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Gleicher Sinn, gleicher Mut

Zehntausende landlose arme Inder vereint auf dem Marsch zur Zentralregierung in Delhi

Von Hilmar König *

50 000 landlose Arme aus allen Teilen Indiens sind unterwegs nach Delhi. Mitte der Woche starteten sie ihren etwa 350 Kilometer langen Protestmarsch von Gwalior im Unionsstaat Madhya Pradesh. Sie fordern eine konsequente Bodenreform.

»Geht nach Hause …Wir werden einen Mittelweg finden.« So wollte noch am Mittwoch Jairam Ramesh, der Minister für ländliche Entwicklung, die in Gwalior versammelten Habenichtse abspeisen. Er war von Premier Manmohan Singh abkommandiert worden, um im letzten Moment vielleicht doch noch zu verhindern, dass sich der Marsch mit Teilnehmern aus 26 Unionsstaaten in Bewegung setzt.

Die Nichtregierungsorganisation »Ekta Parishad«, die sich den Gandhischen Ideen gewaltfreien zivilen Widerstands verpflichtet fühlt, organisierte die Manifestation. Ihren Chef PV Rajagopal hatte am Dienstag Premier Singh in Delhi empfangen. Es ging um »Zugang« der Armen zu einem Stückchen Land und um das Grundrecht auf Obdach. Der Regierungschef äußerte, es würde mindestens sechs Monate dauern, bis man ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet habe.

Das kam Rajagopal wohl wie ein Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vor. Bereits im Jahre 2007 waren 25 000 verschuldete Kleinbauern in die Hauptstadt gezogen und hatten eine grundlegende Änderung der Agrarpolitik verlangt hatten. Im Ergebnis dieses beeindruckenden Protests hatte der Premier einen nationalen Rat für Landreformen gründen lassen, dem er vorsteht und dem auch Rajagopal angehört. Doch dieser Rat trat laut Ekta-Angaben bisher nicht zusammen. So konstatierte Rajagopal nun: »Die Regierung hat einen schockierenden Mangel an Besorgnis offenbart.« Mit kleinen Zugeständnissen wolle sie die Protestbewegung jetzt schwächen. Deshalb bleibe es bei dem Marsch.

Minister Ramesh zog vor den Marschteilnehmern sämtliche Register: »Wir werden alles tun, um Würde, Identität und Sicherheit der Stammesangehörigen und der Armen zu schützen.« Am 11. Oktober werde es in Delhi ein Treffen zu Landreformen mit allen interessierten Seiten geben. Man hoffe dabei auf Fortschritte. Das war den Versammelten jedoch nicht genug.

Ekta Parishad wird zwar Vertreter zu diesem Meeting schicken, sagte den Marsch aber nicht ab. Sie rechnet damit, dass er bis auf 100 000 Teilnehmer angeschwollen sein wird, wenn er die Hauptstadt um den 28. Oktober herum erreicht.

Rajagopal fordert seit 2007 eine nationale Bodenreform. Eine solche hat es bislang nur regional unter linken Regierungen in Kerala und Westbengalen gegeben. Delhi argumentiert, Bodenbesitz falle in die Kompetenz der Unionsstaaten. Deshalb könne man wenig machen. Ekta hält dagegen, wenn es um Land für die Wirtschaftssonderzonen, in denen sich das Auslandskapital tummeln darf, und für Bergbau- und große Industrieunternehmen geht, agiere die Zentralregierung durchaus entschlossen. Die Organisation tritt dafür ein, dass Agrarland exklusiv für die Landwirtschaft genutzt wird und nicht in die Hände von Großindustriellen und Grundstückshaien fällt.

Die Ekta-Manifestation ist Teil der landesweiten Protestfront gegen die Politik der regierenden Vereinten Progressiven Front, gegen drastische Preissteigerungen, gegen weitere marktliberale Reformschritte sowie gegen grassierende Korruptionspraktiken.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 05. Oktober 2012


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