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Im Glashaus der Korruption

Indien: Premier verändert Regierung auf 22 Positionen. Opposition will Vertrauensfrage stellen

Von Hilmar König *

Indiens Außenminister Somanahalli Mallaiah Krishna hat mit seinem Rücktritt am Freitag den Stein zur Regierungsumbildung scheinbar ins Rollen gebracht. Tatsächlich war das jedoch längst beschlossene Sache, denn Premier Manmohan Singh und die regierende Koalition der Vereinten Progressiven Allianz sahen sich seit Wochen unter wachsendem Druck. Die Gründe lagen auf der Hand: drastische Preissteigerungen, unpopuläre Entscheidungen für mehr marktwirtschaftliche Reformen und weitere Öffnung für das Auslandskapital sowie geharnischte Korruptionsvorwürfe, zuletzt sogar gegen den Schwiegersohn von Sonia Gandhi, der Vorsitzenden der tonangebenden Kongreßpartei.

Deshalb machte der Koalitionspartner Trinamool Congress mit seinem Austritt aus der Allianz im September das Faß voll. Alle sechs Minister und 19 Unterhausabgeordneten kehrten dieser den Rücken und bescherten Indien damit eine Minderheitsregierung. Die bleibt aber im Amt, weil andere politische Parteien in die Bresche sprangen und seitdem Unterstützung »von außen« gewähren. Doch die Regierungsumbildung war unumgänglich.

Am Sonntag präsentierte der Premier die neuen Gesichter seines Teams, insgesamt 22 Mitglieder, eine »Kombination aus Jugend und Erfahrung«, wie er es vor den Medien charakterisierte. Die brauche Indien, da noch viele Herausforderungen anstünden bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2014. Er gehe davon aus, daß dies die letzte Regierungsumbildung vor dem Wahlgang sei, meinte Manmohan Singh. Er äußerte sich auch kurz zur Haltung von Rahul Gandhi, dem Sohn von Sonia und Generalsekretär der Kongreßpartei. Dieser hat zum wiederholten Male abgelehnt, sich als Minister in die Regierungsverantwortung einbinden zu lassen, obwohl auf ihm die Hoffnungen der gesamten Partei ruhen, endlich das Erbe der Nehru-Gandhi-Dynastie zu übernehmen. Rahul wolle zunächst die Partei stärken (was seit Jahren seine Absicht ist), erklärte Singh lapidar.

Die Opposition bezweifelt, daß die Allianz mit dem frischen Blut aus der Klemme kommt und bis zur Parlamentswahl durchhält. Mamata Banerjee, die Chefin der Regionalpartei Trinamool Congress, seit September auf scharfem Oppositionskurs, kündigte an, noch in diesem Jahr die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen. Die Stimmen der rechten Indischen Volkspartei (BJP), der stärksten Oppositionskraft, sowie der linken Parteien dürften ihr gewiß sein. Die BJP bezeichnete die Regierungsumbildung als »vergebliches Manöver«. Singhs Truppe habe angesichts »monumentaler Korruption« ihre Glaubwürdigkeit verloren und hätte sich besser für vorgezogene Wahlen entscheiden sollen. Pikant in diesem Zusammenhang ist, daß die BJP im Glashaus sitzt. Ihr Generalsekretär Gadkari steht ebenfalls unter Korruptionsverdacht.

* Aus: junge Welt, Montag, 29. Oktober 2012


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