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Warnzeichen für Indiens Linke

In der Presse erschienen bereits Todesanzeigen

Von Hilmar König, Delhi *

Noch haben Indiens Linksparteien den Absturz bei den Parlamentswahlen im April und Mai nicht verdaut. Werden die eklatanten Stimmenverluste längerfristige Folgen haben?

»Wir respektieren die Entscheidung der Wähler, haben aber eine solche Niederlage nicht erwartet.« So äußerten sich - auf einen Nenner gebracht - die Führungen der KP Indiens und der KPI (Marxistisch) am 17. Mai, als das Wahlergebnis feststand. Von 61 auf 24 Abgeordnete schrumpfte die linke Vertretung im Unterhaus, der Lok Sabha. In den »roten Hochburgen« Westbengalen und Kerala gab es schmerzliche Einbußen: Die westbengalische Linksfront - KPI(M), KPI, Vorwärtsblock und Revolutionäre Sozialistische Partei - rutschte von 42 Mandaten auf 15. In Kerala schicken die KPI(M) und ihre Partner statt 18 nur noch vier Parlamentarier nach Delhi. Nur im nordwestlichen Tripura sicherte die KPI(M) mit zwei Abgeordneten ihren Besitzstand. In Tamil Nadu gewannen die Linken zwei Sitze, in Orissa einen.

Indiens Presse veröffentlicht bereits »Nachrufe zum Dahinscheiden« der Linken. Die forschen derweil nach Ursachen ihrer Niederlage. Offenbar haben die Bürger die erst kurz vor den Wahlen gebildete, ideologisch uneinheitliche »Dritte Front« nicht als glaubwürdig akzeptiert. Deren Partnern fehlte nicht nur ein gemeinsames Manifest, die meisten waren früher schon einmal mit den großen Rivalen - der Kongresspartei oder der hindu-nationalistischen BJP - verbandelt gewesen. Gleich nach dem Debakel wechselten drei Parteien der »Dritten Front« denn auch in die »erste« oder die »zweite«. Ein drittes Lager aufzubauen, erkannten die Kommunisten inzwischen, kann keine Hauruck-Aktion sein. KPI(M)-Generalsekretär Prakash Karat sagte, eine solche Front müsse eine überzeugende gemeinsame Plattform haben und darauf wachsen.

Zudem hatten regionale Faktoren für die Wähler viel größeres Gewicht als angenommen. In Westbengalen etwa schmiedeten die Regionalpartei Trinamool Congress (TC) und die Kongresspartei erstmals eine Allianz gegen die dort seit 1977 regierende Linksfront. Dem TC war es 2007 gelungen, Teile der Landbevölkerung, früher Wähler der Linksfront, gegen die Industrialisierungspolitik des kommunistischen Chefministers Buddhadeb Bhattacharjee zu mobilisieren. Die Regierung in Kolkata hatte die Kleinstbauern offenbar benachteiligt, als sie Investoren Land für einen Chemiekomplex und ein Autowerk zusagte. Wegen des Widerstands aus der Bevölkerung, der durch die Opposition angeheizt wurde, konnten die Projekte, die Arbeitsplätze schaffen sollten, nicht verwirklicht werden. Bei den Parlamentswahlen landete die Allianz aus TC und Kongresspartei einen Kantersieg. TC-Chefin Mamata Banerjee sah einen »Sturm des Wandels«. Ihre Partei zog mit 19 Abgeordneten nach Delhi und wurde von der Kongresspartei mit dem Eisenbahnministerium bedacht.

Unermüdlich betreibt Frau Banerjee seitdem den Sturz der Linksfront in Kolkata: Die habe kein »moralisches Recht«, weiter zu regieren, die Bürger hätten ihr das Misstrauen ausgesprochen. Die 2011 anstehenden nächsten Wahlen zur westbengalischen Volksvertretung müssten vorgezogen werden. Für die Linke steht viel auf dem Spiel. In Westbengalen will sie »verlorene Freunde zurückgewinnen und neue finden«. Dem sollen bürgernahe Programme, vor allem für Arme und Benachteiligte, dienen.

Noch sind die langfristigen Folgen der Wahlniederlage nicht abzusehen. Prakash Karat verbreitete im Parteiorgan »People's Democracy« Optimismus: Die KPI(M) habe schon viel schwierigere Situationen gemeistert. Die Antikommunisten, die Todesanzeigen für die Linke veröffentlichen lassen, befänden sich auf dem Holzweg.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2009


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