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"Gewalt macht uns taub"

Antiimperialistischer Tenor auf internationaler Gandhi-Konferenz in Indien

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Als antiimperialistisches Forum war sie ganz bestimmt nicht gedacht, die zweitägige internationale Konferenz in Neu-Delhi über Lehren Mahatma Gandhis für die heutige Zeit. Doch es lag in der Natur der Sache, daß bei der Verquickung von Gandhischem Gedankengut mit den aktuellen Problemen der Welt die schändliche Rolle imperialistischer Politik ins Visier gerät.

Aus über 80 Ländern waren prominente Politiker, Nobelpreisträger und Bürgerrechtler angereist, um anläßlich des 100. Jubiläums der gewaltfreien Satyagraha-Bewegung des Mahatma über »Frieden, Nichtgewalt und Ermächtigung – Gandhische Philosophie im 21. Jahrhundert« Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Der frühere sambische Präsident Kenneth Kaunda nahm gleich zur Eröffnung am Dienstag kein Blatt vor den Mund, als er die USA und Großbritannien aufrief, den Krieg in Irak zu beenden –und dafür begeisterten Beifall erhielt. Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika erklärte, »der Krieg gegen Terror kann so lange nicht gewonnen werden, wie Ungleichheiten vorherrschen und Menschen wie Abfall behandelt werden«.

Indiens Premier Manmohan Singh erläuterte, daß Gandhis Satyagraha als Mittel zum Dialog und als Instrument zum Wandel zu verstehen ist. Er sagte: »Gewalt macht uns taub. Nichtgewalt hilft uns zu hören.«

Auch die Abschlußdeklaration der Konferenz läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie nennt als Aufgabe eine Welt, frei von Haß und Gewalt, frei von nuklearen und anderen Waffen und in der Territorialgrenzen irrelevant werden. Dafür gelte es, sich für gegenseitiges Vertrauen, für Harmonie und Freundschaft sowie für gleichen Zugang zu den globalen Ressourcen zu engagieren, sich im Kampf gegen Armut und Hunger, Analphabetentum, Krankheiten, und Unrecht zusammenzuschließen. Die Völker sollten eine demokratische und multilaterale Weltordnung fördern.

Von der Konferenz erging der Appell an die UNO, den 2. Oktober – Gandhis Geburtstag – zum Internationalen Tag der Nichtgewalt zu deklarieren. Sonia Gandhi als Schirmherrin der Veranstaltung regte einen Mechanismus an, das Treffen in Form eines globalen Bürgerschaftsforums zu institutionalisieren.

Jugendminister Mani Shankar Aiyar faßte als Generalrapporteur der Konferenz deren wichtigsten Resultate und Erkenntnisse zusammen: Das Treffen habe die fundamentale Gandhische Wahrheit bestätigt, daß die Antwort auf Gewalt nicht in der Gewalt liege. Nicht Militarisierung, sondern Dialog sei das Erfordernis der Stunde. Priorität in der ökonomischen Politik sollte die Ausrottung der Armut haben.

Mahatma Gandhi hatte die Satyagraha-Bewegung vor 100 Jahren in Südafrika ins Leben gerufen, nachdem er persönlich schmerzhafte Diskriminierung erfahren hatte. Er war auf einem Bahnhof in Südafrika trotz gültiger Fahrkarte von dem weißen Schaffner allein wegen seiner ethnischen Herkunft aus dem Zug geworfen worden. Deshalb sann er nach Mitteln und Wegen gegen die verbreitete Apartheid, unter der alle Nichtweißen litten. Sein Konzept trug zunächst den englischen Namen »passive restistance«, der aber seiner Meinung nach nicht den Kern traf. So gab er der entstehenden Bewegung die aus dem Sanskrit abgeleitete Bezeichnung »Satyagraha«. Satya heißt Wahrheit und Agraha bedeutet Bemühen, Festigkeit, Kraft. Es ging dem Mahatma darum, der Wahrheit und dem Recht mit Geduld, moralischer Stärke, mit Offenheit, Ehrlichkeit und Fairneß, physischer und mentaler Gewaltlosigkeit bis hin zum Selbstopfer Geltung zu verschaffen.

* Aus: junge Welt, 1. Februar 2007


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