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Türöffner für USA-Firmen in Indien

Widerstand auf dem Subkontinent gegen die Bedingungen der nuklearen Zusammenarbeit

Von Henri Rudolph, Delhi *

Delhi und Washington haben sich auf die Regeln für die Wiederaufbereitung von Nuklearbrennstoff auf indischem Gebiet geeinigt. Einen Gesetzentwurf über Schadenersatz bei einem Atomunfall musste Indiens Regierung jedoch zunächst auf Eis legen.

Die Übereinkunft bezieht sich auf wiederverwertbaren Nuklearabfall aus Atomkraftwerken, die aus den USA geliefert wurden. Im Jahre 2008 hatten beide Staaten ein Geschäft zur zivilen Nutzung von Kernenergie unter Dach und Fach gebracht. In dessen Rahmen fügt sich die jetzige Vereinbarung. Laut USA-Botschaft in Delhi wird sie dabei helfen, »US-Firmen die Tür zu Indiens rapide wachsendem Energiesektor zu öffnen« und Tausende Arbeitsplätze in beiden Ländern zu schaffen.

Die Verhandlungen zogen sich vor allem deshalb hin, weil lange Zeit keine Übereinkunft über einen eventuellen Stopp der Wiederaufbereitung erzielt werden konnte. Die USA wollten darüber die vollständige Entscheidungsgewalt, während ihnen die Inder diese Maßnahme nur unter »außergewöhnlichen Umständen« zubilligen wollten. Als solche sind nun die »Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA sowie der strukturellen Sicherheit der beiden vorgesehenen Wiederaufbereitungsanlagen« bestimmt worden.

Robert Blake, assistierender Staatssekretär im Weißen Haus und früherer USA-Botschafter in Indien, erklärte, nachdem man sich über die Wiederaufbereitung geeinigt habe, werde Washington die indische Parlamentsdebatte über Entschädigungen im Fall eines atomaren Unglücksfalls mit größter Aufmerksamkeit verfolgen. Den Entwurf dazu wollte die Regierung in Delhi Mitte März vor die Volksvertretung bringen. Doch die Opposition kündigte geschlossenen Widerstand an. So unterschiedliche Kräfte wie die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP), die regionale Samajwadi Party und alle Linken zogen an einem Strang.

Der Entwurf diene lediglich US-Unternehmen und vernachlässige die Sicherheitsinteressen der indischen Bevölkerung, so die Begründung. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Verursacher eines Atomunfalls, egal ob privater oder staatlicher Betreiber, eine unverschämt geringe Entschädigungssumme zu zahlen hat. Die Hauptlast trüge der indische Staat. Genau das entspricht den Gepflogenheiten privater Unternehmen der USA. Ohne eine solche gesetzliche Garantie sind sie nicht bereit, Nuklearausrüstungen zu liefern. Französische und russische Firmen dagegen bestehen nicht darauf. Blake gab zu, dass »US-Companies begeistert sind von der Aussicht, Reaktoren in Indien zu installieren«, und dass das Entschädigungsgesetz sie begünstigen würde.

Nicht nur politische Parteien, sondern auch Umweltschützer protestieren heftig gegen den Entwurf. Karuna Raina von Greenpeace India äußerte: »Wenn harte Entscheidungen getroffen werden müssen, dann scheint die Regierung der Vereinten Progressiven Allianz stets die Bürger Indiens zu verladen, um ausländische Unternehmen zu befriedigen.« Chandra Bhushan, Direktor im Delhier Zentrum für Wissenschaft und Umwelt, erinnerte daran, dass viele Opfer der Giftgaskatastrophe 1984 in Bhopal noch immer auf Entschädigung warten und zur Entgiftung der verseuchten Todesfabrik bislang kein Penny ausgegeben wurde. Er nannte auch das Beispiel der Coca-Cola-Fabrik in Plachimada im Unionsstaat Kerala, die wegen Umweltverschmutzung laut Gerichtsurteil 2,16 Milliarden indische Rupien zahlen soll. Der Gesetzentwurf über Schadenersatz bei einer unvergleichlich schlimmeren Atomkatastrophe sehe hingegen als Höchstgrenze gerade mal fünf Milliarden Rupien vor. »Das ist lächerlich. Haben wir gar nichts aus Bhopal gelernt?«, fragte Bhushan. Angesichts der verbreiteten Ablehnung ihres Gesetzentwurfs wagte die Regierung nicht, die Vorlage ins Parlament einzubringen. Er wird erst einmal intensiv überarbeitet werden müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2010


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