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Saatpiraterie in Indien

Gegner genveränderter Agrarkulturen warnen vor Risiken und neuen Abhängigkeiten

Von Hilmar König *

Der indische Baumwollanbau wird zu 93 Prozent mit genverändertem Saatgut betrieben. Insgesamt 60 Firmen des Landes verkaufen ausschließlich genveränderte Baumwollsaat des US-Saatgutriesen Monsanto. Die Umweltaktivistin und Wissenschaftlerin Vandana Shiva spricht deshalb in verschiedenen Veröffentlichungen von »Saatkrieg, Saatpiraterie und Saatsklaverei«. Im Oktober organisierte ihre 1991 gegründete Bewegung Navdanya die »Kampagne Saatfreiheit«, die sich energisch gegen Patente für Nahrungsmittelkulturen wandte. Navdanya hat sich die Verteidigung der Bürgerrechte auf Wissen, auf Bewahrung der Biovielfalt, auf Wasser und Nahrungsmittel sowie den Schutz der Natur auf ihre Fahnen geschrieben und richtete inzwischen 110 kommunale Saatbanken ein. Sie dienen der Existenzsicherung in ländlichen Gebieten.

Vandana Shiva kämpft dagegen, daß genmodifizierte Organismen (GMO), bei denen das Erbgut durch Eingreifen im Labor manipuliert wird, nicht auch im indischen Nahrungsmittelsektor Einzug halten. Auf dem Weltmarkt haben sie sich schon bei Soja, Mais und Raps, vorwiegend als Futtermittel eingesetzt, etabliert. Das Monopol und die Patente für die entsprechenden Saaten halten Monsanto, das Schweizer Unternehmen Syngenta, Dow AgroSciences, Dupont (beide USA) und die deutsche BASF.

Shiva kämpft nicht alleine. Schon im Jahre 2009 hatte eine internationale »Union besorgter Wissenschaftler« den indischen Premier gewarnt, GM-Kulturen würden einzigartige Risiken für die Nahrungsmittelsicherheit, für Agrarsysteme und Biovielfalt bergen sowie einheimische Originalkulturen zerstören. Die von den GM-Konzernen gegebenen Versprechungen seien übertrieben. So stimme weder, daß genmanipulierte Saaten signifikant höhere Erträge brächten, noch daß sie mit weniger Herbiziden und Pestiziden auskämen. Untersuchungen in indischen Baumwollanbaugebieten haben das bestätigt. Von 3700 befragten Farmern in der Vidarbha-Region sagten 71 Prozent aus, daß nach der Einführung von Monsantos Bt-Cotton in den Jahren 2002 und 2003 die Ernteerträge sanken. Im Bundesstaat Madhya Pradesh waren zwischen 1996 und 2002 pro Hektar 613 Kilogramm Baumwolle geerntet worden. Im Jahre 2008 waren es nur noch 518 Kilogramm. Laut Vandana Shiva stieg nach Einführung von Bt-Cotton der Verbrauch von Pestiziden auf indischen Baumwollfeldern um das 13fache.

Vandana Shiva hält es für einen Skandal, Nahrungsmittelkulturen zu patentieren. Sie seien keine neue Erfindungen, sondern würden jahrtausendealte Erfahrungen der Landwirte dreist nutzen. Deshalb spreche sie von Piraterie. Die Konzerne würden sich beispielsweise das Wissen um das Aroma des indischen Basmati-Reises, den geringeren Glutengehalt indischer Weizensorten, Salz-, Dürre- und Überschwemmungstoleranz aneignen und mit Patenten darauf »intellktuelle Eigentumsrechte« erheben. Das Saatmonopol schaffe neue Abhängigkeiten für die indischen Farmer. Es habe dazu beigetragen, daß 270000 hochverschuldete Bauern Selbstmord begangen haben. Viele davon hätten versucht, durch Anleihen das angepriesene überteuerte Bt-Cotton-Saatgut zu erwerben. Als Triebkraft der Saatmultis nennt Frau Shiva Superprofite und den Drang, sich Natur und Gesellschaften Untertan zu machen. »Sie kontrollieren Regierungen, Medien und die Forschung«, sagte sie kürzlich in einem Interview.

Rund 70 Prozent der 1,2 Milliarden Inder leben von der Landwirtschaft. Deren Existenz steht auf dem Spiel. Die Agrarproduktion mit lediglich zweiprozentigen jährlichen Wachstumsraten kann mit dem immer noch rasanten Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten. Für die Lösung des Problems ist die Durchsetzung des Rechtes auf Boden, für das in diesem Herbst große Teile der Landbevölkerung demonstrierten, unabdingbar.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. November 2012


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