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Massenprotest in Indien

Linke Parteien initiierten Generalstreik gegen Teuerungswelle

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

In 13 indischen Bundesstaaten drehten sich am Dienstag (27. April) die Räder langsamer oder kamen gar zum Stillstand. Die linken Parteien KPI, KPI (Marxistisch), Vorwärtsblock und Revolutionäre Sozialistische Partei hatten zum »Bharat Bandh« gerufen, zum Generalstreik. Ein Dutzend oppositioneller Parteien schloß sich dem zwölf Stunden dauernden Ausstand an. Er richtete sich gegen die seit Monaten anwachsende Teuerungswelle und die Wirtschaftspolitik der indischen Regierung.

Vor allem in den von linken Koalitionen regierten Bundesstaaten Tripura, Kerala und Westbengalen ging fast nichts mehr. Ämter und Betriebe blieben geschlossen. Der Verkehr ruhte. In der westbengalischen Hauptstadt Kolkata mußten fast 50 Flüge gestrichen werden. Die Eisenbahn hatte stundenlange Verspätungen in Kauf zu nehmen. Busse, Taxis, Motorrikschas und Lastwagen fuhren nicht. An verschiedenen Orten, so in Orissa und in Uttar Pradesh, wurden Autobahnen blockiert. In Lucknow gingen drei Busse in Flammen auf. Auch im Süden, in Andhra Pradesh und in Tamil Nadu, fand der Streik ein starkes Echo. In Delhi hingegen waren die Auswirkungen des Bharat Bandh minimal.

Brinda Karat, Politbüromitglied der KPI (Marxistisch), schätzte den Ausstand als »sehr erfolgreich« ein. Bemerkenswert war, daß den Aufruf starke Regionalparteien unterstützt hatten, darunter die Telugu Desam Party, die AIADMK in Tamil Nadu, die Samaj­wadi Party in Uttar Pradesh und die Rashtryia Janata Dal in Bihar. In den vergangenen zwölf Monaten waren die Preise für Grundnahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs um rund 20 Prozent gestiegen. Linsen, Milch, Zucker, Weizen, Reis und Gemüse wurden so teuer, daß sie für Arme unerschwinglich geworden sind.

Zeitgleich mit dem Generalstreik attackierten linke Abgeordnete und Vertreter der rechten Indischen Volkspartei (BJP) im Parlament von Neu-Delhi den ökonomischen Kurs der Regierung. Sie verlangten Korrekturen im Budget und die Rücknahme der Steuererhöhungen auf Benzin, Diesel und Düngemittel. Die regierende Kongreßpartei versuchte, ihr Versagen auf breitere Schultern zu verteilen: Preissteigerungen seien nicht allein Sache der Zentralregierung. Auch die Verwaltungen der Bundesstaaten, die beispielsweise für das öffentliche Verteilungssystem von Lebensmitteln für Bedürftige verantwortlich seien, könnten den Preissteigerungen entgegen wirken. Gurudas Dasgupta, Fraktionsführer der KP Indiens im Parlament, erklärte vor den Medien, mit dem Protest solle nicht die Koalitionsregierung der Vereinten Progressiven Allianz ins Wanken gebracht, sondern Druck ausgeübt werden, die neoliberale ökonomische Politik zu ändern.

Die BJP hatte schon vorige Woche, in gehörigem Abstand zu den Linken, in der Öffentlichkeit ihre Ablehnung der »falschen Politik« der Regierungskoalition bekundet. Auf Meetings und Demonstrationen in Neu-Delhi wandte sie sich gegen »schlechtes Regieren und verbreitete Korruption«. Die Reichen würden immer reicher, während die Armen und die Mittelklasse durch die Preissteigerungen unter die Räder gerieten. BJP-Präsident Nitin Gadkari verwies farauf, daß die Preisspirale eine beträchtliche Anzahl von Bauern in den Selbstmord getrieben habe. Allein in der Region Vidarbha im Unionsstaat Maharashtra hätten seit Januar mehr als 150 Bauern keinen anderen Ausweg aus ihrer Verschuldung gesehen als den Freitod. Oppositionsführerin Sushma Swaraj erklärte, wenn die Regierung die Teuerungswelle nicht stoppen könne, dann sollte sie zurücktreten.

* Aus: junge Welt, 28. April 2010


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