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Freude bei Walmart

Konsequent auf neoliberalem Kurs: Indisches Parlament gibt Weg für Expansion ausländischer Handelskonzerne frei

Von Thomas Berger *

Indiens Regierung setzt ihren neoliberalen Kurs fort. Für die großen international tätigen Einzelhandelskonzerne sind seit Anfang Dezember weitere Einschränkungen bei der Eroberung des riesigen Marktes beseitigt worden. Nach der Rajya Sabha, der zweiten Kammer des Parlaments, konnte sich die Regierung auch in der Lok Sabha, dem Unterhaus, mit ihren Vorstellungen zur Liberalisierung des Einzelhandels durchsetzen. Eine eigenständige Mehrheit brachte das von der Kongreßpartei (Indischer Nationalkongreß; INC) angeführte Bündnis zwar nicht zustande. Das Ergebnis fiel aus Sicht von Premier Manmohan Singh und seiner Getreuen nur deshalb positiv aus, weil die Abgeordneten zweier kleinerer Parteien vor der Entscheidung den Saal verlassen hatten. Bahujan Samaj Party (BSP) und Samajwadi Party (SP), zwei sozialdemokratisch orientierte Gruppierungen, die Angehörige niederer Kasten repräsentieren, verhalfen der Koalition mit ihrem Rückzug zum Sieg. Von insgesamt 543 gewählten Mitgliedern der Lok Sabha waren nur 471 zur Abstimmung anwesend. Das Ergebnis: 253 Parlamentarier votierten für den Regierungsentwurf, 218 stimmten dagegen.

Von der linken und der rechten Seite des politischen Spektrums kam und kommt der heftigste Widerstand gegen die Neuregelung. Sie gewährt ausländischen Konzernen den direkten Marktzutritt in Indien, ein Schritt, der bisher nicht möglich war. Die kommunistisch geführte Linksfront und die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) als größte Oppositionspartei ziehen in dieser Frage ausnahmsweise an einem Strang. Die ansonsten in erbitterter Gegnerschaft stehenden Blöcke hatten gemeinsam dazu aufgerufen, die Regierung bei ihrem Vorhaben zu stoppen. Zumindest die Kommunistische Partei Indiens–Marxistisch (¬CPI-M), sie ist die führende Kraft in der Linksfront, will sich auch nach der parlamentarischen Niederlage nicht kampflos mit der Situation abfinden, sondern die Auseinandersetzung zur Not auf der Straße fortführen.

Einziger Lichtblick für die Gegner des freien Marktzuganges von Multis ist momentan der Umstand, daß den einzelnen Unionsstaaten freigestellt ist, ob sie die Reform umsetzen. Vom INC geführte Regionalregierungen wie die in der Hauptstadt Neu-Delhi oder dem nahen Wüstenstaat Rajasthan sind dafür. Auch die verantwortlichen Politiker des im Westen des Subkontinents gelegene Maharashtra – der Bundesstaat mit der Wirtschaftsmetropole Mumbai (Bombay) erbringt 60 Prozent der indischen Wirtschaftsleistung und ist das ökonomische Herzstück des 1,2 Milliarden-Einwohner-Staates – sind auf neoliberalem Kurs.

Strikt gegen die Einführung sind Westbengalen, obwohl der Staat nicht mehr von der Linksfront, sondern einem früheren INC-Verbündeten regiert wird, und auch das südliche Kerala, wo die beiden dortigen Bündnisse, die sich um Kongreßpartei einerseits und CPI-M andererseits scharen, ausnahmsweise in ihrer Opposition zur Handelsliberalisierung weitgehend konform gehen. Etliche andere Unions¬staaten zeigen sich derzeit noch unentschieden.

Den Jubel bei den ausländischen Handelsunternehmen kann das kaum trüben. Allein der weltweit größte Einzelhändler Walmart hat einer dem US-Senat vorgelegte Liste zufolge seit 2008 insgesamt 25 Millionen Dollar für Lobbyarbeit in Indien ausgegeben. Dies berichtete die englischsprachige indische Tageszeitung The Hindu unter Berufung auf US-Quellen. Welcher Anteil genau auf den Fokus Hilfe für einen indischen Markteintritt entfällt, ist nicht bekannt. Kolportiert wird allerdings, der Handelsgigant unter Führung der Milliardärsfamilie Walton habe immer wieder bei US-amerikanischen Stellen dafür geworben, »sanften« Druck auf die Regierenden in Neu-Delhi auszuüben.

Supermärkte sind in dem südasiatischen Land nichts völlig Neues, stellen aber immer noch eine Ausnahme im Vergleich zu anderen Marktformen dar. Mit dem nun zu erwartenden deutlichen Anwachsen ihrer Zahl sind landesweit Millionen privater Klein- und Kleinsthändler – bisher das Rückgrat des indischen Handelssystems – in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Auch bei Produzenten/Lieferanten der Händler, gerade in der Landwirtschaft, dürften sich die Konkurrenzverhältnisse zuungunsten kleinerer Betriebe verschieben. Daß die Öffnung für ausländische Konzerne mehr Arbeitsplätzen entstehen lasse, sei eine Lüge, so die Kritiker. Als Beleg führen sie frühere Äußerungen des heutigen Premierministers aus dem Jahr 2002 ins Feld. Vor einem Jahrzehnt war die Führung des Indischen Nationalkongresses mehrheitlich noch gegen eine Öffnung der Märkte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. Dezember 2012


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