"Es droht die Gefahr eines nuklearen Dammbruchs"
Bündnis 90/Die Grünen legen im Bundestag einen Antrag zum Atomdeal zwischen USA und Indien vor (Wortlaut)
Anlässlich des Besuchs von US-Präsident Bush in Indien Anfang März 2006 unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen zur nuklearen Zusammenarbeit. Dieses Abkommen wurde in der Weltöffentlichkeit sehr kritisch aufgenommen, bedeutete es doch das Ende der rund 30 Jahre währenden nuklearen Lieferbeschränkungen gegen Indien und eine nachträgliche Honorierung des indischen Weges zur Atomwaffenmacht (siehe hierzu "Atomdeal mit Indien: George W. Bush in Südasien").
Im Folgenden dokumentieren wir einen Antrag, den die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen am 9. März 2006 im Bundestag eingebracht haben und der sich kritisch mit der Atompolitik der USA befasst. Kritischer als alles, was die Grünen in den sieben Jahren ihrer Regierungsbeteiligung (1998-2005) hierzu verlautbart haben. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung in diverse Ausschüsse überwiesen.
Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode
Drucksache 16/834, 07.03.2006
Antrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Claudia Roth (Augsburg), Rainder
Steenblock, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
elektronische Vorab-Fassung*
Nuklearen Dammbruch verhindern - Indien an das Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Nichtweiterverbreitung heranführen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
-
Der Deutsche Bundestag teilt die Sorge, dass das nukleare
Nichtweiterverbreitungsregime durch das am 2. März 2006 von Indien und den
USA unterzeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen
Nuklearsektor fundamental geschwächt wird. Das Abkommen hat eine Aufhebung
der seit rund 30 Jahren bestehenden nuklearen Lieferbeschränkungen gegen
Indien zum Ziel. Mit diesem Präzedenzfall droht die Gefahr eines nuklearen
Dammbruchs. Die Umsetzung des Abkommens setzt nicht nur eine Änderung der
amerikanischen Rechtsgrundlagen, sondern auch das Einvernehmen aller 45
Teilnehmer an der Nuclear Suppliers Group (NSG) voraus. Damit sind auch die
Bundesregierung und die Mitgliedsstaaten der EU in der Mitverantwortung.
- Es ist zu begrüßen, dass sich Indien grundsätzlich bereit erklärt, sein
Atomprogramm weiteren Kontrollen zu unterwerfen und sich dem
Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) und anderen Rüstungskontrollabkommen
anzunähern. Es ist im fundamentalen internationalen Interesse, Indien, Israel und
Pakistan, die als einzige Staaten bisher dem Vertrag über die Nichtverbreitung
von Nuklearwaffen nicht beigetreten sind, näher an das globale
Nichtverbreitungsregime heranzuführen.
Der Deutsche Bundestag hat wiederholt an die Nicht-Mitglieder des NVV
appelliert, sich diesem und anderen Rüstungskontrollabkommen anzuschließen.
Der NVV sieht nicht vor, dass Staaten, denen es unter Umgehung oder
Verletzung der NVV-Verpflichtungen nach dem 01.01.1967 gelungen ist, sich
Atomwaffen zuzulegen, dem NVV als Atommächte beitreten können. Eine
Vertragsänderung kann nur im Konsens erfolgen und ist daher auf absehbare Zeit
unwahrscheinlich.
Das US-indische Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor
sollte zum Anlass genommen werden, nach multilateralen und universellen
Lösungen zu suchen, die das gegenwärtige Nichtverbreitungsregime stärken, und
nicht schwächen.
- Das geplante Abkommen zwischen den USA und Indien beinhaltet die faktische
Anerkennung des indischen Atomwaffenstatus. Indien wird eine bevorzugte
Regelung bei nuklearen Kontrollen der Internationalen Atomenergieorganisation
(IAEO) eingeräumt. Nach dem Willen der indischen Regierung sollen alle
Anlagen, die tatsächlich oder potenziell militärischen Zwecken dienen, für
internationale Inspektoren unzugänglich bleiben. Bisher stehen solche Vorrechte
nur den vom Nichtverbreitungsvertrag (NVV) anerkannten Atomwaffenstaaten
China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA zu.
Trotzdem soll Indien unbegrenzten Zugang zu Atomtechnologie erhalten, wie er
bisher nur NVV-Staaten zusteht, die auf Atomwaffen verzichtet haben und ihre
Atomprogramme umfassend durch die IAEO kontrollieren lassen. Diese
Privilegierung Indiens, das bisher allen nuklearen Kontrollabkommen
ferngeblieben ist, unterminiert einen zentralen Pfeiler des NVV und belastet den
ohnehin in der Krise befindlichen Nichtverbreitungsvertrag schwer.
Die Aufhebung internationaler Lieferbeschränkungen gegen Indien droht zu
neuen Rüstungswettläufen in Asien zu führen, weil es Indien ermöglicht, wieder
Uran zur Energiegewinnung zu importieren. Dann könnte Indien die eigenen,
knappen Uranreserven ausschließlich für militärische Zwecke verwenden und so,
gemeinsam mit seinem Raketenprogramm, sein geplantes nukleares
Aufrüstungsprogramm beschleunigen und ausbauen. Die regionalen
Gegenspieler China und Pakistan würden dann wahrscheinlich ebenfalls nuklear
nachziehen.
Schon jetzt erschwert das Abkommen internationale Bemühungen, den Iran von
einer freiwilligen Beschränkung seiner Nuklearaktivitäten zu überzeugen. Indien,
das außerhalb des NVV steht, werden Sonderrechte bei der Nutzung der
Kernenergie und damit de facto dem Ausbau des Atomwaffenarsenals
eingeräumt; gleichzeitig erwartet die internationale Gemeinschaft von Iran, das
seit mehr als 30 Jahren Mitglied im NVV ist, wegen des Verstoßes gegen
Safeguard-Auflagen den Verzicht auf den rechtlich zulässigen geschlossenen
Brennstoffkreislauf.
- Strategische Gründe und der Verweis auf Indien als Demokratie, die in der
Vergangenheit mit ihren Atomwaffen und Atomanlagen verantwortlich
umgegangen sei und keine Bedrohung darstelle, werden als Hauptgründe für den
Kurswechsel angeführt. Damit werden doppelte Standards eingeführt, die den
NVV aushöhlen. Auch Demokratien haben kein Recht auf Atomwaffen oder einen
Rabatt auf Verstöße gegen deren Nichtweiterverbreitung. Strategische Partner
von Heute können zu Gegnern von Morgen werden. Rüstungs- und
Atomtechnologieexporte an vermeintlich stabile, strategisch wichtige Partner sind
in der Vergangenheit oft in falschen Händen gelandet und/ oder wurden
missbraucht. Iran und Irak sind typische Beispiele für die Kurzsichtigkeit einer
solchen Politik.
Der durch die amerikanische Regierung eingeschlagene Weg, Indien eine
Sonderstellung einzuräumen, und damit die Statik eines der erfolgreichsten und
auf Universalität angelegten Rüstungskontrollregime zu erschüttern, ist in
vielfacher Hinsicht falsch und gefährlich.-
Indien wäre nicht verpflichtet, auf den weiteren Bau von Atomwaffen zu
verzichten, die bestehenden Bestände abzubauen und zentralen
Rüstungskontrollabkommen beizutreten. Es könnte mit Hilfe der zivilen
Zulieferungen sein Atomwaffenarsenal weiter ungehindert ausbauen.
- Indien würde für seine Umgehung des NVV und Verletzung der Zusagen zur
friedlichen Nutzung der Atomenergie nachträglich belohnt. Alle anderen
Staaten, die sich – z.T. unter erheblichem Druck der internationalen
Staatengemeinschaft - zum Verzicht auf bzw. zur Einstellung ihrer
Atomwaffenprogramme bereit erklärt haben und dem NVV auf dieser
Vertragsgrundlage beigetreten sind, würden für ihre Vertragstreue bestraft.
Eine rasche Lösung im Atomstreit mit dem Iran und Nordkorea würde
angesichts doppelter Standards erheblich erschwert.
- Die indische „Sonderregelung“ würde zum Referenzmodell für Israel, Pakistan
und alle Staaten, denen es gelingt, in den Besitz von Atomwaffen zu
gelangen. Andere NVV-Mitglieder könnten in der Folge des Abkommens
Atomtechnologie an Staaten liefern, die außerhalb der globalen
Nichtverbreitungsnorm stehen. Multilaterale Ausfuhrkontrollen, wie sie in der
NSG vereinbart sind, würden dann zunehmend irrelevant.
- Staaten, die beabsichtigen, sich unter vertragswidriger Ausnutzung der
Schwächen des NVV Atomwaffen zuzulegen, können darauf hoffen, hierfür
langfristig belohnt zu werden. Die gegenwärtige Kontrolle des
Brennstoffkreislaufs, die Kündigungsregelungen und das Sanktionsregime des
NVV sind, wie z.B. das Beispiel Nordkorea zeigt, kein unüberwindbares
Hindernis.
- Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass eine Lockerung der
Lieferbeschränkungen unter den gegebenen Bedingungen nicht erfolgen darf und
von der Bundesregierung abgelehnt werden muss. Eine Zustimmung zur
Aufhebung internationaler nuklearer Lieferbeschränkungen gegen Indien kann
erst dann im deutschen und europäischen Interesse liegen, wenn Indien im
Gegenzug überprüfbare, weitreichende, irreversible Verpflichtungen zu nuklearer
Transparenz sowie zur Abrüstung eingeht und sich verbindlich globalen
Nichtverbreitungsregeln und nuklearen Rüstungskontrollbeschränkungen
unterwirft. Darüber hinaus müssen unverzüglich die Brennstoffkreislauf-,
Kündigungs- und Sanktionslücken des NVV geschlossen werden.
Der Deutsche Bundestag sieht sich damit in Übereinstimmung mit der
langjährigen Politik der USA, wie sie u.a. der amerikanische Vizeaußenminister,
Strobe Talbott, zum Ausdruck gebracht hat (Rheinischer Merkur, 25.06.1999):
„Amerika kann nicht zulassen, dass Indien und Pakistan sich selbst als
Atommächte etablieren, quasi als natürliche Folge ihrer Atomtests. Damit
dürfen sie sich nicht einfach die Rechte und Privilegien verschaffen, die die
regulären Vertragspartner besitzen – wie zum Beispiel die volle internationale
Hilfe bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Hierbei weich zu werden
würde einen Vertrauensbruch gegenüber denjenigen Ländern bedeuten, die
freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet haben.
Was noch schlimmer wäre: Damit könnte für andere Länder ein gefährlicher
Anreiz geschaffen werden, sich selbst ohne Rücksicht auf Verluste in die
Reihe der Atommächte einzureihen. Deshalb gilt: Solange Indien und Pakistan
nicht von ihren Atomwaffen abrücken und im Blick auf all ihre atomaren
Aktivitäten eine internationale Sicherheitsklausel akzeptieren, werden sie auch
nicht in den Genuss der Anerkennung und der Privilegierung gelangen, der
den Unterzeichnerstaaten vorbehalten ist.“
- Die teure und risikoreiche Atomenergie wird auch für Indien keinen
nennenswerten Beitrag zur Lösung der Energieprobleme liefern. Indien ist sehr
reich an ungenutzten erneuerbaren Energien. Die Bundesregierung sollte daher
die Aktivitäten der deutsch-indischen Zusammenarbeit in den Bereichen
erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung deutlich
verstärken.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
-
gegenüber den USA und Indien die ernste Besorgnis des Deutschen
Bundestages nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen;
- innerhalb der EU für ein gemeinsames und einheitliches Vorgehen in der Nuclear
Suppliers Group zu werben, mit dem Ziel ,das Regime der nuklearen
Nichtverbreitung unter Einbeziehung von Indien, Israel und Pakistan spürbar zu
stärken;
- weiterhin darauf zu drängen, dass Indien, Pakistan und Israel dem NVV als
Nichtatomwaffenstaaten beitreten;
- im Rahmen der Diskussion um eine mögliche Lockerung nuklearer
Lieferbeschränkungen gegen Indien strengste Maßstäbe anzulegen und dafür zu
sorgen, dass parallel dazu tragbare Lösungen für eine Internationalisierung des
Brennstoffkreislaufs, die Erschwerung des Kündigungsrechts und der
Sanktionierung von Verletzungen des NVV-Vertrages gefunden werden;
- gegenüber den USA, Indien und anderen Partnerstaaten deutlich zu machen,
dass vor einer Lockerung der internationalen Exportrestriktionen von Seiten
Indiens folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen:
-
alle Nuklearanlagen, die ganz oder teilweise nicht-militärischen Zwecken
dienen, und alle künftigen Atomanlagen dauerhaften und irreversiblen
Sicherungsmaßnahmen („perpetual safeguards“) der IAEO zu unterwerfen;
- dauerhaft, verbindlich und nachprüfbar die Produktion waffenfähiger
Spaltmaterialien einzustellen;
- dem Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT)
beizutreten
- sich glaubwürdig zu einem Stopp der weiteren Atomwaffenproduktion und zu
der im Artikel VI des NVV festgeschriebenen nuklearen Abrüstung zu
verpflichten.
- sich national zu verpflichten, die NSG-Richtlinien in ihrer jetzigen Fassung weiter
anzuwenden, an der restriktiven Linie bei der nationalen Exportkontrolle
gegenüber Indien festzuhalten und das im Mai 2006 zur Verlängerung
anstehende deutsch-indische Nuklearkooperationsabkommen weiterhin nicht zu
implementieren;
- die deutsch-indische Zusammenarbeit im Bereich regenerativer Energien,
Energieeffizienz und Energieeinsparung zu intensivieren;
- den Bundestag regelmäßig über den Fortgang zu informieren und zu
konsultieren.
Berlin, den 7. März 2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Begründung:
Die meisten nuklearen Lieferländer haben nukleare Lieferbeschränkungen gegen
Indien nach dessen ersten Atomtest 1974 verhängt. Das Spaltmaterial für den
damaligen Test gewann Indien teilweise, indem es von Kanada und USA gelieferte
zivile Atomreaktoren entgegen den Zusagen für militärische Zwecke missbrauchte.
Indien hat damals bewusst bilaterale Abkommen gebrochen um nuklear aufzurüsten.
In der Folge einigten sie die wichtigsten nuklearen Lieferländer auf nukleare
Ausfuhrbeschränkungen. Diese wurden in der 1975 gegründeten Nuclear Suppliers
Group kodifiziert, der mittlerweile die 45 führenden nuklearen Lieferländer
angehören. Die politisch bindenden Regeln der NSG verbieten Exporte von
nuklearen Gütern in Staaten, die keine umfassenden Sicherungsmaßnahmen der
IAEO („full scope safeguards“) zulassen. Die NSG ist eines der wichtigsten
Instrumente zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen. Sie leistet einen
unverzichtbaren Beitrag dazu, dass friedliche Atomprogramme nicht für den Griff
nach der Atombombe missbraucht werden.
Indien führte im Mai 1998 erneut Atomtests durch und wurde dafür durch den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einmütig verurteilt (S/PRST/1998/12, 14. Mai
1998). Der Sicherheitsrat forderte Indien damals auf, dem NVV als
Nichtkernwaffenstaat beizutreten.
Indien ist bisher keinem nuklearen Kontrollabkommen beigetreten und ist nicht bereit,
die gleichen Rüstungskontrollverpflichtungen einzugehen, wie die anerkannten
Atomwaffenstaaten. Neu Delhi lehnt NVV und Atomteststopp-Vertrag ebenso ab wie
ein Moratorium der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials. Die anerkannten
Atomwaffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA haben
den CTBT gezeichnet (Frankreich, Großbritannien und Russland auch ratifiziert) und
haben erklärt, keine spaltbaren Materialien für Kernwaffen mehr herzustellen.
Artikel I des NVV verpflichtet die Kernwaffenstaaten unter anderem „einen
Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen,
Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu
erwerben“. Indien ist nach der Definition des NVV ein Nichtkernwaffenstaat. Die
geplante Lieferung von ziviler Nukleartechnologie kommt zumindest indirekt dem
indischen Atomwaffenprogramm zugute. Die geplanten Abkommen der USA und
Frankreichs stehen daher im Widerspruch zu Geist und Buchstaben des NVV.
Indien ist Mitglied der IAEO. Vier Leichtwasserreaktoren, die ausschließlich der
Energiegewinnung dienen, werden bisher durch die IAEO überwacht. Weitergehende
Überwachungsmöglichkeiten hat Indien abgelehnt. Die indische Regierung hat
mehrfach klar gemacht, dass ein Ausbau der IAEO-Kontrollen in der Folge des
geplanten Nuklearabkommens zu keinerlei Beeinträchtigung des indischen
Nuklearwaffenprogramms führen dürfe.
Nukleare Sicherungsabkommen haben das Ziel, einen möglichen militärischen
Missbrauch ziviler Kernanlagen und von spaltbarem Material rechtzeitig
aufzudecken. Das Zusatzprotokoll zu Sicherungsabkommen soll die IAEO in die
Lage versetzen, mögliche geheime Anlagen zu identifizieren. Sicherungsabkommen
in Staaten wie Indien, die über Kernwaffen verfügen, und die ihre militärischen
Anlagen nicht kontrollieren lassen müssen, haben daher allenfalls symbolischen
Wert. Zu einer Kontrolle der militärischen Programme in diesen Staaten tragen sie
nichts bei.
Am 18. Juli 2005 unterschrieben der indische Ministerpräsident Manmohan Singh
und der amerikanische Präsident Bush eine Absichtserklärung über die Kooperation
im zivilen Nuklearsektor, in der Indien als „verantwortungsvoller“ Staat bezeichnet
wird. Die amerikanische Regierung erklärte darin den Willen, sich im amerikanischen
Kongress sowie in der NSG für eine Aufhebung bestehender Lieferbeschränkungen
gegenüber Indien einzusetzen. Indien verpflichtet sich zum ersten Mal zivile und
militärische Nuklearanlagen zu trennen und alle zivilen Anlagen freiwillig der
Kontrolle der IAEO zu unterwerfen; ein Zusatzprotokoll zu den bestehenden
Sicherungsabkommen zu zeichnen; ein unilaterales Nukleartestmoratorium
beizubehalten; sich gemeinsam mit den USA für ein Abkommen über die Beendigung
der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials einzusetzen sowie internationale Regeln
über die Nichtweitergabe von Nukleartechnologie zu befolgen und diese Regeln in
nationales Recht umzusetzen.
Am 2. März 2006 unterschrieben Singh und Bush ein Übereinkommen über die
Kooperation im zivilen Nuklearsektor. Danach wird Indien bis 2014 zumindest 14
seiner gegenwärtig 22 Nuklearreaktoren dauerhaft Kontrollen der IAEO unterwerfen.
Reaktoren, die ganz oder teilweise militärischen Zwecken dienen, werden nicht
kontrolliert. Indien weigert sich insbesondere, wie von den USA zuvor gefordert, zwei
Schnelle Brüter, die sowohl der Energiegewinnung als der Produktion von
Waffenplutonium dienen, der IAEO zu öffnen. Die indische Regierung hat sich nicht
verpflichtet, neue Reaktoren für internationale Kontrollen zu öffnen.
Am 20. Februar 2006, während des Staatsbesuchs von Präsident Jacques Chirac in
Neu Delhi, haben Frankreich und Indien eine gemeinsame Erklärung über die
Entwicklung von Nuklearenergie für friedliche Zwecke abgegeben. Die Erklärung
enthält ähnliche Ziele wie die US-indische Absichtserklärung vom 18. Juli 2005.
Eine Aufhebung der gegen Indien bestehenden nuklearen Handelsbeschränkungen
erfordert eine Änderung amerikanischer Ausfuhrgesetze sowie ein Revision der
NSG-Regeln. Da in der NSG im Konsens entschieden wird, ist eine Aufhebung der
Nuklearsanktionen von einer expliziten Zustimmung Deutschlands abhängig. Die
USA haben in der NSG vorgeschlagen, für Indien eine Ausnahmegenehmigung in
der NSG sowie im Rahmen des Atomic Energy Act von 1954 herbeizuführen. Sowohl
im US-Kongress als auch in der NSG gibt es erhebliche Vorbehalte gegenüber einer
Aufhebung des Nuklearembargos.
Ein solcher Schritt könnte Ansprüche anderer Staaten legitimieren, atomare
Technologie an Israel und Pakistan oder Nordkorea zu liefern, die ebenfalls
außerhalb des NVV stehen. China hat beispielsweise bereits angekündigt, die
Lieferung von Atomtechnologie an Pakistan wieder aufzunehmen, sollten die
Handelsbeschränkungen gegen Indien aufgehoben werden. Pakistan hat ähnliche
Privilegien in Bezug auf den Zugang zu Nukleartechnologie gefordert, wie sie Indien
jetzt zugestanden werden sollen.
Die indische Absichtserklärung, nur eine minimale Kapazität zur nuklearen
Abschreckung aufrechterhalten zu wollen, ist nicht glaubwürdig und nicht
nachprüfbar. Indien will sein Nukleararsenal von gegenwärtig ca. 100 Atomwaffen auf
300-400 Waffen ausbauen. Indien modernisiert zudem Trägersysteme und
Sprengköpfe für Atomwaffen und will seine Atomwaffen künftig auf land-, see- und
luftgestützten Systemen stationieren. In einigen Jahren werden diese Trägersysteme
auch Staaten in Europa und die USA erreichen können.
Die indischen Uranreserven und –vorkommen reichen nicht aus, um gleichzeitig das
ambitionierte zivile und militärische Atomprogramm zu betreiben. Experten glauben,
dass die indischen Uranreserven bei ungebremstem Ausbau des Atomprogramms
bereits Ende 2006 erschöpft sein könnten. Uranimporte sind notwendig, wenn Indien
den gegenwärtigen Aufrüstungskurs beibehalten will und gleichzeitig die zivile
Nutzung der Kernenergie ausbaut.
Die Lieferung von Uranbrennstoff für zivile Kernreaktoren an Indien kommt mittelbar
dem indischen Nuklearwaffenprogramm zu Gute. Deshalb haben einige indische
Experten der eigenen Regierung geraten, möglichst viele Reaktoren der
internationalen Kontrolle zu unterwerfen, damit die eigenen Uranreserven
ausschließlich für militärische Zwecke verwendet werden können.
Deutschland hat an nukleare Ausfuhren nach Indien bisher restriktive und teilweise
über die NSG-Richtlinien hinausgehende Maßstäbe angelegt. So wurden
Lieferungen von NSG-ungelisteten Gütern, die dem indischen Nuklearprogramm
dienen können, nur erlaubt wenn sie überprüfbar in jenen vier indischen
Leichtwasserreaktoren verwendet wurden, die schon bisher unter der Kontrolle der
IAEO stehen. Das 1971 geschlossene deutsch-indische Nuklearabkommen wird seit
Mitte der 70er Jahre nicht mehr implementiert. Die nächste automatische
Verlängerung erfolgt Mitte Mai 2006.
Gleichzeitig setzt sich Deutschland für eine Stärkung der NSG und eine Straffung
internationaler Ausfuhrkontrollen ein. Eine Aufhebung oder Lockerung der
Lieferrestriktionen für Indien würde diese Bemühungen konterkarieren.
* Wird nach Vorliegen der lektorierten Druckfassung durch diese ersetzt.
Quelle: Deutscher Bundestag; http://dip.bundestag.de (pdf-Datei)
Hier geht es zu einem entsprechenden Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 10. Mai 2006:
"Das US-amerikanisch-indische Abkommen unterminiert Sinn und Zweck des Atomwaffensperrvertrags"
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