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Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt

November/Dezember 2007


Donnerstag, 1. November, bis Sonntag, 18. November
  • Ein Selbstmordattentäter hat am 1. Nov. bei einem Angriff auf das Militär in Pakistan mindestens acht Menschen mit in den Tod gerissen - Dutzende wurden verletzt. Mit seinem Motorrad ist ein Selbstmordattentäter in einen besetzten Bus der pakistanischen Luftwaffe gerast. Bei dem Anschlag in der ostpakistanischen Provinz Punjab nahe der Stadt Sargodha kamen mindestens neun Menschen ums Leben, rund 40 seien verletzt worden, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Unter den Verletzten seien auch drei Kinder, sagte ein Sprecher der örtlichen Polizei.
  • Pakistans Einheit ist gefährdet, Terroristen werden immer stärker, die Justiz behindert die Regierung. Pakistans Präsident Musharraf begründet am 3. Nov. damit in einer Rede an die Nation den Ausnahmezustand, den er über das Land verhängt hat. Der Westen verurteilt das Vorgehen. Pakistans Präsident Pervez Musharraf wandte sich am Abend mit dramatischen Worten in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung: Die Situation im Land sei sehr gefährlich, sagte er. Pakistans Einheit stehe auf dem Spiel, Terrorismus und Extremismus hätten ein "extremes Niveau in Pakistan erreicht".
  • Pakistans Staatschef Musharraf versucht mit allen Mitteln, seine Macht durchzusetzen. Wann die für Januar geplante Parlamentswahl stattfinden soll, weiß in Islamabad niemand. Gestern (3. Nov.) hatte die frühere pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto kritisiert, der Ausnahmezustand behindere den demokratischen Prozess in Pakistan und verzögere die Parlamentswahlen um mindestens ein oder zwei Jahre.
  • Der Notstand in Pakistan beflügelt Terrorsympathisanten und islamistische Kämpfer. Für sie hat sich Machthaber Musharraf als Tyrann zu erkennen gegeben. Die Dschihadisten sind schlagkräftig wie nie - und rufen zur Attacke. (5. Nov.)
  • US-Außenministerin Rice hat am 5. Nov. Präsident Musharraf aufgefordert, Wahlen abzuhalten - und seinen Posten als oberster Führer des Militärs aufzugeben. Sie sei enttäuscht über Musharrafs Entscheidung, den Ausnahmezustand zu verhängen, erklärte US-Außenministerin Condoleezza Rice kürzlich. Jetzt haben die USA ihren Tonfall deutlich verschärft.
  • Indien kritisiert Pakistans Präsidenten Musharraf derzeit (6. Nov.) lieber nicht. Die Regierung in Neu-Delhi will die mühsam verbesserten Beziehungen zum Ex-Erzfeind nicht gefährden - außerdem fürchtet man, dass nach Musharaf alles noch viel schlimmer kommen könnte.
  • Der pakistanische Präsident Musharraf hat 8. Nov. angekündigt, den Posten als Militärchef vor Beginn der zweiten Amtszeit als Staatschef niederzulegen. Auf diesen Schritt hatte US-Präsident Bush gedrungen. Es ist jedoch ein eher kosmetisches Zugeständnis.
  • Nach Berichten über den Hausarrest der Oppositionsführerin Benazir Bhutto und die Absperrungen gegen eine geplante Demonstration wurden am 9. Nov. die Kabelnetzbetreiber am Freitag angewiesen, die Weiterleitung beider Sender zu stoppen.
  • In seinem Kampf um die Macht wendet sich das Musharraf-Regime jetzt (10. Nov.) gegen die Kritiker aus dem Ausland: Wegen "beleidigender" Berichterstattung haben die Behörden drei britische Journalisten des "Daily Telegraph" ausgewiesen.
  • Die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto hat sich nach Aufhebung am 10. Nov. ihres Hausarrests erneut an die Spitze der Protestbewegung gegen Militärmachthaber Pervez Musharraf gestellt. Bhutto verließ am Samstag erstmals wieder ihr Anwesen in Islamabad, um sich mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zu treffen und für ein Ende des Ausnahmezustandes zu kämpfen.
  • Die Krise in Pakistan verstärkt in den USA die Angst, Nukleartechnologie oder gar komplette Atombomben könnten in die Hände von Terroristen fallen. Einem Zeitungsbericht zufolge hat die US-Regierung bereits Notfallpläne (11. Nov.) erstellt, um Pakistans Atomwaffen sicherzustellen.
  • Nichts für mich, alles für die Nation, mit diesem Motto trat Pervez Musharraf jetzt (11. Nov.) vor die Weltpresse. Er kündigte Wahlen für Januar an - Notstand inklusive. Der Auftritt geriet zur Show eines störrischen Machtpolitikers, der sich bald demokratischer Präsident nennen will. Acht Tage nach Verhängung des Ausnahmezustands in Pakistan hat Staats- und Armeechef Pervez Musharraf baldige Parlamentswahlen angekündigt. Den Zeitpunkt seines Rücktritts als Armeechef ließ er allerdings offen - ebenso den für das Ende des Notstands.
  • Mit Polizeigewalt will die Regierung von Präsident Pervez Musharraf den von Oppositionsführerin Bhutto geplanten Marsch in die Hauptstadt Islamabad verhindern. Erneut (12. Nov.) wurde Bhutto unter Hausarrest gestellt - eine neue Konfrontation und Krawalle sind programmiert.
  • Das Außenministerium in Islamabad hat sich erzürnt am 12. Nov. über US-Pläne zur Sicherung der pakistanischen Atomwaffen gezeigt. Laut einem US-Zeitungsbericht vom Wochenende fürchtet Washington, dass die Waffen in die Hände von Terroristen fallen könnten.
  • Kritische Korrespondenten ausgewiesen, TV-Sender abgeschaltet, Journalisten inhaftiert - mit Repression versucht das Musharraf-Regime (12. Nov.), die Medien zu kontrollieren. Doch Pakistans Journalisten wehren sich. Mit Tricks und unter hohem Risiko zeigen sie das brutale Gesicht des Notstands.
  • Der Westen verliert die Geduld mit Pakistans Machthaber Musharraf. Großbritanniens Außenminister Miliband forderte am 13. Nov. den Staatschef auf, den Ausnahmezustand innerhalb von zehn Tagen zu beenden. Andernfalls werde das Land aus dem Commonwealth ausgeschlossen.
  • Von einem Rücktritt als Präsident will Pervez Musharraf nichts wissen, aber mit seiner Rolle als Militärchef soll es möglicherweise schon bald vorbei sein. Musharraf stellte heute (14. Nov.) in Aussicht, bis Ende des Monats seine Uniform abzulegen. Er wolle seine nächste Amtszeit als Zivilperson antreten, sagte Musharraf in Rawalpindi.
  • Nach sechs Tagen am 15. Nov. wieder in Freiheit. Oppositionsführerin Benazir Bhutto steht nicht mehr unter Hausarrest. Nach Angaben der pakistanischen Polizei wurde das Ausgangsverbot für sie aufgehoben.
  • Pünktlich um Mitternacht am 15. Nov. hat sich das Parlament in Pakistan wie geplant aufgelöst. Damit ist der Weg für Neuwahlen Anfang Januar frei. Wie lange der Ausnahmezustand im Land noch andauert, bleibt allerdings offen.
  • Ein US-Bericht schreckt Pakistans Machthaber auf: Das Weiße Haus erwägt laut "New York Times" (15. Nov.), seine Unterstützung für General Musharraf zurückzuziehen. Offenbar braucht Washington den störrischen Präsidenten nicht mehr - neuen Planspielen zufolge könnte er schlicht überflüssig sein.
  • Der Kampf gegen Pakistans Präsidenten führt sie zusammen. Die ehemaligen Rivalen Benazir Bhutto und Nawaz Sharif haben sich nach Angaben ihrer Parteien auf ein Bündnis geeinigt (15. Nov.). Die beiden Oppositionsführer wollen Musharraf damit zum Rücktritt zwingen.
  • Pakistans Übergangsregierung ist im Amt und soll das Land vom Ausnahmezustand zu Neuwahlen führen. Präsident Musharraf hat am 16. Nov. Premier Soomro vereidigt - er gilt als loyaler Anhänger des Staatschefs und Militärmachthabers.
Montag, 19. November, bis Freitag, 30. November
  • Pakistans Militärmachthaber Musharraf will am 8. Januar Parlamentswahlen abhalten lassen. (19. Nov.) Seine Wiederwahl zum Präsidenten hat der Oberste Gerichtshof nun für rechtens erklärt. Laut Generalstaatsanwalt Malik Mohammed Qayyum sind alle Einsprüche gegen die Wiederwahl Pervez Musharrafs im Oktober abgewiesen worden. In den Klagen wurde vor allem geltend gemacht, Musharraf könne nach der Verfassung nicht zum Präsidenten gewählt werden, solange er noch das Amt des Militärchefs innehabe. Es wurde erwartet, dass er nun bald von letzterem Posten zurücktreten werde.
  • In Pakistan öffnen sich die Gefängnistüren Die Regierung hat Tausende Kritiker von Machthaber Musharraf am 20. Nov. freigelassen. Sie waren während des Ausnahmezustands festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden. Die verbleibenden 2000 Regierungskritiker, die in diesem Zeitraum festgesetzt wurden, sollen ebenfalls bald auf freien Fuß gesetzt werden, sagte heute der Sprecher des Innenministeriums, Javed Iqbal Cheema. Der Schritt sei Teil der Bemühungen, die gegenwärtige Krise im Land zu entschärfen.
  • Die pakistanische Armee setzt auf Härte: Im umkämpften Swat-Tal wurden bis zu 40 Extremisten getötet. US-Präsident Bush erneuerte unterdessen seine Unterstützung für Pakistans umstrittenes Staatsoberhaupt Musharraf. "Unsere Truppen haben Dienstagnacht und am Mittwochmorgen Positionen der Militanten in der Region Shangla angegriffen", sagte am 21. Nov. Armeesprecher Waheed Arshad. Radikalislamische Aufständische hätten zuvor zwischen 18 und 20 Raketen auf die Soldaten abgeschossen, die das Feuer erwidert hätten. Soldaten seien nicht getötet worden. Der Nachrichtensender Aaj berichtet, bei den Kämpfen seien auch neun Zivilisten ums Leben gekommen.
  • Die Commonwealth-Staaten haben am 22. Nov. die Mitgliedschaft Pakistans ausgesetzt. Zuvor war ein Ultimatum abgelaufen, in dem die Organisation Präsident Musharraf zur Aufhebung des Ausnahmezustands aufgefordert hatte.
  • Die Wiederwahl des pakistanischen Präsidenten Musharraf ist endgültig rechtmäßig. Das Oberste Gericht hat am 22. Nov. auch den letzten Einspruch abgewiesen. Da Musharraf bei der Verhängung des Ausnahmezustands am 3. November alle kritischen Richter abgesetzt hat, war die Entscheidung allgemein erwartet worden.
  • Mit einer Verhaftungswelle haben die Sicherheitskräfte auf die Rückkehr (25. Nov.) des früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif reagiert. Dennoch bejubelten tausende Anhänger die Heimkehr des Oppositionellen.
  • Einen Tag nach seiner triumphalen Rückkehr nach Pakistan (26. Nov.) hat sich der frühere Ministerpräsident Nawaz Sharif als Kandidat für die Parlamentswahl am 8. Januar registrieren lassen. Er bekräftigte aber gleichzeitig seine Drohung, die Abstimmung möglicherweise zu boykottieren. Sollte er teilnehmen, so würde er sich dennoch weigern, einer Regierung vorzustehen, solange Pervez Musharraf noch Präsident sei, sagte der Oppositionspolitiker.
  • Angekündigt hat er diesen Schritt schon häufig, jetzt hat er seinen Rücktritt als Armeechef am 28. Nov. vollzogen - unter dem Druck westlicher Verbündeter und der Opposition. Pakistans Präsident Pervez Musharraf ist als Streitkräftechef zurückgetreten. "Nach 46 Jahren in Uniform sage ich dieser Armee auf Wiedersehen", sagte er. "Diese Armee ist mein Leben, sie ist meine Leidenschaft." Er habe die Armee "geliebt".
  • Der pakistanische Präsident Musharraf will den Ausnahmezustand am 16. Dezember aufheben. Das kündigte er kurz nach seiner Vereidigung für eine neue Amtszeit am 29. Nov. an. Er folgt damit einer zentralen Forderung der internationalen Gemeinschaft.
Dezember
  • Um die Bedingungen für ihre Teilnahme an der Parlamentswahl am 8. Januar streiten die rivalisierenden Oppositionsführer Benazir Bhutto und Nawaz Sharif. Bhutto geht es vor allem um einen veränderten Wahlmodus, der ihr bessere Chancen einräumt. Um Manipulationen vorzubeugen, sollen die Wahlkommission personell verändert und die oft regierungsnahen Bürgermeister in der Provinz gegen neutrale Beamte ausgetauscht werden - jedenfalls in der Wahlzeit. (10. Dez.)
  • Bei einem Bombenanschlag am 13. Dez. auf einen Zug im nordostindischen Bundesstaat Assam sind fünf Menschen ums Leben gekommen. Vier weitere wurden nach Angaben der Behörden verletzt. Der Anschlag ereignete sich im Bezirk Golaghat. Die Bombe habe auf den Schienen gelegen und sei explodiert, als der Expresszug nach Neu Delhi darüber gerollt sei, sagte ein Sprecher der Bahn. Die Explosion beschädigte auch den Gepäckwagen des Zuges, der die Fahrt aber nach rund fünf Stunden fortsetzen konnte. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag.
  • Sechs Wochen dauerte der heftig kritisierte Ausnahmezustand in Pakistan - jetzt (15. Dez.) hat ihn Staatschef Musharraf aufgehoben. Das soll die Voraussetzungen für die Parlamentswahl im Januar schaffen. Das Dekret zur Aufhebung des Ausnahmezustands wurde am Samstagmittag (Ortszeit) veröffentlicht. Damit sollen in der südasiatischen Atommacht die Grundrechte wieder hergestellt werden. Am 8. Januar soll in Pakistan ein neues Parlament gewählt werden.
  • Dramatischer Endspurt am 15. Dez. bei der Klimakonferenz auf Bali. In letzter Minute haben China und Indien das in der Nacht ausgehandelte Kompromisspapier abgelehnt - und damit den Rest der Welt überrascht. Beobachter halten es inzwischen für möglich, dass die Konferenz doch noch platzt.
  • Fünf Milliarden Dollar Militärhilfe hat die US-Regierung nach Pakistan gepumpt - doch große Teile sind offenbar in den falschen Taschen gelandet. Mit dem Geld wurden angeblich Waffensysteme ausgebaut, die Indien bedrohen. (22. Dez.)
  • Die Oppositionsführerin Benazir Bhutto wurde am 27. Dez. ermordet. Der Attentäter wollte ganz sicher gehen. Erst nahm er mit einer Schusswaffe Benazir Bhuttos Wagen ins Visier, drückte ab, traf die Oppositionsführerin mit mehreren Kugeln von hinten - als sie mit schweren Verletzungen in Nacken, Brust und Wirbelsäule Schutz suchte, zündete der Mann einen Sprengstoffgürtel.
  • Pakistans Machthaber - ein enger Partner, ein Garant für Stabilität im Kampf gegen Terror. So preist US-Präsident Bush am 28. Dez. seinen politischen Freund Musharraf. Der Mord an Benazir Bhutto beweist, dass er falsch liegt. Der Pakt ist gescheitert. Die USA brauchen eine neue Strategie.
  • Hunderttausende Trauernde haben den Sarg Benazir Bhuttos zu ihrer letzten Ruhestätte am 28. Dez. begleitet. Überall im Land kam es zu Randale, mindestens 17 Menschen starben.
  • Wie starb Benazir Bhutto? "Es war gezielter Mord durch einen Scharfschützen", ist sich ihre Partei sicher und wirft am 29. Dez. der Regierung vor, die Todesursache zu verschleiern. Der Sohn der ermordeten Oppositionsführerin will bald eine Erklärung verlesen, die seine Mutter hinterlassen hat.
  • Es ist eine gigantische Aufgabe für Bilawal Bhutto Zardari: Er wird das politische Erbe seiner ermordeten Mutter Benazir fortführen, übernimmt ihre Pakistanische Volkspartei - dabei ist er erst 19 Jahre alt. (30. Dez.) Die Fäden zieht allerdings der Witwer. Immer wieder recken sie die Fäuste in die Höhe, ihren Gesichtern zeugen von Trauer aber auch Entschlossenheit: "Benazir Bhutto ist noch am Leben", skandieren die Männer. Es ist der emotionale Schlusspunkt einer kurzen Pressekonferenz, mit der die Pakistanischen Volkspartei (PPP) das politische Erbe ihrer ermordeten Chefin regelt.


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