"Die Krabbenzucht zerstört unsere Umwelt"
Krishnammal Jagannathan kämpft für die Rechte von Indiens Dalits *
Gemeinsam mit ihrem Mann Sankaralingam Jagannathan bekamen sie Ende letzten Jahres den
Right Livelihood Award, den Alternativen Nobelpreis, für ihr Lebenswerk. Was bedeutet diese
Auszeichnung für ihre Arbeit?
Es ist ein ganz normaler Preis. Alle verdienen einen Preis, die etwas für andere tun, für die
Verbesserung der Situation der Schwächeren und Benachteiligten. Wir haben diesen Preis
bekommen, weil wir uns eines Problems angenommen haben: sozialer Ungerechtigkeit. Der Preis
veranlasst mich, meine volle Energie dieser Aufgabe zu widmen.
Sie nehmen sich seit Jahrzehnten der Gruppe der Dalit in der südindischen Region Tamil Nadu an.
Woher stammt ihre Motivation für diesen langen Kampf?
Die Dalit werden »Unberührbare« genannt. Ein diskriminierender Begriff ähnlich wie der Begriff
»coloured« (Farbiger) in Südafrika. Mahatma Gandhi hat das Problem während seiner Zeit in
Südafrika erkannt. Er kam mit der Überzeugung nach Indien zurück, dass man gegen jegliche Form
der Diskriminierung kämpfen und Lösungen finden muss. Er setzte seine moralische Courage ein,
um Freiheit für die Menschen in Indien zu erlangen. Ich habe ihn getroffen und seine Ideen
inspirieren mich. Ich bin selbst eine Dalit und will schon mein ganzes Leben lang Lösungen für die
Probleme der Dalit-Gemeinschaft finden.
Was tun sie für die Dalit und wie viele Menschen erreichen sie?
Wir sind in mehr als 500 Dörfern aktiv, um die Dorfbevölkerung von Hunger, Zwangsarbeit und
extremer Armut zu befreien. Freiheit ist das Wichtigste und deshalb kämpfe ich darum, Frauen aus
der Unterdrückung durch ihre Männer und die Großgrundbesitzer zu befreien. Wir haben die
Organisation LAFTI (Land for the Tillers' Freedom) gegründet. Durch unsere deutschen Partner von
der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) können wir mit Großgrundbesitzern verhandeln,
Kredite mobilisieren und Tagelöhnern ermöglichen, Ackerland zu kaufen. Es gibt auch ein
Hausbauprojekt. Wir bauen mit den Menschen zusammen nicht für sie. Sie können und müssen sich
selbst engagieren. Wir stärken die Dorfbevölkerung durch Bildung und helfen ihnen, sich zu
organisieren. Dann können sie für ihre Rechte kämpfen. Das ist meine Mission: Ihnen ein Stück
Land geben, das sie kultivieren können, um ihre Familien zu ernähren. Ich will helfen, jedem einen
menschenwürdigen Platz zu geben. Viele leben in Behausungen, die nicht mehr als ein Unterstand
fürs Vieh sind.
Sie sind in ihrer Region stark betroffen von den Folgen der industriellen Krabbenzucht, wie ist die
Situation?
Die ASW unterstützt uns im Kampf gegen die Krabbenzucht. Die multinationalen Konzerne kamen
an die Küsten von Tamil Nadu, nachdem sie in Thailand und anderswo schon alles kaputt gemacht
hatten und neue Anbaugebiete suchten. Um die wachsenden Märkte in den USA, Japan und Europa
zu beliefern, müssen sie ständig die Produktion steigern.
Was ist an der Krabbenzucht so problematisch?
Sie zerstört unsere Umwelt und unsere Lebensgrundlage. Die Politiker und die Landbesitzer sehen
nur die Dollars. Aber die verdienen nur die multinationalen Konzerne und einige wenige hier. Die
kleinen Bauern in Tamil Nadu müssen zusehen, wie durch die angelegten Zuchtbecken das
Ackerland in der Umgebung versalzt wird. Die Krabbenfarmen verbrauchen viel Frischwasser, dass
den Menschen fehlt. Das wenige Grundwasser wird im küstennahen Bereich versalzen. Dazu kommt
die Belastung der Böden durch chemischen Zusätze, die in die Becken gegeben werden. Da haben
wir so vielen Landlosen ermöglicht, Land zu kaufen, und nun wurde daraus nutzloser Boden, auf
dem nichts mehr wächst.
Im Jahr 1996 hatte der Oberste Gerichtshof ein Gesetz erlassen, welches die Krabbenzucht
einschränken sollte. Was ist daraus geworden?
Wir haben uns damals sehr gefreut. Aber die lokalen Politiker und Großgrundbesitzer hatten kein
Interesse, dieses Gesetz umzusetzen. Sie haben mit den internationalen Unternehmen kooperiert.
Sie verkauften ihnen große Flächen Land, mehr als sie eigentlich brauchen. Für die Firmen ist es
billig, also kaufen sie es erst mal. Die Krabbenzüchter haben sogar erreicht, dass die Gesetze
wieder geändert wurden und die Einschränkungen wegfielen. Es ist sehr schwer für die Armen,
etwas dagegen zu tun. Sie haben kaum Unterstützung hier. Es hat sich eine Mittelklasse gebildet,
die schnell aufsteigt. Die Menschen vergessen auf ihrem Weg nach oben aber woher sie kommen,
vergessen die Armut und den Hunger.
Wollen sie eine völlige Abschaffung der industriellen Krabbenzucht?
Ja ich bin für eine Verbannung der Farmen aus unserer Region. Es ist ein reines Exportprodukt, das
sich hier niemand leisten kann. die Produktion hat ökologisch, sozial und ökonomisch nur negative
folgen hat. Ironischerweise hat uns die Tsunamikatastrophe in dieser Hinsicht geholfen. Die
Shrimpfarmen wurden komplett zerstört. Aber ich befürchte eines Tages werden sie wiederkommen
und alles wieder aufbauen. Dann werden wir wieder unsere Stimme erheben. Ich bin hier in
Deutschland um auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Ich habe hier schon viele Menschen
kennen gelernt, die sich für diese Probleme interessieren und uns unterstützen. Ich hoffe es werden
noch mehr.
Wie sieht die Zukunft aus?
Ich werde weiter kämpfen und habe Hoffnung. In der Region Uttar Pradesh, der
bevölkerungsreichsten Indiens, hat Mayawati es als Dalit geschafft, Chief Ministerin zu werden. Ich
hoffe, dass sie weiter viel für die Armen tun kann. Ich selbst wünsche mir noch fünf Jahre, um 5000
Häuser mit und für die Armen in Tamil Nadu zu bauen.
* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2009
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