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Kraftvoller "Bharat Bandh"

Zweitägiger Generalstreik legt Indien lahm

Von Hilmar König *

Ein Überdenken des gesamten marktwirtschaftlichen »Reformkurses« der Regierung der Vereinten Progressiven Allianz (VPA) forderten die etwa 100 Millionen Teilnehmer eines landesweiten Generalstreiks, der am Mittwoch und am Donnerstag weite Teile Indiens lahmlegte. Das Finanzzentrum Mumbai – früher Bombay – war durch die Arbeitsniederlegung Zehntausender Mitarbeiter paralysiert. Der Vizepräsident der Assoziation der Bankangestellten, V. Utagi, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur IANS: »Der Banken- und der Finanzsektor sind zu 100 Prozent geschlossen, nicht nur in Mumbai, sondern überall im Land.«

Am Mittwoch war in Ambala im Bundesstaat Haryana der Schatzmeister des Allindischen Gewerkschaftskongresses (AITUC), Narender Singh, ums Leben gekommen, als er einen Bus mit Streikbrechern stoppen wollte. Das löste gewaltsame Proteste seiner Kollegen aus. Auch in Noida im Bundesstaat Uttar Pradesh kam es zu Ausschreitungen. 25 Autos wurden in Brand gesteckt, etliche Fabrikgebäude demoliert, mindestens 65 Personen festgenommen.

Den »Bharat Bandh« – den Indien-Ausstand – hatten elf große Gewerkschaftsverbände ausgerufen. AITUC-Generalsekretär Gurudas Dasgupta erklärte, erstmals sei es gelungen, daß alle Trade Unions gemeinsam einen Generalstreik über zwei Tage gegen die Wirtschaftspolitik der VPA durchführen. Als Gründe für den Protest nannte er u.a »die himmelhohe Inflation«, die Privatisierung von profitablen Staatsunternehmen und den fehlenden Willen der Regierung, die geltenden Arbeitsgesetze in der Praxis anzuwenden. Bemerkenswert ist, daß sich auch INTUC, die der regierenden Kongreßpartei nahestehende mächtige Gewerkschaft, an dem Ausstand beteiligte und damit Druck auf die »eigenen« verantwortlichen Politiker ausübte.

Premierminister Manmohan Singh hatte die Gewerkschaften aufgefordert, den Streik abzublasen, da dieser nur die Wirtschaft schädige und der Bevölkerung Ungelegenheiten bereite. Tatsächlich waren vielerorts Märkte und Geschäfte, Beamtenstuben und Schulen, Banken und Versicherungen geschlossen, der Straßen- und der Bahnverkehr teils stark eingeschränkt, Busse, Vorortzüge und U-Bahnen überfüllt. Taxen und Autorikschas fuhren nicht. In Bihar, Jharkhand und anderen Gegenden kamen auch Bergbau und Industrie zum Erliegen. Die Assoziation der Industrie- und Handelskammern schätzte die Verluste auf bis zu 200 Milliarden Rupien (etwa 2,8 Milliarden Euro).

Der Forderungskatalog der Gewerkschaften besteht aus zehn Punkten. Strikte Maßnahmen zur Kontrolle der Verbraucherpreise, die im Januar durchschnittlich um 10,6 Prozent gestiegen waren, gelten als vordringlich. Zudem fordern die Trade Unions mehr Arbeitsplätze, die Erhöhung des Mindestlohns auf monatlich 10000 Rupien, ein Netz sozialer Sicherheit, darunter Renten und Teuerungszulagen für alle Beschäftigten.

* Aus: junge welt, Freitag, 22. Februar 2013


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