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Marsch der Habenichtse abgebrochen

Indiens Regierung beendet Landlosenprotest mit Versprechungen

Von Hilmar König *

Der Protestmarsch von 50000 landlosen armen Indern, der am 3. Oktober begann und nach 350 Kilometern am 27. Oktober in Neu-Delhi enden sollte, wurde am Donnerstag in Agra im Bundesstaat Uttar Pradesh abgebrochen. Jairam Ramesh, der Minister für ländliche Entwicklung, war mit einem Sack voller Versprechungen nach Agra geeilt und hatte die Führung der Nichtregierungsorganisation Ekta Parishad davon überzeugt, ihre Protestaktion aufzugeben. Vor 20000 Teilnehmern einer Kundgebung unterzeichneten der Minister und P.V. Rajagopal, der Chef von Ekta, ein aus zehn Punkten bestehendes Absichtsprogramm, das ausdrücklich von Premier Manmohan Singh abgesegnet worden war.

In dem Papier wird den Armen in den ländlichen Gebieten das Recht auf Obdach und der Besitz eines Stückchen Bodens von 0,04 Hektar Größe in Aussicht gestellt. In sechs Monaten will eine Arbeitsgruppe, die am 17. Oktober erstmals zusammentritt, den Entwurf einer »nationalen Landreformpolitik« vorlegen. Zudem werden Schnellverfahren für Landdispute sowie Rechtshilfe bezüglich »Zugang zu Boden« für kastenlose Dalits, indigene Adivasi und andere Bedürftige avisiert.

Minister Ramesh verwies nachdrücklich darauf, daß Landbesitz in der Regie der Bundesstaaten liegt. Deshalb werde sein Ministerium nur in einem »Dialogprozeß mit Vorschlägen und detaillierten Hinweisen« an die jeweiligen Regierungen agieren können. Ekta solle deshalb auch Druck in diese Richtung und nicht nur auf Neu-Delhi machen. Halte sein Ministerium die gesetzte Frist nicht ein, dann würden die Protestierenden jedes Recht haben, ihren Marsch erneut zu beginnen. Die Landlosen brauchen etwas Boden zur Sicherung ihrer Existenz. Wie nötig das ist, belegt auch der gerade veröffentlichte Globale Hungerindex, in dem Indien auf Position 65 von insgesamt 79 Ländern liegt. Das ist derselbe Stand wie im Jahre 1996.

P.V. Rajagopal erklärte, eine Landreform sei ein langer und schrittweiser Prozeß. Jeder noch so kleine Sieg sollte gefeiert werden. Das Fleckchen Boden reiche immerhin erst einmal, eine Hütte auf eigenem Grund zu errichten, von dem man nicht vertrieben werden könne. Im nächsten Schritt gehe es um Agrarland. »Wir wollen die Garantie für einen Hektar Ackerland für jeden ländlichen Haushalt«, betonte er. Vor Journalisten erläuterte er: »In einer immer mehr globalisierten Welt, in der große Firmen nach Indien kommen und Land erwerben, zwingen die Regierungen die Menschen dazu, ihren Landbesitz für Bergwerke, Infrastrukturprojekte und verschiedene andere Vorhaben zu verkaufen. Das ist inzwischen üblich. Wenn wir nicht jetzt handeln, bleibt für die Armen gar nichts mehr.«

Die Meinungen über die Übereinkunft mit der Regierung in Neu-Delhi waren geteilt. Es gab Beifall für den »Sieg«, aber auch skeptische Stimmen. »Sind wir die ganze Strecke lediglich für die Unterschrift auf einem Stück Papier gelaufen? Die Regierung hat immer wieder falsche Versprechungen gemacht. Wenn wir nicht sehen, daß wirklich bei uns unten etwas ankommt, glauben wir an keine Versprechungen mehr«, sagte ein Marschteilnehmer aus dem Bundesstaat Madhya Pradesh.

* Aus: junge Welt, Samstag, 13. Oktober 2012


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