Spiele und Skandale
Delhi rüstet für die Commonwealth Games. Unfertige Sportstätten, Finanzprobleme, Hungerlöhne und Kinderarbeit kratzen am Image des Megaereignisses
Von Thomas Berger *
Vom 3. bis 14. Oktober wird die indische Hauptstadt Gastgeber der
Commonwealth Games sein. Das zwölftägige sportliche Großereignis soll
als Teil einer großen Imagekampagne Delhi und das ganze Land in
glänzendem Licht erscheinen lassen. Die Spiele sind willkommener Anlaß
für den zweiten Giganten Asiens, sich als modern zu präsentieren. Doch
die Rechnung der Politiker geht nicht auf. Das anstehende Event wird von
Skandalen überschattet. Die Kosten steigen. Der Baufortschritt an
Stadien und anderen Infrastrukturprojekten hinkt den Planungen
hinterher. Vor allem aber die Zustände auf den Baustellen mit
Hungerlöhnen und Kinderarbeit tragen zur gegenwärtigen Negativwerbung bei.
Im späten Frühjahr mußte die Lokalregierung von Delhi eingestehen,
faktisch pleite zu sein. Metropole und Nation teilen sich die Kosten
rund um das wichtigste Sportereignis des Commenwealth, eines losen, aus
den Trümmern des britischen Kolonialreiches entstandenen
Staatenverbundes. Von 16,2 Milliarden Rupien (240 Millionen Euro)
spricht Suresh Kalmadi, Chef des Organisationskomitees. Das Housing and
Landrights Network (HLRN), eine Nichtregierungsorganisation (NGO), kommt
in einer kürzlich veröffentlichten Studie zu dem Schluß, daß schon jetzt
ein Vielfaches dieses Betrages zu Buche schlägt.
Die genannte Summe sei lediglich der Umfang des Kredits, den das Komitee
zur Deckung der unmittelbaren Organisationsausgaben aufgenommen hat. Das
HLRN verwies darauf, daß selbst ein Kollege von Kalmadi im März
gegenüber der indischen Nachrichtenagentur PTI die Zahl 100 Milliarden
Rupien genannt habe. In ähnlicher Größenordnung bewegen sich Angaben aus
dem Sportministerium, während Delhis Finanzminister allein die
städtischen Ausgaben auf rund 150 Milliarden Rupien beziffert hat. Die
NGO geht sogar noch weiter, kommt in der Studie auf eine geschätzte
Gesamtsumme von 300 Milliarden Rupien (knapp 4,5 Milliarden Euro) für
Stadien, Sportlerdorf, Medienzentrum, Organisationshauptquartier sowie
die Unterbringung und den Transport der Athleten. Da maximal 700
Millionen Rupien durch den Ticketverkauf erlöst werden können, bisher
nur für 2,4 Milliarden Rupien Sponsoren gebunden sind, und auch die
Vermarktung solche Extrembeträge nicht einspielen kann, wird in den
staatlichen Kassen am Ende ein riesiges Loch bleiben. Damit bekommt das
von Politikern vielzitierte »langanhaltende Erbe der Spiele« eine
ungewollt makabere Bedeutung.
Der Bauboom für Sportstätten und andere Objekte hat die Bodenpreise in
verschiedenen Gebieten der Hauptstadt in die Höhe schnellen lassen. Laut
HLRN-Studie wurden rund 350 Slumviertel, in denen etwa 200000 Menschen
wohnten, zum Abriß freigegeben. Nur ein Bruchteil der so obdachlos
Gewordenen hat inzwischen eine neue Heimstatt erhalten. Außerdem würden
Bauten für die Spiele entgegen den Vorgaben des »Delhi Master Plan 2021«
errichtet. Und: Die damit einhergehende Staubbelastung werde die Menge
der Asthmafälle und Allergien ansteigen lasen. Die beschworene
»Verschönerung« der 14-Millionen-Metropole führe nicht zuletzt zur
Schließung von rund 10000 Dhabas (einfachen Straßenrestaurants) sowie
zum Jobverlust für unzählige Rikschafahrer, Müllsammler und andere
Berufsgruppen, listet das HLRN auf.
Laut Politikern und Organisatoren lassen die Spiele insgesamt
zweieinhalb Millionen neue Jobs entstehen. Aber auch diese Rechnung geht
nicht auf. Zwar spricht auch die Nichtregierungsorganisation von bis zu
1,5 Millionen Arbeitsmigranten, die mittlerweile auf Delhis Baustellen
schuften. Doch diese Jobs seien nun einmal nicht dauerhaft, nach
Abschluß der Arbeiten gebe es für die meisten keine Folgeaufträge. Und
daß selbst die enorme Zahl an Arbeitskräften nicht die pünktliche
Fertigstellung der Bauten sichern kann, ist nur ein weiterer Beleg
dafür, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.
Der größte Skandal ist, was sich auf den Baustellen fernab kritischer
Blicke abspielt. Statt menschenwürdiger Einkommen für Hunderttausende
Familien sind Ausbeutung mittels Lohndumping, unbezahlte Überstunden und
fehlender Arbeitsschutz an der Tagesordnung. Niemand kontrolliert die
Firmen, wieviel sie zahlen und unter welchen Bedingungen sie die
Arbeiter sich placken. Eher im Gegenteil: Der Termindruck zur
Fertigstellung wird unmittelbar an diese Menschen weitergegeben. Schon
im Herbst 2009 hatten einheimische Medien über Baustellen der Metro
geschrieben, daß Arbeiter im Einzelfall 55-Stunden-Schichten schieben
mußten. Die U-Bahn soll das wichtigste Transportmittel zu den Spielen
werden. Aber selbst bei der Vervollkommnung von Phase II des
Streckennetzes zeichnen sich Probleme ab, die Termine zu halten.
Die Liste der skandalösen Praktiken von Baufirmen, die von den
Auftraggebern in Kauf genommen oder geduldet werden, reicht bis zu
Kinderarbeit. Anfang Februar berichteten britische, australische und
neuseeländische Zeitungen beinahe zeitgleich über Mädchen und Jungen im
kaum schulfähigen Alter, die bereits zu Erwachsenenarbeit herangezogen
werden. Kinder schleppen Steine, helfen beim Anlegen von Leitungskanälen
- die australische Herald Sun, der britische Guardian und andere
druckten die Bilder. Getan hat sich nichts.
Da nach einem neuen Gesetz bei Baustellen ein Prozent des Finanzvolumens
in Sozialmaßnahmen für die Arbeiter fließen soll, stehen nach
Schätzungen an die 70 Millionen Dollar (etwa 54586000Euro)bereit.
Lediglich eine fünfstellige Summe soll die Adressaten bisher erreicht
haben. Dafür rechnet selbst Delhis Chefministerin Sheila Dixit
(Kongreßpartei) nach den Spielen mit drei Millionen zusätzlichen
Obdachlosen in der Stadt. »Wer einmal kommt, der geht nicht wieder«,
sagte sie kürzlich dem Wochenmagazin Outlook.
* Aus: junge Welt, 24. Juli 2010
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