienen, und alle künftigen Atomanlagen dauerhaften und irreversiblen Sicherungsmaßnahmen („perpetual safeguards“) der IAEO zu unterwerfen;
    • dauerhaft, verbindlich und nachprüfbar die Produktion waffenfähiger Spaltmaterialien einzustellen;
    • dem Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) beizutreten
    • sich glaubwürdig zu einem Stopp der weiteren Atomwaffenproduktion und zu der im Artikel VI des NVV festgeschriebenen nuklearen Abrüstung zu verpflichten.
  6. sich national zu verpflichten, die NSG-Richtlinien in ihrer jetzigen Fassung weiter anzuwenden, an der restriktiven Linie bei der nationalen Exportkontrolle gegenüber Indien festzuhalten und das im Mai 2006 zur Verlängerung anstehende deutsch-indische Nuklearkooperationsabkommen weiterhin nicht zu implementieren;
  7. die deutsch-indische Zusammenarbeit im Bereich regenerativer Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung zu intensivieren;
  8. den Bundestag regelmäßig über den Fortgang zu informieren und zu konsultieren.
Berlin, den 7. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung:

Die meisten nuklearen Lieferländer haben nukleare Lieferbeschränkungen gegen Indien nach dessen ersten Atomtest 1974 verhängt. Das Spaltmaterial für den damaligen Test gewann Indien teilweise, indem es von Kanada und USA gelieferte zivile Atomreaktoren entgegen den Zusagen für militärische Zwecke missbrauchte. Indien hat damals bewusst bilaterale Abkommen gebrochen um nuklear aufzurüsten. In der Folge einigten sie die wichtigsten nuklearen Lieferländer auf nukleare Ausfuhrbeschränkungen. Diese wurden in der 1975 gegründeten Nuclear Suppliers Group kodifiziert, der mittlerweile die 45 führenden nuklearen Lieferländer angehören. Die politisch bindenden Regeln der NSG verbieten Exporte von nuklearen Gütern in Staaten, die keine umfassenden Sicherungsmaßnahmen der IAEO („full scope safeguards“) zulassen. Die NSG ist eines der wichtigsten Instrumente zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen. Sie leistet einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass friedliche Atomprogramme nicht für den Griff nach der Atombombe missbraucht werden.

Indien führte im Mai 1998 erneut Atomtests durch und wurde dafür durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einmütig verurteilt (S/PRST/1998/12, 14. Mai 1998). Der Sicherheitsrat forderte Indien damals auf, dem NVV als Nichtkernwaffenstaat beizutreten.

Indien ist bisher keinem nuklearen Kontrollabkommen beigetreten und ist nicht bereit, die gleichen Rüstungskontrollverpflichtungen einzugehen, wie die anerkannten Atomwaffenstaaten. Neu Delhi lehnt NVV und Atomteststopp-Vertrag ebenso ab wie ein Moratorium der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials. Die anerkannten Atomwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA haben den CTBT gezeichnet (Frankreich, Großbritannien und Russland auch ratifiziert) und haben erklärt, keine spaltbaren Materialien für Kernwaffen mehr herzustellen. Artikel I des NVV verpflichtet die Kernwaffenstaaten unter anderem „einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben“. Indien ist nach der Definition des NVV ein Nichtkernwaffenstaat. Die geplante Lieferung von ziviler Nukleartechnologie kommt zumindest indirekt dem indischen Atomwaffenprogramm zugute. Die geplanten Abkommen der USA und Frankreichs stehen daher im Widerspruch zu Geist und Buchstaben des NVV. Indien ist Mitglied der IAEO. Vier Leichtwasserreaktoren, die ausschließlich der Energiegewinnung dienen, werden bisher durch die IAEO überwacht. Weitergehende Überwachungsmöglichkeiten hat Indien abgelehnt. Die indische Regierung hat mehrfach klar gemacht, dass ein Ausbau der IAEO-Kontrollen in der Folge des geplanten Nuklearabkommens zu keinerlei Beeinträchtigung des indischen Nuklearwaffenprogramms führen dürfe.

Nukleare Sicherungsabkommen haben das Ziel, einen möglichen militärischen Missbrauch ziviler Kernanlagen und von spaltbarem Material rechtzeitig aufzudecken. Das Zusatzprotokoll zu Sicherungsabkommen soll die IAEO in die Lage versetzen, mögliche geheime Anlagen zu identifizieren. Sicherungsabkommen in Staaten wie Indien, die über Kernwaffen verfügen, und die ihre militärischen Anlagen nicht kontrollieren lassen müssen, haben daher allenfalls symbolischen Wert. Zu einer Kontrolle der militärischen Programme in diesen Staaten tragen sie nichts bei.

Am 18. Juli 2005 unterschrieben der indische Ministerpräsident Manmohan Singh und der amerikanische Präsident Bush eine Absichtserklärung über die Kooperation im zivilen Nuklearsektor, in der Indien als „verantwortungsvoller“ Staat bezeichnet wird. Die amerikanische Regierung erklärte darin den Willen, sich im amerikanischen Kongress sowie in der NSG für eine Aufhebung bestehender Lieferbeschränkungen gegenüber Indien einzusetzen. Indien verpflichtet sich zum ersten Mal zivile und militärische Nuklearanlagen zu trennen und alle zivilen Anlagen freiwillig der Kontrolle der IAEO zu unterwerfen; ein Zusatzprotokoll zu den bestehenden Sicherungsabkommen zu zeichnen; ein unilaterales Nukleartestmoratorium beizubehalten; sich gemeinsam mit den USA für ein Abkommen über die Beendigung der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials einzusetzen sowie internationale Regeln über die Nichtweitergabe von Nukleartechnologie zu befolgen und diese Regeln in nationales Recht umzusetzen.

Am 2. März 2006 unterschrieben Singh und Bush ein Übereinkommen über die Kooperation im zivilen Nuklearsektor. Danach wird Indien bis 2014 zumindest 14 seiner gegenwärtig 22 Nuklearreaktoren dauerhaft Kontrollen der IAEO unterwerfen. Reaktoren, die ganz oder teilweise militärischen Zwecken dienen, werden nicht kontrolliert. Indien weigert sich insbesondere, wie von den USA zuvor gefordert, zwei Schnelle Brüter, die sowohl der Energiegewinnung als der Produktion von Waffenplutonium dienen, der IAEO zu öffnen. Die indische Regierung hat sich nicht verpflichtet, neue Reaktoren für internationale Kontrollen zu öffnen.

Am 20. Februar 2006, während des Staatsbesuchs von Präsident Jacques Chirac in Neu Delhi, haben Frankreich und Indien eine gemeinsame Erklärung über die Entwicklung von Nuklearenergie für friedliche Zwecke abgegeben. Die Erklärung enthält ähnliche Ziele wie die US-indische Absichtserklärung vom 18. Juli 2005. Eine Aufhebung der gegen Indien bestehenden nuklearen Handelsbeschränkungen erfordert eine Änderung amerikanischer Ausfuhrgesetze sowie ein Revision der NSG-Regeln. Da in der NSG im Konsens entschieden wird, ist eine Aufhebung der Nuklearsanktionen von einer expliziten Zustimmung Deutschlands abhängig. Die USA haben in der NSG vorgeschlagen, für Indien eine Ausnahmegenehmigung in der NSG sowie im Rahmen des Atomic Energy Act von 1954 herbeizuführen. Sowohl im US-Kongress als auch in der NSG gibt es erhebliche Vorbehalte gegenüber einer Aufhebung des Nuklearembargos.

Ein solcher Schritt könnte Ansprüche anderer Staaten legitimieren, atomare Technologie an Israel und Pakistan oder Nordkorea zu liefern, die ebenfalls außerhalb des NVV stehen. China hat beispielsweise bereits angekündigt, die Lieferung von Atomtechnologie an Pakistan wieder aufzunehmen, sollten die Handelsbeschränkungen gegen Indien aufgehoben werden. Pakistan hat ähnliche Privilegien in Bezug auf den Zugang zu Nukleartechnologie gefordert, wie sie Indien jetzt zugestanden werden sollen.

Die indische Absichtserklärung, nur eine minimale Kapazität zur nuklearen Abschreckung aufrechterhalten zu wollen, ist nicht glaubwürdig und nicht nachprüfbar. Indien will sein Nukleararsenal von gegenwärtig ca. 100 Atomwaffen auf 300-400 Waffen ausbauen. Indien modernisiert zudem Trägersysteme und Sprengköpfe für Atomwaffen und will seine Atomwaffen künftig auf land-, see- und luftgestützten Systemen stationieren. In einigen Jahren werden diese Trägersysteme auch Staaten in Europa und die USA erreichen können.

Die indischen Uranreserven und –vorkommen reichen nicht aus, um gleichzeitig das ambitionierte zivile und militärische Atomprogramm zu betreiben. Experten glauben, dass die indischen Uranreserven bei ungebremstem Ausbau des Atomprogramms bereits Ende 2006 erschöpft sein könnten. Uranimporte sind notwendig, wenn Indien den gegenwärtigen Aufrüstungskurs beibehalten will und gleichzeitig die zivile Nutzung der Kernenergie ausbaut.

Die Lieferung von Uranbrennstoff für zivile Kernreaktoren an Indien kommt mittelbar dem indischen Nuklearwaffenprogramm zu Gute. Deshalb haben einige indische Experten der eigenen Regierung geraten, möglichst viele Reaktoren der internationalen Kontrolle zu unterwerfen, damit die eigenen Uranreserven ausschließlich für militärische Zwecke verwendet werden können.

Deutschland hat an nukleare Ausfuhren nach Indien bisher restriktive und teilweise über die NSG-Richtlinien hinausgehende Maßstäbe angelegt. So wurden Lieferungen von NSG-ungelisteten Gütern, die dem indischen Nuklearprogramm dienen können, nur erlaubt wenn sie überprüfbar in jenen vier indischen Leichtwasserreaktoren verwendet wurden, die schon bisher unter der Kontrolle der IAEO stehen. Das 1971 geschlossene deutsch-indische Nuklearabkommen wird seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr implementiert. Die nächste automatische Verlängerung erfolgt Mitte Mai 2006.

Gleichzeitig setzt sich Deutschland für eine Stärkung der NSG und eine Straffung internationaler Ausfuhrkontrollen ein. Eine Aufhebung oder Lockerung der Lieferrestriktionen für Indien würde diese Bemühungen konterkarieren.

* Wird nach Vorliegen der lektorierten Druckfassung durch diese ersetzt.

Quelle: Deutscher Bundestag; http://dip.bundestag.de (pdf-Datei)

Hier geht es zu einem entsprechenden Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 10. Mai 2006:
"Das US-amerikanisch-indische Abkommen unterminiert Sinn und Zweck des Atomwaffensperrvertrags"


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