Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rettung gescheitert

Indiens Behörden peitschten Staudammprojekt am Narmada gegen alle Proteste durch. Auch nach offizieller Einweihung wollen Gegner Widerstand fortsetzen

Von Thomas Berger *

Was für die einen ein Feier-, war für die anderen ein Trauertag: Am Freitag ist Indiens größtes und umkämpftes Staudammprojekt offiziell eingeweiht worden. Die Fertigstellung des Sardar-Sarovar-Damms am Narmada, einem der größten Ströme des Subkontinents, beendet allerdings nicht die Proteste gegen dieses Megaprojekt. Im Gegenteil. Die Narmada Bachao Andolan (NBA – »Bewegung Rettet den Narmada«) will den März zu einem Aktionsmonat machen. Zwar konnte der Narmada nicht vor seinem Zwangskorsett gerettet werden, aber der Widerstand, den die NBA maßgeblich initiiert hatte, soll fortgesetzt werden. Es sei an der Zeit, daß die Politiker sich an die Gesetze und einschlägigen Gerichtsurteile hielten und die Rehabilitation der Betroffenen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rückten, fordern die Staudammgegner.

Auflagen ignoriert

Daß das mehr als zwei Milliarden US-Dollar teure Megaprojekt sich nicht mehr stoppen lassen würde, stand schon seit geraumer Zeit fest. Immer wieder hatten allerdings die Aktivisten der NBA mit Demonstrationen, Hungerstreiks, Petitionen und Gerichtsverfahren versucht, wenigstens die schlimmsten Auswirkungen abzufedern und die entstehenden Schäden für Menschen und Umwelt zu minimieren. Einmal mehr rügte im vergangenen Jahr das Oberste Gericht die zuständigen Stellen in Politik und Verwaltung. Bis zum Jahresende, so das Urteil der Richter, sollten alle ausstehenden Fälle hinsichtlich Umsiedlung und Kompensation betroffener Fami­lien geregelt sein. Erst danach dürfe mit der Aufstockung des Dammes fortgefahren werden.

Daß es nun in wenigen Wochen zu einer neuen heißen Phase bei den Protestaktionen kommen wird, liegt vor allem an der Tatsache, daß die Politik den gerichtlichen Auflagen wieder einmal nicht nachgekommen ist. Noch immer warten rund 40000 Familien aus dem Überflutungsgebiet, also insgesamt 200000 Menschen, auf die Zuweisung von Ersatzflächen. Die Entschädigungsmaßnahmen kämen einfach nicht in Gang, machte eine NBA-Abordnung kürzlich während einer Anhörung bei der zuständigen Wasserbehörde in Delhi deutlich. Auch eine von Indiens Premier Manmohan Singh im vergangenen Jahr berufene dreiköpfige Untersuchungskommis­sion war bei den Erkundigungen vor Ort sehr schnell zu dem Schluß gekommen, daß Akten geschönt seien und die Rehabilitation weit hinter dem Plan liege. Ungeachtet des Disputs um die konkreten Zahlen gaben die Ministeriumsvertreter der Zentralregierung damit den Dammgegnern im Grundsatz recht.

Gigantomanie Vier Unionsstaaten sind an dem indischen Megastaudammprojekt beteiligt, dessen erste Planungen bereits zur Regierungszeit von von Jawaharlal Nehru 1981 erfolgt waren. Ab den siebziger und achtziger Jahren intensivierten sich dann die Vorbereitungen, und es erwuchs eine gesellschaftliche Gegenbewegung. 30 Großdämme und etwa 100 mittlere Stauwerke bilden den Gesamtkomplex des Narmada-Projektes. Daß mit dem aufgestauten Wasser neben der Energieerzeugung rund zwei Millionen Hektar Land im westindischen Gujarat bewässert werden können, ist durch alternative Gutachten inzwischen stark in Zweifel gezogen worden. Nicht nur bei der NBA hält sich die Befürchtung, daß das Wasser vor allem industriellen Interessen in den angrenzenden Sonderwirtschaftszonen zugute kommt.

Von Anbeginn sind von den Betreibern des Projekts unterschiedliche Interessen gegeneinander ausgespielt worden. Während Kommentatoren in wirtschaftsnahen indischen Zeitungen beim Jubel über die Dammeinweihung einmal mehr die 1450 Megawatt Energieleistung und die Impulse für Ernährungssicherheit im Westen des Landes rühmen, kommen die Umweltschäden höchsten in Nebensätzen vor. Unzählige Hektar Wald- und fruchtbare Agrarflächen sind durch die Anstauung des zweitmächtigsten Stromes Nordin­diens schon verschwunden. Mindestens ebenso schwer wiegt die Entwurzelung Hunderttausender Menschen, zum großen Teil Adivasis (Ureinwohner verschiedener Stämme).

Mehrfach haben Gerichte und nationale Politik angemahnt, die Betroffenen zumindest materiell angemessen für den Verlust zu entschädigen. Doch in den Unionsstaaten, allen voran Madhya Pradesh, halten sich die lokalen Behörden selten an diese Auflagen. So wird der Wert von Überschwemmungsland in den Akten stark nach unten korrigiert. Oder es kommt vor, daß die landlos gewordenen Bauern nur eine Abstandssumme statt eines gleich großen Ersatzfeldes erhalten. Dabei haben Richter gerade die Land-für-Land-Richtlinie in mehreren Urteilen untermauert. Die Art, wie indische Behörden das Projekt durchzogen, hatte selbst das internationale Kapital abgeschreckt: Wegen der massiven internationalen Proteste hatten sich in den zurückliegenden Jahren nach und nach alle großen ausländischen Geldgeber, einschließlich der Weltbank, zurückzogen.

* Aus: junge Welt, 23. Januar 2007


Zurück zur Indien-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zurück zur Homepage