Friedensgebete in Assams Moscheen
Indiens Nordostler fürchten Rache der Muslime
Von Hilmar König *
Der nordöstliche indische Unionsstaat
Assam wird seit Juli von Unruhen
zwischen hinduistischen Bodo-Gemeinschaften
und Muslimen erschüttert.
Am Id-Fest zum Ende des Fastenmonats
Ramadan blieb es jedoch
ruhig.
»Wir haben in Andachten am
Montag für dauerhaften Frieden in
Assam gebetet. Die wahre Bedeutung
des Islam ist Frieden«, erklärte
Anowar Hussain, der Imam
der Burha-Jame-Moschee in Guwahati,
der größten Stadt Assams,
vor Journalisten. Auch Chefminister
Tarun Gogoi hatte die Hoffnung
geäußert, dass das Opferfest
Id dem Unionsstaat im nordöstlichen
Indien Frieden und Eintracht
bringen möge. Dafür hätten sich
alle Bürger gemeinsam einzusetzen.
Die Appelle wurden offenbar
befolgt. Zumindest am Montag
kam es laut Polizeiangaben nicht
zu gewaltsamen Zwischenfällen.
Tags zuvor waren elf aus dem
Nordosten stammende Personen
nahe Jalpaiguri im Nachbarstaat
Westbengalen, aus einem fahrenden
Zug geworfen worden. Zwei
starben, neun wurden verletzt. Sie
waren aus anderen Teilen Indiens
kommend auf der Heimreise.
Die gewalttätigen Unruhen, die
im Juli und Anfang August zwischen
Angehörigen der Bodo-
Volksgruppe und muslimischen
Siedlern in Assam tobten, hatten
auch Auswirkungen auf andere
Nordostler, die in Mumbai, Pune,
Hyderabad und Bangalore leben,
arbeiten oder studieren. Ihnen
wurde in den letzten Wochen per
Internet Gewalt angedroht. Es
hieß, Muslime in verschiedenen
Gegenden Indiens würden sich auf
Revanche an Nordostlern für die
Toten in Assam vorbereiten. Das
ließ die Heimkehrwelle nach Assam
anschwellen. Über 30 000
Menschen sollen zurück in den
Nordosten geflohen sein. Die indische
Staatsbahn setzte Sonderzüge
ein. Auch am Montag trafen
zwei Sonderzüge aus Banglore mit
über 2000 Passagieren in Guwahati
ein.
Das indische Innenministerium
behauptete am Sonnabend, die
Mehrzahl dieser Mails sowie manipulierte
»Beweisfotos« stammten
aus Pakistan – und beschwerte
sich daraufhin in Islamabad. Dort
wies man das zurück. Wann immer
Indien innere Probleme habe,
wolle es den Pakistanern den
Schwarzen Peter zuschieben, lautete
die Antwort. Solche Kommentare
vergrößerten nur den ohnehin
bestehenden Vertrauensmangel
zwischen Delhi und Islamabad.
Assams Chefminister Gogoi
vermutete von Anfang an
»ausländische Hände« hinter den
Gewaltausbrüchen. Das ernste
Problem bagatellisiert er damit.
Der Anlass für die blutigen Zusammenstöße
in Assam, denen in
den Distrikten Kokrajhar, Chirang
und Dhubri 77 Menschen zum Opfer
fielen, und die eine Flucht von
über 400 000 Menschen zur Folge
hatten, blieb bis heute unklar.
Spannungen zwischen den einheimischen
Bodos, die etwas über
fünf Prozent der Bevölkerung Assams
bilden und zu 90 Prozent
Hindus sind, und den angeblich illegal
aus Bangladesch eingewanderten
Muslimen bestehen seit
Jahrzehnten.
Nach dem jüngsten Zensus des
Jahres 2011 beträgt der muslimische
Bevölkerungsanteil in Assam
31,3 Prozent. Allein in Guwahati
gibt es rund 300 Moscheen. In elf
von 27 Distrikten stellen Muslime,
die auch aus dem benachbarten
indischen Staat Westbengalen
stammen, die Mehrheit.
Die Bodos befürchten nun, in
den von ihnen besiedelten Distrikten
zur Minderheit zu werden.
Seit Ende der 80er Jahre kämpfen
sie um Selbstbestimmung und
verfügen seit 2003 über ein autonomes
Verwaltungsgremium, den
Bodoland Territorial Council. Außerdem
sind noch einige militante
Gruppen aktiv. Die Bodos beklagen
einen Mangel an Rechten und
eine Vernachlässigung ihrer Gebiete
bei Entwicklungsvorhaben.
Eine Einwanderung ostbengalischer
Muslime, die Indien aus humanitären
Gründen tolerierte, begann
1971/72, verstärkt durch die
Staatenbildung Bangladeschs
(früher Ostpakistan).
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. August 2012
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