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Die T20-Revolution

Parlamentswahlen? Ganz Indien schaut Kricket

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Eigentlich sollte ­Indien in diesen Wochen vom Fieber seiner Marathonwahl gepackt sein. Doch Millionen Menschen, junge wie alte, arme wie reiche, sitzen seit dem 19. April Tag für Tag gebannt, oft bis nach Mitternacht, vor den Fernsehern, um die Spiele der Profikricketliga (IPL) zu verfolgen.

Zwei Spiele der IPL werden täglich um 16 Uhr und um 20 Uhr live im Fernsehen übertragen. Dafür fallen ausnahmsweise sogar die Seifenopern aus. Vor den Elektronikgeschäften drängen sich die Menschen vor laufenden Fernsehgeräten. Jeder Schlag, jeder »abgeschossene« Spieler und jeder »Run« werden heiß debattiert. Der Rundfunk unterbricht seine Musiksendungen, um über den jüngsten Zwischenstand eines Matchs zu berichten. In Kolkata traten gar Hunderte Insassen eines Gefängnisses in den Hungerstreik, weil sie die IPL-Übertragungen nicht sehen durften.

Die IPL ist ein Milliarden-Dollar-Geschäft, eine Mischung aus Sport und Unterhaltungsindustrie mit einem kräftigen Schuß Bollywood-Filmwelt, mit Showbiz, Cheerleaders, VIPs. Eine Mischung aus Medien, Werbung, Wirtschaft und Politik. Die IPL wurde letztes Jahr gegründet. Auch wenn ihre Bosse den Reingewinn nicht nennen, läßt sich aus den gezahlten Steuern, den Versicherungssummen und den Einnahmen aus den Fernsehrechten und der Werbung ableiten, daß er mehrere Milliarden Dollar betragen haben muß. Allein ein in diesem Frühjahr geschlossener Neun-Jahresvertrag über Fernsehübertragungsrechte sichert der Profiliga zwei Milliarden Dollar. In der bis Ende Mai laufenden Saison bedeutet das immerhin, daß innerhalb von 45 Tagen 59 Spiele live über die Bildschirme flimmern.

Finanzkräftige Sponsoren wie Sony, Citibank, Pepsico, der indische Baulöwe DLF, Hero Honda oder Vodafone Essar stehen hinter dem Unternehmen IPL, das sein Gründer Lalit Modi »zu Indiens Sportmarke Nr. 1« machen will. Hierzu wird Kricket im »Twenty20« gespielt -- die jüngste und kürzeste Version des Schlagballspiels. Während die traditionellen Testmatches sich über mehrere Tage hinziehen und die Geduld der Zuschauer auf die Probe stellen, ist ein »T20« in knapp drei Stunden vorbei. Das garantiert Aktion, Dynamik und Spannung mit einer Fülle von spektakulären Schlägen, die die höchste Punktzahl bringen und vom Publikum besonders geliebt werden. Deshalb sprechen einige enthusiastisch sogar von einer »T20-Revolution«.

Lalit Modi kreierte die IPL und schnappte den Briten, die Kricket angeblich bereits im 16. Jahrhundert erfanden und auch ins »T20«-Geschäft einzusteigen beabsichtigten, den Braten vor der Nase weg. Bei den ersten »T20«-Weltmeisterschaften in Südafrika gewann ­Indien im Jahre 2007 den Titel, einer der Gründe für die überschäumende Begeisterung auf dem Subkontinent für das Miniformat dieser Sportart. Ricky Ponting, der Kapitän der australischen Nationalmannschaft, glaubt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis »Twenty20« olympisch wird. Die nächsten Weltmeisterschaften veranstaltet im Juni England.

Die acht IPL-Teams aus Chandigarh, Chennai, Bangaluru, Delhi, Hyderabad, Jaipur, Kolkata und Mumbai kaufen ihre Spieler aus allen Ländern der Welt, in denen Kricket gespielt wird. Die Mannschaften haben alle einen oder mehrere private Besitzer. Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan kaufte beispielsweise die »Kolkata Knight Riders« für über 50 Millionen Dollar. Einer der reichsten Männer der Welt, der Milliardär Vijay Mallya, kaufte in dieser Saison für sein Team »Royal Challengers Bangalore« den englischen Spitzenspieler Kevin Pietersen für 1,55 Millionen Dollar. Der Industrielle Mallya gilt als Indiens »Schnapsbaron« und läßt seine Mannschaft mit dem Logo und dem Namen seiner Whisky-Marke »Royal Challenger« für sich werben. Er braut auch das im ganzen Land begehrte »Kingfisher«-Bier, besitzt die gleichnamige Fluggesellschaft sowie den Formel-1-Rennstall »Force India«, in dem der deutsche Adrian Sutil und der Italiener Giancarlo Fisichella unter Vertrag sind. Vijay Mallya war es auch der, kürzlich bei einer Versteigerung in New York 1,8 Millionen Dollar für Mahatma-Gandhi-Memorabilien springen ließ.

Die IPL-Auktion, so schrieb der britische Guardian sarkastisch, »ist ein glorifizierter Viehmarkt. Die Spieler gehen dorthin, wo man sie hinbeordert. Sie alle sollten gezwungen werden, sich in einer Reihe hinter ihren Besitzern aufzustellen und sanft zu muhen.«

Dabei wäre die aktuelle IPL-Saison beinahe ins Wasser gefallen. Denn sie war zeitgleich mit den indischen Parlamentswahlen (16. April bis 13. Mai) angesetzt. Lalit Modi und Kompagnons glaubten, die Geschäftsinteressen des indischen Kricketverbandes gegen die Politik durchsetzen zu können. Doch hier verrechneten sie sich. Die Regierung in Delhi blieb unnachgiebig: Aus Sicherheitsgründen können zwei Großveranstaltungen wie Parlamentswahlen und ein mit ausländischen Stars gespicktes Kricketturnier nicht parallel ablaufen. In noch zu frischer Erinnerung waren der Überfall auf Sri Lankas Kricketteam am 3. März im pakistanischen Lahore, als acht Polizisten getötet und sieben Spieler verletzt wurden. Deshalb finden in dieser Saison alle Spiele zur Freude der dortigen Fangemeinde in Südafrika statt. Für Indiens politische Opposition war dieser »Zwangsexport« ein gefundenes Fressen, auf die Regierung einzuschlagen. Die Verlegung sei eine »nationale Schande,« geiferte die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP). Eine Schande, die Indiens Millionen-Publikum gar nicht merkt, weil es zu konzentriert Kricket schaut.

* Aus: junge Welt, 7. Mai 2009


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