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Boom an Indiens Himmel

50 Millionen Inlandsfluggäste zählte der Subkontinent im vergangenen Jahr. Jetzt wollen Airlines die Netze weiter kräftig ausbauen

Von Thomas Berger, Mumbai *

Nach einem Zweijahrestief hat sich der Binnenflugmarkt in Indien 2010 mehr als erholt. 50 Millionen beförderte Passagiere bedeuten einen Anstieg von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Alle Airlines konnten von dem Trend profitieren und planen für das neue Jahr einen Ausbau ihrer Kapazitäten. Allerdings war der Umschwung auch nötig, Nach jeweils umgerechnet zwei Milliarden Dollar Jahresverlusten müssen dringend Schulden abbezahlt werden. Die drei großen Gesellschaften Jet Airways, Kingfisher und Air India haben insgesamt 13,5 Milliarden Dollar Verbindlichkeiten aufgehäuft.

Doch Kapitalanleger setzen weiter große Hoffnungen in die Luftverkehrsbranche. Während der Leitindex Sensex an der Börse von Mumbai im Jahresverlauf um knapp 17 Prozent zulegte, konnten die Fluggesellschaften eine Verteuerung ihrer Aktien um 29 Prozent (Jet Airways) oder gar 35 Prozent (SpiceJet) konstatieren. Nach der Jahrtausendwende hatte auf dem Subkontinent der Boom im Binnenflugverkehr eingesetzt. Der einstige staatliche Monopolist Air India (inzwischen komplett mit Indian Airlines vereinigt, die früher das Inlandsgeschäft besorgte) bekommt immer mehr private Konkurrenten. Fast jedes Jahr nehmen einige neue Gesellschaften den Betrieb auf. Für 2011 ist das bei Jagson Airlines angekündigt, die von Delhi aus mehrere Ziele im Norden und im Zentrum ansteuern will. Fest etabliert sind neben den privaten Pionieren Jet Airways und Air Sahara (2007 von Jet aufgekauft und nun unter JetLite firmierend) inzwischen auch Kingfisher, IndiGo und SpiceJet. Jede bedient ein weitreichendes Netz von Verbindungen im ganzen Land.

Das Fliegen konnten sich früher fast nur Geschäftsleute leisten. Der verstärkte Konkurrenzdruck hat indes die Preise fallen lassen, und in einigen Fällen ist das günstigste Flugangebot nur noch doppelt so teuer wie eine Bahnfahrt zweiter Klasse. Viele Vertreter des neuen Bürgertums setzen sich deshalb vermehrt ins Flugzeug, statt ewig durch die Landschaft zu zuckeln. Zudem hat der Boom seinen Teil zu Erneuerung und Ausbau etlicher Flughäfen beigetragen. Neubauten wie der hochmoderne Indira Gandhi International Airport in der Metropole Hyderabad scheinen momentan fast noch überdimensioniert, bieten aber freie Kapazitäten, wenn nicht nur im Inland neue Strecken hinzukommen, sondern auch immer mehr ausländische Gesellschaften nicht mehr nur Mumbai und Delhi ansteuern. In Mumbai, dem wichtigsten Drehkreuz Indiens und die wirtschaftliche Hauptstadt des Landes, hat der Doppel-Airport unlängst eine große Renovierung mit Ausbauten erhalten.

Es ist nicht zuletzt das Gesamtwirtschaftswachstum, das den Binnenflugmarkt weiter antreibt. Nach 7,4 Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr, sind für das im März zu Ende gehende aktuelle Finanzjahr nach jüngsten Angaben 8,75 Prozent zu erwarten.

Die Nachfrage nach Luftbeförderung und -transport dürfte damit auch in Zukunft steigen. Dazu reichen die derzeit 419 Maschinen nicht aus – mit etwa 50 Neuanschaffungen durch die Airlines wird für 2011 gerechnet. So will beispielsweise SpiceJet nicht mehr nur zwischen den großen Metropolen pendeln, sondern auch kleinere Großstädte an das Netz anbinden. Jet Airways plant neben dem heimischen Markt auch sein internationales Geschäft auszubauen, und bei Air India denkt man über eine hauseigene Billigfluglinie nach. Mit 135 Maschinen hat das Unternehmen zwar die größte Flotte, Jet Airways mit seinen 66, von denen wegen Triebwerksproblemen sechs derzeit nicht starten dürfen, hat sich aber mit 26,2 Prozent Marktanteil das Stück im Binnenverkehr gesichert. Etwa gleichauf folgen auf den Plätzen Kingfisher mit 19 Prozent, IndiGo mit 17,3 Prozent und Air India mit 17,1 Prozent.

Allein IndiGo mit derzeit 32 Maschinen will noch einmal um etwa die Hälfte aufstocken und erstmals in den internationalen Markt mit Fokus auf Regionalverbindungen innerhalb Asiens einsteigen. Insgesamt dürften die Neuanschaffungen nach Berechnungen von Fachleuten in der ganzen Branche zu etwa 5000 zusätzlichen Jobs führen: Allein 500 bis 700 Piloten mehr werden gebraucht, dazu 1200 bis 1500 Kräfte beim Kabinenpersonal, heißt es in einem Bericht des in Mumbai erscheinenen Wirtschaftsblattes Mint. Sollte die Billigfluglinie von Air India kommen, will der Konzern ein Drittel seiner 33000 Beschäftigten dorthin auslagern – ein Schritt, bei dem die Gewerkschaften nicht so einfach mitspielen werden.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2011


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