Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Religiöses Pulverfaß

Indien: Ausgangssperre soll Zusammenstöße zwischen Hindus und Muslimen verhindern

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Stacheldraht, Straßensperren, Barrikaden, Polizeipatrouillen und Armeekommandos. In Hyderabad, der Hauptstadt des südostindischen Bundesstaates Andhra Pradesch herrscht eine gefährliche Spannung. In 25 Polizeibezirken wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Behörden hoffen, damit weitere Zusammenstöße zwischen Hindus und Muslimen unterbinden zu können. Seit Samstag kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Religionsgruppen. Die Unruhen hatten in der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Altstadt begonnen und sich auf die Neustadt ausgeweitet, wo auch internationale IT-Unternehmen ihre Vertretungen haben.

Zwei Tote sind zu beklagen. Über 150 Menschen wurden durch Steinwürfe sowie durch Schlagstockeinsatz, Tränengas und Gummigschosse der Ordnungshüter verletzt. 110 Unruhestifter nahm die Polizei in Gewahrsam. Geschäfte wurden geplündert und zerstört, einige Gotteshäuser sowie mehr als 60 Fahrzeuge beschädigt. Die städtischen Behörden ließen die Abschlußprüfungen für die 10. Klassen sowie Examen an der Osmania University verschieben.

Angeblich wurden die Unruhen durch einen Streit um Glaubenssymbole ausgelöst Beide Religionsgruppen feierten Festtage, zu denen sie ihre Häuser und Straßen dekorieren. Dabei muß es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sein. Die Polizei unterschätzte anfangs den Ernst der Lage und erlaubte Prozessionen bekannter radikaler Hinduorganisationen zu Ehren des Gottes Hanuman.

Wie vorauszusehen war, kam es dabei zu Übergriffen von beiden Seiten. Mit Mühe brachten die Einsatzkommandos die Lage wieder unter Kontrolle. Die Vorfälle belegen erneut, daß ein Funke genügt, das »religiöse Pulverfaß« Indien zur Explosion zu bringen. Die so viel beschworene nationale »Einheit in der Vielfalt« gerät beim kleinsten Zwischenfall in Gefahr.

Ohnehin ist die Situation in Hyderabad und in Andhra Pradesch seit Monaten gespannt, weil es Bestrebungen gibt, von dem Bundesstaat eine Region abzuspalten und zu einem separaten Bundesstaat namens Telangana zu machen. In diesem würde auch Hyderabad liegen. Das kontroverse, leidenschaftlich debattierte Thema beschäftigte auch schon das Zentralparlament und die Regierung in Neu-Delhi. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Kritiker äußerten, die Konzentration auf Telangana habe den Blick dafür verstellt, was sich in Hyderabad zusammenbraute und in den letzten Tagen gewaltsam entlud.

* Aus: junge Welt, 1. April 2010


Zurück zur Indien-Seite

Zur Islam-Seite

Zurück zur Homepage