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Indiens Goldhamster

Währungsverfall: Finanzministerium und Zentralbank im Krisenmodus. Im Lande begehrtes Edelmetall mutiert immer mehr zur Spekulationsware

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Der dramatische Wertverlust der indischen Rupie hält an (jW berichtete). Sowohl das Finanzministerium als auch die Zentralbank sind bereits seit geraumer Zeit alarmiert. Beide Institutionen versuchen mit einer Reihe von Maßnahmen, den Sinkflug der Währung zu stoppen und gegen eine der Haupt­ursachen – das Handelsbilanzdefizit – anzugehen. Zu Wochenbeginn hatte die Währung des 1,2-Milliarden-Einwohner-Staates mit einem Verhältnis von 63.13 Rupien zum US-Dollar einen neuen Tiefststand erreicht. Die Behörden setzen auf eine Erhöhung der Importzölle für Goldbarren, Silber und Platin sowie ein Verbot der zollfreien Einfuhr von TV-Geräten mit Flachbildschirm, um den Abwärtstrend zu stoppen.

Auf dem internationalen Flughafen von Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) können sich die Goldshops über mangelnde Kundschaft nicht beklagen. Nicht nur Frauen bewundern die hochkarätigen Auslagen, glitzernden Schmuck, unzählige Ringe, Halsketten und Armreifen. Vor dem Angebot an 22-karätigem Gold drängeln sich gegenwärtig auffällig viele Inder. Viele von ihnen arbeiten in Dubai oder anderen Golfstaaten. Und viele aus der begüterten Mittelklasse kommen zu einem Kurzbesuch, um hier und in den Basars der Stadt einzukaufen, sozusagen dem Ruf des Goldes folgend. Denn gerade jetzt, da die indische Regierung die Importzölle von acht auf zehn Prozent erhöht und damit den Preis für Goldschmuck auf den heimischen Märkten spürbar nach oben getrieben hatte spricht vieles dafür, in Dubai steuerfrei und damit relativ billig das Edelmetall zu erwerben und zu Hause mit einem Gewinn von bis zu 20 Prozent zu verkaufen. Die Goldhamster wissen, daß die Ware in Indien begehrt ist. Der Bedarf auf dem indischen Markt ist nach wie vor enorm. Gold ist in allen Bevölkerungsschichten ein wesentlicher, unverzichtbarer Teil der Mitgift der Braut. Die Heiratssaison von Oktober bis Dezember garantiert deshalb massenhaften Absatz.

Die Experten in der Regierung hoffen, mit den erhöhten Importzöllen das Staatssäckel um zusätzlich umgerechnet etwa vier Milliarden US-Dollar (2,99 Milliarden Euro) zu füllen. Gleichzeitig nimmt auf der anderen Seite der Schmuggel mit dem Edelmetall wieder zu. Vor allem über Nepal, das eine lange, kaum bewachte Grenze mit Indien hat, aber auch mit Thailand und den Golfstaaten. Indiens Zoll lieferte in den vergangenen Wochen wiederholt Schlagzeilen, als er auf dem internationalen Flughafen von Neu-Delhi Schmuggler erwischte, die kiloweise Gold im Gepäck oder am Körper versteckt ins Land bringen wollten. Bei den Schmuckkäufern, die eher kleine Geschäfte machen, drücken die Behörden dem Vernehmen nach schon mal ein Auge zu.

Dubais Goldhändler und Juweliere sind nach Aussage von Shamlal Ahmad von der Firma »Malabar Gold and Diamond« jedenfalls bestens gewappnet, den Ansturm indischer Käufer zu verkraften. Diese werden in den kommenden Wochen mit Sonderangeboten und Aktionen noch extra angelockt. Die indische Rupie ist in diesem Haushaltsjahr bereits um zwölf Prozent abgewertet worden. Die Intervention der Notenbank durch Zinserhöhungen konnte das nicht verhindern. Das Handelsbilanzdefizit – 300 Milliarden Dollar Exportgewinnen stehen 500 Milliarden Dollar Ausgaben für Importe gegenüber – bereitet der Regierung große Sorgen. Die Devisenreserven schrumpfen. Finanzminister Palaniappan Chidambaram hofft, das Defizit im Rahmen von etwa 70 Milliarden Dollar und damit bei 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu halten. Investoren zeigen sich stark verunsichert. Immer neue Abstürze von Aktien an der Börse in Mumbai gehören inzwischen zum Alltag. Indiens Wirtschaft registriert mit fünf Prozent die niedrigste Wachstumsrate seit zehn Jahren.

Anzeichen, daß die verzweifelt anmutenden Gegenmaßnahmen der Regierung greifen, gibt es bislang nicht. Die Importe werden teurer, die Lebenshaltungskosten steigen, weil die Inflation zunimmt. An den Tankstellen und auf den Märkten müssen die Bürger tiefer in die Taschen greifen. T.C.A. Ranganathan, der Vorsitzende und Managing Director der Export-Import-Bank of India, hält verstärkte Exporte für unabdingbar. Vor allem die Herstellung von Gütern müsse angekurbelt und neue Märkte in Lateinamerika und Afrika erschlossen werden. Die Experten sind uneins. Die einen meinen, die Maßnahmen der Regierung hätten sich als ineffektiv erwiesen und die Gefahr einer »voll aufgeblasenen Krise« für Indien als drittstärkste Wirtschaft Asiens her­aufbeschworen. Andere halten gerade jetzt die Zeit für gekommen, sich dem Wettbewerb zu stellen und nach neuen Möglichkeiten für Investitionen zu suchen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 24. August 2013


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