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Blockade der Naxaliten

Maoistische Guerilla legte im Osten Indiens zwei Tage lang Verkehr lahm

Von Hilmar König, Neu Delhi *

In den östlichen Bundesstaaten Indiens Jharkhand, Chattisgarh, Bihar, Orissa und Westbengalen begann sich am Donnerstag nach einer zweitägigen »Verkehrsblockade« militanter Maoisten (Naxaliten) das Leben zu normalisieren. Sie war ausgerufen worden aus Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung, von der vor allem die ohnehin Reichen profitieren. Die Bevölkerung in den rückständigen Gebieten spürt von den »Segnungen« der neoliberalen Politik nur die negativen Auswirkungen, wie steigende Preise für Grundnahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs. Mit ihren Aktionen wollten die Naxaliten besonders auf die Bildung sogenannter Wirtschaftssonderzonen (SEZ) hinweisen, in denen die Unternehmer freie Hand haben, Steuervergünstigungen genießen und sich schwer damit tun, die versprochenen Arbeitsplätze zu schaffen. Gegen diese Zonen opponiert auch die Bauernschaft, weil sie dafür einen Teil wertvollen Agrarlandes zu opfern hat.

Die Blockade in den Bundesstaaten, in denen die Naxaliten über einen beträchtlichen Anhang unter der ländlichen und der Stammesbevölkerung verfügen, legte weite Teile des Verkehrsnetzes in Mittel- und Ostindien lahm. Die Militanten sprengten an mehreren Abschnitten Eisenbahnstrecken und Stromleitungen, setzen den Bahnhof von Birandhi in Westbengalen in Brand, zerstörten einen Telekommunikationsturm in Orissa sowie acht Kipperfahrzeuge eines Kohlenbergwerkes in Jharkhand und brachten Güterzüge zum Entgleisen. Der Rohstofftransport aus den Kohle- und Erzgebieten Ostindiens wurde schwer beeinträchtigt. Die Bahnverwaltung mußte über 20 Güter- und Personenzüge ausfallen lassen oder umleiten. Der LKW-Transport war stark eingeschränkt, weil die Firmen einer Konfrontation mit den Militanten aus dem Weg gehen wollten. Insgesamt entstand dem indischen Staat schwerer ökonomischer Schaden.

Die Naxaliten sind vom südöstlichen Bundesstaat Andhra Pradesh in einem flächenmäßig ausgedehnten Raum bis in den Norden Bihars aktiv. Experten sprechen von einem »roten Korridor«, der bis an die Grenze Nepals reicht. Regierungschef Manmohan Singh bezeichnete in einem anderen Zusammenhang die Naxaliten-Bewegung als die »ernsteste Bedrohung der inneren Sicherheit«. Zeitweilig versuchten die Regierungen der betroffenen Bundesstaaten, mit den Naxaliten zu einem Kompromiß zu kommen. Am weitesten gediehen war das Bemühen um Kooperation in An­dhra Pradesh, wo der illegale Status der Rebellen vorübergehend annulliert worden war. Doch die Erkenntnis, daß bei dem gewaltsamen Widerstand gegen die Behörden echte sozialpolitische Gründe – verbreitete Armut, Diskriminierung, soziale Ungerechtigkeit, Korruption, Polizeiwillkür – eine wesentliche Rolle spielen, wich nach wenigen Monaten dem alten Irrglauben, es handele sich beim Naxalismus um ein rein »terroristisches Problem«. Das, so die vorherrschende politische Meinung, könne nur mit staatlicher Gegengewalt bekämpft werden. In Chattisgarh ging die von der rechten Indischen Volkspartei (BJP) gebildete Regierung sogar so weit, Stammesmilizen als »Gegengewicht« zur maoistischen Guerilla zu bilden. Das Ergebnis war noch mehr Gewalt und die Entvölkerung zahlreicher Siedlungen.

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2007


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