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Weichenstellungen in Indien

Demnächst entscheidet sich, wer für die beiden großen Parteien bei der Wahl 2014 ins Rennen gehen wird

Von Thomas Berger *

Für die indische Regierung unter Premier Manmohan Singh herrscht gerade einmal Halbzeit. Noch zweieinhalb Jahre sind es regulär bis zur nächsten Wahl 2014, doch schon jetzt bringen sich die großen Parteien in Stellung. Es geht nicht nur darum, welches der beiden Lager – das regierende sozialliberale Bündnis rund um den Indian National Congress (Kongreßpartei/INC) oder die konservative Opposition unter Führung der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei/BJP) – auf eine Mehrheit kommt. Unbestimmt ist derzeit auch noch, mit welchen Spitzenkandidaten die beiden Blöcke in den Wahlkampf gehen wollen. Gleich mehrere potentielle Bewerber bringen sich seit einigen Wochen verstärkt bei der BJP in Stellung, während sich beim INC die zentrale Frage darum rankt, ob Rahul Gandhi endgültig in die politischen Fußstapfen seiner Vorfahren tritt und ganz an die Spitze strebt.

Wachsender Einfluß in der Welt

Indien ist mit mehr als 1,2 Milliarden Menschen das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde. Absehbar daß es in den nächsten Jahrzehnten sogar China überholt. Als drittgrößte Wirtschaftsmacht Asiens ist das Land zudem einer der wichtigsten Global Player: Bei den Gipfeltreffen der G20 kommt der Stimme aus Neu-Delhi eine wachsende Bedeutung zu, und im Rahmen der BRICS-Gruppe bildet das Land gemeinsam mit Brasilien, Rußland, Südafrika und dem Rivalen China ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht zu alten und neuen Vorherrschaftsbestrebungen des Westens. Wer an der Spitze der indischen Regierung steht, führt somit nicht nur die sich gern als solche bezeichnende »größte Demokratie der Welt«, sondern auch eine nicht zu unterschätzende Macht auf geopolitischer Ebene. Klar scheint bislang nur eines: Daß Amtsinhaber Manmohan Singh nach Vollendung seiner zweiten Periode als Regierungschef altersbedingt nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern sich in den Ruhestand verabschieden wird. Der Wirtschaftsfachmann, vor rund 20 Jahren »Vater« der indischen Liberalisierungspolitik mit einer Abkehr von den seinerzeit unter Premier Jawaharal Nehru eingeführten und unter seinen Nachfolgern beibehaltenen ökonomischen Grundorientierungen, war nach dem Wahlsieg des INC-Bündnisses im Mai 2004 zunächst so etwas wie eine Verlegenheitslösung. Aus Sorge um die eigene Sicherheit wie auch die ihrer Kinder Rahul und Priyanka hatte Kongreßpartei-Chefin Sonia Gandhi auf das einflußreichste politische Amt verzichtet und statt dessen diesen treuen Gefolgsmann dafür durchgesetzt.

Eigentlich war sie diejenige gewesen, die sehr deutlich gegen Expremier Atal Behari Vajpayee von der BJP gewonnen hatte. Doch gegen Sonia, die Witwe des 1991 ermordeten Rajiv Gandhi und gebürtige Italienerin, gab es gerade unter rechten Hindu-Gruppierungen massive Vorbehalte und sogar Morddrohungen. Angesichts dessen, daß sowohl ihr Mann als auch zuvor schon ihre Schwiegermutter Indira Anschlägen zum Opfer gefallen waren, erschien der Wahlsiegerin das absehbare Risiko zu hoch. Sie begnügte sich damit, im Hintergrund die Fäden zu ziehen, während Manmohan Singh, nebenbei erster Anhänger der Sikh-Religion im Sessel des Premiers, die Amtsgeschäfte führte. Zumindest in der ersten Legislaturperiode gab es keine zentrale Entscheidung, die nicht wenigstens mit der INC-Chefin abgestimmt gewesen wäre. Und obwohl Sonias Gesundheit angeschlagen ist, findet sich die faktische Doppelspitze immer wieder zu Konsultationen zusammen, bei denen klar ist, wer im Zweifelsfall der eigentliche Entscheidungsträger ist. Singh hat damit kein Problem.

Die nächste Gandhi-Generation

Sonia allerdings wird Partei und Bündnis auch 2014 nicht wieder führen, so wie schon vor zwei Jahren klar war, daß sie und der Mann mit dem hellblauen Turban als Premier nur Platzhalter sind für die nächste Generation des Nehru-Gandhi-Clans. Seit längerem wird Sohn Rahul Gandhi als Kronprinz aufgebaut, hat diese Rolle inzwischen auch selbst für sich angenommen. Ob er in zweieinhalb Jahren nun reif ist, um ganz nach vorn zu treten, dahinter stehen momentan indes noch einige Fragezeichen.

Der 40jährige Sproß jener Familie, die Indiens Politik seit der Unabhängigkeit 1947 bis auf wenige Ausnahmen jahrzehntelang dominiert hat, ist einer der INC-Generalsekretäre und zudem wichtigstes Gesicht der parteiinternen »jungen Generation«. Noch gibt die alte Garde den Ton an, doch Rahul nimmt nicht nur selbst bei vielen Gelegenheiten kein Blatt vor den Mund, sondern hat auch Vertraute seiner Altersgruppe an einigen Schaltstellen installieren können. Gerade weil er kein gewähltes Amt innehat, muß sich der Hoffnungsträger wenig um falsche Rücksichtnahme scheren. Angriffslustig äußert er öfter und deutlicher als die meisten anderen INC-Spitzenvertreter Kritik an religiöser Intoleranz, macht auf die Gefahr des Erstarkens extremistischer Gruppierungen innerhalb des hindunationalistischen Lagers aufmerksam und ergreift Partei für die Belange der Ärmsten in der Gesellschaft. Demonstrativ sucht er nicht nur für kurze Pressetermine die Häuser von Dalits (einst Unberührbare, die auf der untersten Stufe im hinduistischen Kastensystem stehen) auf, sondern übernachtet sogar dort. Was nebenher natürlich einen beabsichtigten PR-Effekt für die Partei hat, entspringt allerdings grundsätzlich dem Anliegen, die Sorgen des dominierenden Teils der Bevölkerung ernst zu nehmen. Etwas, was der INC zwar stetig im Munde führt und was ihm gerade mit der Fixierung auf die benachteiligten Bewohner ländlicher Gebiete auch den Wahlsieg 2004 einbrachte, im praktischen Regierungshandeln meist wieder in den Hintergrund tritt.

Authentizität, Geradlinigkeit, Verteidigung der säkularen Grundfesten des Staates – das verkörpert Rahul indischen Medien zufolge, der zudem Stimme für die erstarkende indische Jugend ist. Doch reicht dies aus? Schon innerhalb der Partei ist für viele Weggefährten und mögliche Rivalen nicht klar, für welche grundlegenden politische Orientierungen er darüber hinaus steht. Bisher hat er es vermieden, sich allzu deutlich festzulegen. Die einen mögen dies als Stärke einstufen, sich nicht von einem der diversen Lager im INC für sich vereinnahmen zu lassen. Für andere ist es eine Beliebigkeit, die eine Identifikation gerade in Wahlzeiten erschwert und somit schnell zur Schwäche werden kann. Vor allem wirtschaftspolitisch darf Rahul als weitgehend unbeschriebenes Blatt gelten: Würde es mit ihm ein weiteres Fortschreiten auf dem stetigen Privatisierungskurs der letzten Jahre geben – oder hält er wenigstens den Kern dessen, was einst sein Großvater Nehru als sogenannten »dritten Weg« geprägt hat, für bewahrungswert?

Die alte Garde der Nationalisten

INC und BJP mögen grundverschieden sein. Ein Problem aber teilen sie derzeit: Auch die dominierende Oppositionskraft weiß noch längst nicht, mit wem an der Spitze sie 2014 in den Wahlkampf ziehen und womöglich die Macht zurückerobern will. Doch während bei der Kongreßpartei vieles am Ende doch für die Jugend in Persona von Rahul Gandhi spricht, könnte auf der Gegenseite einer stehen, der andernorts längst als rüstiger Rentner seinen Ruhestand genießen würde. Lal Krishna Advani, der dann stolze 86 Jahre wäre, hat momentan wohl die besten Aussichten, die Konservativen aus dem vermeintlichen oppositionellen Jammertal herauszuführen. Zumindest wird dem alten Schlachtroß der Bewegung am ehesten zugetraut, dem INC Paroli bieten zu können.

Advani, derzeit ohne formelles Parteiamt, war in der Vergangenheit Parteivorsitzender, Vizepremier und Innenminister unter Vajpayee sowie später als Fraktionschef der BJP Oppositionsführer im Parlament. Im Grunde gibt es keinen anderen, der auf so lange Erfahrung verweisen kann. Fitter als mancher 20 Jahre Jüngere wirkend, spielte Advani schon vor vier Jahrzehnten mit in der Spitzenliga der indischen Politik. In dieser Zeit hat er sich als Fuchs erwiesen, der im Tagesgeschäft erstaunliche Wendungen vollziehen kann, ohne allerdings von seinen Prinzipien abzuweichen. Lange Zeit galt er als Hardliner und Scharfmacher innerhalb der sogenannten »Safranbrigade« (Sammelbegriff für BJP und diverse andere hindufundamentalistische Gruppen), doch jeder pauschalisierende Einzelbegriff zur Katalogisierung des Politveteranen greift zu kurz und wird seiner Persönlichkeit nicht gerecht.

Wahr ist, und dies wird ihm als Makel sein Lebtag anhaften, daß er 1992 zu den verbalen Wegbereitern der gewaltsamen Zerstörung der Babri-Moschee im nordindischen Ayodhya (Bundesstaat Uttar Pradesh) gehörte. Ein aufgehetzter Hindu-Mob machte das muslimische Gotteshaus damals nahezu dem Erdboden gleich, und der Streit um die (Wieder-)Errichtung eines Ram-Tempels, der angeblich schon früher an der Stelle gestanden haben soll, zieht sich bis heute hin. Advani und einige andere BJP-Größen mußten sich wegen der Aufstachelung vor Gericht unangenehme Fragen gefallen lassen. Für eine Verurteilung reichte es aber nicht, da ihnen eine direkte Beteiligung an den gewaltsamen Übergriffen der Extremisten nicht bewiesen werden konnte.

Der gleiche Advani, der vor zwei Jahrzehnten zumindest eine Mitschuld an der bis dato schlimmsten Eskalation zwischen Hindu-Mehrheitsbevölkerung und muslimischer Minderheit seit den wechselseitigen Pogromen rund um die Teilung des Subkontinents 1947 hatte, gab sich später in Regierungsfunktionen einen eher liberalen Anstrich. Er löste parteiintern sogar eine Revolte aus, als er anerkennende Worte für den pakistanischen Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah fand. So groß war die Entrüstung seinerzeit über die scheinbare »verbale Entgleisung«, daß mancher ihn gar als Verräter nur zu gern aus der BJP geworfen hätten.

Doch zu den hervorstechendsten Eigenschaften Advanis gehört seine Hartnäckigkeit: Nach der Abgabe des Fraktionsvorsitzes endgültig als Politrentner abgeschrieben, ist er längst wieder zurück auf der Bühne, von der er auch zwischenzeitlich nie ganz verschwunden war. Für Advani sprächen seine Mobilisierungskraft, Erfahrung und Wendigkeit, also das Vermögen, sehr wohl die Wähler der sogenannten »Mitte« ansprechen zu können, ohne dabei das Kernklientel der konservativ-hinduistischen Stammwählerschaft aus den Augen zu verlieren. Sein größtes Manko ist das Alter: Zwar haben auch andere Politiker wie der Marxist Jyoti Basu (langjähriger Chefminister von Westbengalen) und der frühere Regierungschef im südlichen Tamil Nadu, N. Karunanidhi, hochbetagt Spitzenämter ausgefüllt. Allerdings ist dies auf regionaler Ebene noch immer etwas anderes, als strammen Schrittes auf die 90 zu eine asiatische Großmacht auf globaler Ebene zu repräsentieren und mit der notwendigen Energie international Einfluß zu nehmen.

»Entwicklungsmodell Gujarat«

Derjenige, der am ehesten als Alternative in Betracht kommt, hat zuletzt schon keinen Hehl daraus gemacht, daß er auf der politischen Karriereleiter nur zu gern die nächsthöhere Stufe erklimmen würde. An Ehrgeiz und Selbstvertrauen fehlt es Narendra Modi, seit nunmehr 13 Jahren Chefminister im westindischen Gujarat, keinesfalls. Modi wird nicht müde zu betonen, daß der Unionsstaat unter seiner Führung zur dynamischsten Wachstumsregion im nationalen Maßstab bei den meisten Wirtschaftsdaten geworden ist, und tatsächlich hat es beachtliche Fortschritte gegeben.

Das »Entwicklungsmodell Gujarat« wird nicht nur von BJP-Führern gern als Erfolg eigenen Regierungshandelns ins Feld geführt. Sogar bis hinein ins gegnerische politische Lager gilt Modi als »Macher«, der Probleme anpackt, Bewegung erzeugt. Gäbe es nur diese Seite des Mannes, hätte der Aspirant wohl keine Schwierigkeiten, erst zum BJP-Spitzenkandidaten gekürt zu werden und dann wahrscheinlich auch noch die Wahl zu gewinnen. Doch Narendra Modi polarisiert daneben wie kein zweiter Spitzenpolitiker. Unvergessen sind die Greuel der religiösen Konflikte in Gujarat 2002, die seinerzeit schätzungsweise 2000 Menschen das Leben kosteten – zum größten Teil Muslime. Angehörige der Minderheit wurden oft auf grausamste Weise ermordet, es handelte sich um die schlimmsten Ausschreitungen dieser Art, die Indien in einem halben Jahrhundert gesehen hatte. Der von ihm geführten Regierung wird vorgeworfen, dem Treiben mindestens tatenlos zugesehen zu haben. Ob Modi und andere womöglich sogar die Sicherheitskräfte angewiesen haben, dem Hindu-Mob freie Hand zu lassen, wird derzeit juristisch untersucht. Vom Ausgang der erneuten Recherchen dürfte maßgeblich abhängen, ob sich Narendra Modi überhaupt noch Chancen für eine Nominierung ausrechnen kann. BJP-Größen versichern wie er selbst, unschuldig zu sein, doch ein ehemals hochrangiger Polizist belastet den Chefminister schwer. Er will damals bei einer geschlossenen Runde, bei der Modi die Anweisungen an die Polizei gegeben haben soll, dabei gewesen sein.

Modi würde in jedem Fall die radikalsten Elemente der »Safranbrigade« hinter sich vereinen, hätte aber Probleme, die Stimmen liberaler Wähler zu bekommen. Selbst in der eigenen Allianz könnte es zu Abspaltungen kommen – die sozial­demokratische Janata Dal (United) als wichtigster Bündnispartner hat bereits klipp und klar verkündet, daß sie ihn als Spitzenkandidaten nicht mittragen würde. Im nordindischen Bihar, wo die JD (U) in Koalition mit der BJP federführend die Regionalregierung stellt, ist Modi sogar persona non grata. Chefminister Nitish Kumar gilt dafür aber selbst als möglicher Anwärter, die derzeitige Opposition in Neu-Delhi zurück an die Macht führen zu können. Kumar, ein im Auftreten für einen Politiker sehr bescheidener und bodenständiger Mann, hat bislang jeglichen eigenen Anspruch in dieser Hinsicht dementiert. Diese Schuhe seien für ihn eine Nummer zu groß, er wolle weiter Bihar voranbringen, heißt es. Allerdings verkennen selbst seine Gegner nicht, daß es ihm gelungen ist, das frühere Armenhaus der Nation – nicht nur im Wortsinn durch Elektrifizierung – ein gutes Stück dem Dunkel zu entreißen. Hatte sein einstiger Weggefährte und später erbitterter Rivale Laloo Prasad Yadav den benachteiligten Kasten im Unionsstaat neues Selbstbewußtsein, aber auch nicht mehr gegeben, setzte unter Kumar nach dem Machtwechsel 2005 tatsächlich ein Entwicklungsschub ein. Das Macher-Image teilt der Chefminister mit seinem Amtskollegen aus Gujarat, so wenig ihn auch sonst mit Modi verbinden mag, und es wäre ein gutes Argument, beim Ansprechen von Wählerschichten tief in die INC-Klientel vorzudringen. Gegen ihn spricht jedoch die Tatsache, daß seine Partei im Bündnis bestenfalls die zweite Geige spielt, Nitish Kumar strikt für säkulare Werte steht und damit für BJP-Hardliner samt Umfeld nur schwer akzeptabel wäre. Zudem dürfte sich die dominierende Oppositionskraft kaum das eigene Vorschlagsrecht zur Nominierung eines Spitzenkandidaten aus der Hand nehmen lassen.

Bleibt schließlich noch der Mann, der seit Juni 2009 Oppositionsführer der BJP im Oberhaus des indischen Parlaments, der Rajya Sabha, ist. Arun Jaitley ist wie Modi einer der Politiker der »nächsten Generation«, denen zukam, das sich abzeichnende Vakuum nach dem Abtritt von ­Vajpayee und Advani aus der ersten Reihe zu füllen. Keiner konnte dies damals allein, als Dritte im Bunde eines kollektiven Neuanfangs in der Führungsetage gehört noch Sushma Swaraj dazu, die wiederum Fraktionsvorsitzende im Unterhaus, der Lok Sabha, ist. Während Modi polarisiert und sich zugleich als Volkstribun mit dem Ohr an der Masse gibt, kann Jaitley nur schwer verhehlen, daß er ein Intellektueller und Feingeist ist. Der 59jährige, der schon 1974 Präsident der Studentenvereinigung der Delhi University war, hat sich auch in höchsten BJP-Parteiämtern nie als Haßprediger, Aufwiegler oder Einpeitscher hervorgetan. Wohl schenkt er seinen politischen Gegnern in der Auseinandersetzung nichts – aber ein wenig fehlt ihm das Charisma – der Zugang zu den Massen, wie viele in der Partei meinen.

Eine Chance für die Kleinen

Nicht nur durch diverse Korruptionsskandale ist das Ansehen der nationalen Regierung unter Führung des INC eingebrochen. Viele Menschen nehmen die BJP derzeit aber nicht als Alternative wahr. Das ist die Chance für die vielen kleineren Gruppierungen, die vor allem auf regionaler Ebene verankert sind. Für sie wie auch die beiden Großen mit ihrem jeweiligen Anhang sind die Wahlen in fünf Unionsstaaten während der nächsten Wochen ein wichtiger Testlauf. 1,7 Millionen Wahlberechtigte in Manipur, einem der kleinen Gebilde im indischen Nordostzipfel, machen am Sonnabend den Anfang, 5,7 Millionen in Uttarakhand an der Grenze zu Nepal und immerhin 17,4 Millionen in Punjab, wo die Volksgruppe der Sikhs besonders stark ist, folgen am Montag. Im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh wird ab 4. Februar in mehreren Phasen abgestimmt, insgesamt sind knapp 112 Millionen Menschen an die Urnen gerufen – lediglich eine gute Million dann noch Anfang März in Goa, der einstigen portugiesischen Exklave.

Die BJP und ihre Bündnispartner wollen in Uttarakhand, Punjab und Goa ihre Macht verteidigen, für den INC und gerade Rahul Gandhi persönlich kommt es darauf an, in Uttar Pradesh ein ordentliches Ergebnis einzufahren, wo die traditionelle Basis der Partei seit etlichen Jahren erodiert ist. Die dort regierende Bahujan Samaj Party (BSP) der »Dalit-Queen« Mayawati dürfte kaum noch einmal eine eigene Mehrheit erringen, sich vielmehr einen harten Zweikampf mit der sich sozialdemokratisch gebenden Samajwadi Party (SP) liefern. Seitens der Linksfront, die bei den nationalen Wahlen gerupft wurde und zuletzt nach fast dreieinhalb Jahrzehnten ununterbrochener Regierung ihre »rote Bastion« Westbengalen an die mit dem INC verbündete Regionalpartei Trinamool Congress (TMC) verloren hatte, ist keiner der jetzt zur Wahl anstahenden Unionsstaaten eine besondere Hochburg. Dennoch könnten einige lokale Erfolge den beiden kommunistischen Parteien CPI-M und CPI nebst ihren kleineren Partnern wieder wichtigen Auftrieb geben.

* Aus: junge Welt, 2. Februar 2012


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