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Andhra Pradesh bleibt ohne Lösung

Untaugliches Gewaltkonzept gegen die aufständischen Maoisten Indiens

Von Hilmar König, Delhi *

Maoistische Rebellen beschäftigen in wachsendem Maße die Sicherheitskräfte in mehreren indischen Unionsstaaten. Am Sonntag (23. Juli 2006) gelang der Polizei in Andhra Pradesh nach eigenen Angaben ein »schwerer Schlag».

Bei einem Feuergefecht in einem Waldstück des südlichen Unionsstaates wurden am Sonntag (23.07.06) Burra Chinnamaiah, der lokale Chef der KPI (Maoisten), und sieben seiner Mitstreiter, darunter fünf Frauen, getötet. Polizeigeneraldirektor Swaranjit Sen bewertete das als »schweren Schlag gegen die Aufständischen« und glaubt, ihnen bleibe jetzt nur, die Waffen zu strecken und sich in den politischen Hauptstrom zu integrieren.

Aber genau das wird vorerst nur Wunschtraum der Sicherheitsleute bleiben. Denn die bisherigen Anläufe, mit den Maoisten zu Verhandlungslösungen zu kommen, scheiterten kläglich. Selbst eine mehrere Monate währende Legalisierung der KPI (M) und ihrer Massenorganisationen sowie Gespräche mit ihren aus dem Untergrund aufgetauchten Führern im Herbst 2005 brachten keinen wirklichen Durchbruch und konnten das auf beiden Seiten tief sitzende Misstrauen nicht überwinden. Nach dem kurzen »Tauwetter« verhärteten sich die Fronten noch mehr. Bislang kamen in diesem Jahr laut (eher zu niedrig angesetzten) Polizeiinformationen 80 Rebellen sowie 20 Polizisten und Zivilisten bei Kämpfen ums Leben.

Andhra Pradesh ist nur einer von 13 Unionsstaaten, in denen die auch unter dem Begriff Naxaliten bekannte maoistische Guerilla seit Jahrzehnten agiert. Besonders stark organisiert ist sie im zentralen Unionsstaat Chattisgarh, wo ein beträchtlicher Teil der vernachlässigten indischen Stammesbevölkerung (Adivasi) siedelt. Unter ihr finden die Maoisten Rekruten für ihren bewaffneten Kampf gegen korrupte Beamte, Geldverleiher, Großgrundbesitzer. Zugleich wirbt der Staat, der der Naxaliten-Bewegung mit Macht einen Riegel vorschieben will, um die Adivasi. Er baut besoldete »Selbstschutzmilizen« auf und gedenkt damit, den eigenen Sicherheitsapparat zu entlasten. Seit über einem Jahr läuft die von der Chattisgarh-Regierung gesponserte Aktion Salwa Judum. Das dem lokalen Gondi-Dialekt entlehnte Wort bedeutet »Friedensmission«.

In Wirklichkeit soll maoistische Gewalt mit Gegengewalt beantwortet werden. Stammesangehörige erhalten Waffen. Zu ihrer eigenen Sicherheit mussten sie in Lager umsiedeln, wo sie eine militärische Grundausbildung erhielten. Sie büßten nicht nur ihre relative Unabhängigkeit ein, sondern wurden somit auch zur Zielscheibe ihrer in der Guerilla organisierten Stammesbrüder. Die Salwa-Judum-Lager, in denen etwa 50 000 Adivasi notgedrungen campieren, werden immer wieder attackiert. Das jüngste Beispiel stammt von voriger Woche. Hunderte Maoisten griffen das Lager Errabore im Distrikt Dantewada und gleichzeitig die Polizeistation und das Camp der Zentralen Polizeireserve an, die eigentlich den Salwa-Judum-Aktivisten zusätzlichen Schutz bieten sollen. 28 Lagerinsassen, darunter Frauen und Kinder, wurden massakriert. Ajay Sahni vom Institut für Konfliktmanagement in Delhi kommentierte: »Die Attacke war eine rohe Demonstration maoistischer Macht. Die Botschaft lautete unmissverständlich: Fordert uns nicht heraus.« Seit Jahresbeginn kamen allein in Chattisgarh mindestens 460 Menschen bei solchen Überfällen ums Leben.

Längst befasst sich die Regierung in Delhi, die paradoxerweise in Nepal zur Annäherung zwischen den maoistischen Aufständischen und den Parteien beigetragen hat, mit dem militanten Naxalismus. Allerdings vorwiegend unter dem Aspekt, ihn militärisch zu liquidieren, weil es ihn als Terrorismus sieht. Deshalb sprach Premier Manmohan Singh von den Maoisten als »größter innerer Bedrohung«. Nach dem Massaker von Dantewada lud das Innenministerium Vertreter des Sicherheitsapparates von Chattisgarh nach Delhi ein, um »Strategie und Position zur Salwa Judum zu überdenken.« Das Ministerium für Stammesangelegenheiten hat die Regierung von Chattisgarh mehrmals darauf verwiesen, dass der »Naxalismus kein Polizeiproblem ist, sondern zu Fragen der Entwicklung und der Landrechte Bezug hat.»

In Andhra Pradesh scheiterte die Initiative, mit den Maoisten eine Partnerschaft einzugehen, weil die vom Staat versprochenen sozialen Veränderungen nicht erfolgten. Sie müssten eine konsequente Bodenreform, Land- und Waldrechte, Respektierung der kulturellen Werte der Adivasi und ihrer Lebensweise, großzügige Unterstützung für Bildung und Gesundheitsbetreuung in den rückständigen ländlichen Gebieten einschließen. Eben diese Fragen sichern den Maoisten seit Jahrzehnten Zulauf.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2006


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