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Das Wasser bis zum Hals

Indische Staudammopfer protestieren gegen die Flutung ihrer Häuser und Äcker

Von Hilmar König *

Im mittelindischen Bundesstaat Madhya Pradesh stehen seit 13 Tagen 51 Frauen und Männer abwechselnd bis zum Hals im Wasser des Omkareshwar-Staudammes. Dessen Spiegel steigt laut Regierungsbeschluß seit dem 25. August um vier Meter. Mit ihrer friedlichen Protestaktion »Jal Satyagraha« wollen sich die 51 »Oustees« (Vertriebene) bei den Behörden Gehör verschaffen und auf ihre miserable Lage verweisen.

Vor allem fordern sie, die Flutung zu stoppen und damit zu verhindern, daß Haus und Hof sowie wertvolles Ackerland, das ihre Existenzgrundlage bildet, im Stausee versinken. Sie sind entschlossen, lieber zu ertrinken, als zu weichen, wenn die Regierung Madhya Pradeshs nicht reagiert. Sie erhalten inzwischen solidarische Unterstützung von der seit Jahrzehnten aktiven Umweltorganisation Narmada Bachao Andolan (Rettet die Narmada), von der Menschenrechtskommission Madhya Pradeshs, der Asiatischen Menschenrechtskommission und Tausenden Betroffenen am heiligen Fluß Narmada. In Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaates, gab es zu Wochenbeginn eine Solidaritätsdemonstration unter Beteiligung von Gewerkschaften, der KPI (Marxistisch) und anderer linker Gruppen.

2500 betroffene Familien wandten sich mit Eingaben an Indiens Höchsten Gerichtshof. Sie beklagen, gar nicht oder ungenügend entschädigt worden zu sein. Eigentlich sollten alle betroffenen Anwohner mindestens sechs Monate vor der Flutung des Stausees umgesiedelt und ihre Lebensgrundlage durch die Zuteilung von mindestens zwei Hektar Ackerland abgesichert worden sein. Doch das ist in den wenigsten Fällen passiert. Hunderte wurden bereits vertrieben. In 30 von der Überflutung gefährdeten Dörfern gibt es energischen Widerstand gegen das Omkareshwar-Projekt. In den Dörfern Ghogalgaon und Khardana entschloß man sich zur »Jal Satyagraha«.

Die Regierung Madhya Pradeshs zeigte sich bislang unnachgiebig und behauptete am Montag, es bestehe keinerlei Gefahr für die Menschen am Stausee. Man habe alle »Vorsichtsmaßnahmen« getroffen, und der Wasserstand erhöhe sich ja auch nur ganz langsam. Das Grundproblem jedoch, eine vernünftige Umsiedlung aller Bürger mit sozialer Rehabilitation abzusichern, bleibt ungelöst. Der Sekretär des Narmada-Entwicklungsgremiums NVDP, Rajneesh Vaish, erklärte am Montag, 6290 entwurzelte Familien seien finanziell entschädigt und 46 Siedlungen mit allen lebensnotwendigen Einrichtungen, inklusive 600 Quadratmeter große Bodenstücke, übergeben worden. Insgesamt jedoch sind schätzungsweise 50000Menschen betroffen.

Das 520-MW-Omkareshwar-Projekt gehört zur Kette von 30 Großdämmen an der Narmada, die durch mehrere Bundesstaaten fließt. Es wurde von der staatlichen Narmada Hydroelectric Development Corporation in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Voith Siemens zwischen 2002 und 2007 verwirklicht. In Deutschland unterstützt die Organisation Urgewalt die Oustees an der Naramada. Geschäftsführerin Heffa Schücking besuchte das Gebiet und erklärte danach: »Es ist eine Schande, daß Voith Siemens sich an diesem Projekt beteiligt hat. Auf ihrer Webseite feiert die Firma den Omkareshwar-Damm als großen Erfolg, der ihr weitere Aufträge in Indien bescheren wird. Sie trägt Mitverantwortung dafür, daß nun 50000 Menschen einfach aus ihren Dörfern geflutet werden. Voith Siemens’ Indiengeschäft ist auf Menschenrechtsverletzungen gebaut.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. September 2012


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