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Abschied vom "Urgestein"

Trauer um Jyoti Basu, einen der profiliertesten Linken Indiens

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

So lange wie er blieb kein indischer Politiker je auf seinem Posten. 23 Jahre ununterbrochen Chefminister des indischen Bundesstaates Westbengalen -- Jyoti Basu, »Urgestein« der kommunistischen Bewegung in Indien. 95jährig verstarb der profilierte Linke am Sonntag in Kolkata, der westbengalischen Metropole. Der seit langem kränkelnde Politiker befand sich seit Jahresbeginn wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Basu gehörte über Jahrzehnte dem Politbüro der KP Indiens (Marxistisch) an und war im Jahre 1996 von der damaligen regierenden Koalition »Vereinte Front« sogar zum Premier Indiens vorgeschlagen worden. Doch seine Partei lehnte das ab. Jyoti Basu bezeichnete diese Entscheidung später als »historischen Fauxpas«, weil damit eine vielleicht einmalige Chance vertan war, für eine linke Partei auf nationaler Ebene eine maßgebliche Rolle zu spielen.

Unter seiner Führung als Chefminister entwickelte sich Westbengalen neben Kerala und Tripura zu einer der »roten Hochburgen« Indiens. Basu sorgte mit Bodenreform und anderen auf die unteren sozialen Schichten orientierenden Förderprogrammen sowie durch die Wiederbelebung des traditionellen Panchayat-Systems (Gemeinderäte), das eine Form von Mitbestimmung darstellt, für eine Massenbasis unter der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten und unter Werktätigen. Das erklärt auch, warum in Westbengalen von 1977 bis heute ohne Unterbrechung eine Linksfront regiert, selbst wenn deren Einfluß in letzter Zeit spürbar abgenommen hat. Die oppositionellen politischen Parteien in Westbengalen setzen alles daran, bei den Wahlen zur lokalen Volksvertretung im nächsten Jahr die Linksfront vom Sockel zu stoßen. Gegen Ende seiner Amtszeit hatte sich Basu pragmatisch bemüht, die Industrialisierung voranzutreiben und dafür Investitionen einheimischen und ausländischen Kapitals zu bekommen. Zu diesem Zweck wollte er Westbengalen zum Tor Indiens nach Südostasien machen. Zudem hielt er sich mehrmals zu offiziellen Besuchen in Großbritannien auf, wo er in den 1940er Jahren während seiner Studentenzeit mit den dortigen Kommunisten in Kontakt gekommen war.

Sein Nachfolger Buddhadeb Battacharjee setzte diesen Industrialisierungskurs verstärkt fort, sah sich aber einer Widerstandskampagne der aufstrebenden Partei Trinamool Congress (TC) nicht gewachsen. Diese mobilisierte beträchtliche Teile der Bevölkerung gegen Industrieprojekte, die auf ehemaligem Agrarland entstehen sollten. Die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Anhängern -- überwiegend KPI (M)-Aktivisten -- und Gegnern dieses Kurses kosteten die Linksfront enorm an Ansehen. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2009 erlitt sie eine eklatante Niederlage.

Die marxistische Partei vermutet, daß mit der vor einigen Tagen überraschend erfolgten Ernennung des bisherigen Nationalen Sicherheitsberaters M. K. Narayanan zum Gouverneur von Westbengalen den Linken weitere Steine in den Weg gerollt werden sollen. Der aus dem Amt geschiedene Gouverneur Gopalkrishna Gandhi, ein Enkel des Mahatma, hatte sich zwar kritisch, jedoch niemals feindlich gegenüber der Linkskoalition verhalten. Er erklärte: »Es war ein Privileg für mich, Jyoti Basu zu kennen. Es war ein Vergnügen, aus seiner Präsenz Nutzen zu ziehen und in all den Jahren in vielen Dingen seinen Rat einzuholen.« Doch die KPI (M) sieht in dem konservativen Ex-Geheimdienstmann Narayanan eine Person mit engsten Kontakten zur Führungsspitze der Kongreßpartei. Seiner Ernennung lägen »Hintergedanken« zugrunde. Da die politische Lage in Westbengalen wegen permanenter Aktivitäten militanter Maoisten (Naxaliten) nicht gerade stabil ist, gibt es unter den Linken Befürchtungen, Gouverneur Narayanan, könnte seine Verfügungsgewalt als höchster Repräsentant der Zentralgewalt in Neu-Delhi dazu nutzen, vor den Wahlen »President's rule« über den Unionsstaat zu verhängen, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen, die westbengalische Linksfront-Regierung praktisch zu entmachten und damit die Weichen für einen Wahlerfolg der TC-Kongreßpartei-Allianz zu stellen.

Eine solches Szenario blieb Jyoti Basu jedenfalls erspart. Doch auch er hatte Krisen in der kommunistischen Bewegung Indiens erlebt und überstanden. So 1964, als sich von der KP die KPI (M) abspaltete und 1969, als von den Marxisten der zur Militanz neigende Flügel der Naxaliten absplitterte.

Während es in Westbengalen eine mehrtägige Staatstrauer gibt, hatte die Bevölkerung am Montag in Kolkata Gelegenheit, dem aufgebahrten kommunistischen Veteranen die letzte Ehre zu erweisen.

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2010


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