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Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt

Ab Oktober 2003

1. - 12. Oktober 2003

Bei einem Bombenanschlag an einem der bedeutendsten Hindu-Tempel Indiens ist der Regierungschef des südlichen Bundesstaates Andhra Pradesh verletzt worden. N. Chandrababu Naidu wollte am 1. Oktober gemeinsam mit einem Regionalminister gerade den Tirupati-Tempel bei Bangalore besuchen, als der Sprengsatz explodierte, wie ein Vertreter der örtlichen Verwaltung mitteilte.

Bei einer Großoffensive gegen die Terrororganisation El Kaida in Pakistan haben die Streitkräfte am 2. Oktober mindestens zwölf mutmaßliche Extremisten getötet. Weitere 18 Verdächtige seien festgenommen worden, teilte ein Militärsprecher mit. Im Verlauf der Gefechte in der Region Waziristan an der Grenze zu Afghanistan kamen auch zwei pakistanische Soldaten ums Leben, zwei weitere wurden verwundet. Die Kämpfe dauerten am Donnerstagabend an.

Erstmals seit der Wiederaufnahme des Dialogs mit dem verfeindeten Nachbarland Indien vor sechs Monaten hat Pakistan eine atomwaffenfähige Kurzstreckenrakete getestet. Die Boden-Boden-Rakete vom Typ Hatf III Ghaznavi mit einer Reichweite von 290 Kilometern sei am frühen Morgen des 3. Oktober abgefeuert worden, erklärte das Militär in Islamabad, ohne den Ort zu nennen. Der Test sei erfolgreich verlaufen.
Der indische Verteidigungsminister George Fernandes hat den pakistanischen Raketentest als "nichts Besonderes" bezeichnet. Allerdings solle überprüft werden, ob das Nachbarland die atomwaffenfähige Ghaznavi-Rakete selbst entwickelt oder aus China oder Nordkorea erhalten habe, sagte Fernandes am 3. Oktober der Nachrichtenagentur PTI. Sein Sprecher bestätigte, Islamabad habe Indien rechtzeitig von dem Test in Kenntnis gesetzt.

In der pakistanischen Hafenstadt Karachi haben Attentäter am 3. Oktober das Feuer auf einen Bus mit schiitischen Gläubigen eröffnet und dabei mindestens sechs Menschen getötet. Sechs weitere Insassen seien verletzt worden, zwei davon schwer, teilte die Polizei mit. Der Bus wollte etwa 20 Mitarbeiter der pakistanischen Weltraumbehörde zum Freitagsgebet in eine Moschee bringen. Die Attentätern flüchteten auf Motorrädern. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag, der Verdacht fiel jedoch auf sunnitische Extremisten.

Schüssen indischer Soldaten sind im pakistanischen Teil Kaschmirs zehn Menschen zum Opfer gefallen, wie die Behörden in Pakistan am 5. Oktober mitteilten. Vier Dorfbewohner seien verletzt worden. Mehrere Häuser seien am späten Abend des 4. Oktober im Neelum Tal, das etwa 75 Kilometer nordöstlich von Muzaffarabad liegt, unter Beschuss geraten. Im gleichen Gebiet seien Stunden zuvor bereits ein junges Mädchen und ein Mann durch Schüsse indischer Truppen ums Leben gekommen, berichtete ein Polizeisprecher. 15 weitere Personen seien dabei verletzt worden. Pakistanische Soldaten hätten das Feuer erwidert.

Bei einem Anschlag in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ist am 6. Oktober ein radikaler sunnitischer Parlamentsabgeordneter erschossen worden. Unbekannte hätten das Auto des früheren Extremistenführers Azam Tariq an einer Autobahnmautstelle im Südwesten der Stadt mit Schüssen geradezu durchsiebt, sagte Tariqs Assistent, Rashid Farooqi, der Nachrichtenagentur AFP. Alle fünf Insassen seien getötet worden.
Der Mordanschlag auf den sunnitischen Politiker hat in Pakistan eine Welle der Gewalt ausgelöst. Mehrere hundert Anhänger des Extremisten Maulana Azam Tariq brannten am 7. Oktober in der Hauptstadt Islamabad einen schiitischen Schrein und ein Kino nieder. Zahlreiche Schaufensterscheiben gingen zu Bruch. Vor dem Parlament blockierten mehrere tausend Demonstranten eine Straßenkreuzung. Ein 24-jähriger Mann kam bei den Unruhen ums Leben, acht Menschen wurden verletzt. Der Sarg Azam Tariqs wurde am Nachmittag von Islamabad in die 290 Kilometer südwestlich gelegene Stadt Jhang geflogen. Dort versammelten sich 25.000 Menschen zu einer Trauerfeier im Stadion. Anhänger des Attentatsopfers brannten eine schiitische Moschee nieder und setzten eine Tankstelle in Brand. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden drei Beamte verletzt, zwei von ihnen schwer. Die Proteste richteten sich auch gegen die Regierung von Präsident Pervez Musharraf.

Zum zweiten Mal binnen einer Woche hat Pakistan eine atomwaffenfähige Rakete getestet. "Wir haben die Shaheen 1 erfolgreich abgefeuert", sagte der Militärsprecher Shaukat Sultan am 8. Oktober. Die Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von 700 Kilometern könnte atomare Sprengköpfe weit in indisches Gebiet transportieren.

Indien hat sich für den Kauf eines russisch-israelischen Frühwarnsystem entschieden. Ein entsprechender Vertrag über eine Milliarde Dollar wurde am 10.Oktober unterschrieben. Dabei sollen israelische Phalcon-Radarsysteme in russische Iljuschin-Maschinen eingebaut werden. Pakistan hatte Indien nachdrücklich vor der Einrichtung eines derartigen Frühwarnsystems gewarnt. Dies gefährde die Machtbalance in Südasien, hieß es. Das Geschäft war im vergangenen Monat beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon abgeschlossen worden, wie der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Amitabha Chakrabarti, der Nachrichtenagentur AP sagte.

Nach dem Verbot von Versammlungen im Umkreis einer zerstörten Moschee hat die indische Polizei am Wochenende 11./12. Oktober mehr als 1.500 radikale Hindus festgenommen. Sie hatten sich über das Verbot hinweggesetzt, mit dem der Oberste Gerichtshof des Unionsstaats Uttar Pradesh religiöse Unruhen verhindern wollte. Hintergrund ist eine geplante Massenkundgebung des Weltrats der Hindus (VHP) am 17. Oktober, die der Forderung Nachdruck verleihen soll, an der Stelle der zerstörten Moschee einen Tempel zu bauen. Die Zerstörung der gut 400 Jahre alten Babri-Moschee bei Ayodhya durch fundamentalistische Hindus hatte vor knapp elf Jahren schwere Unruhen zwischen Hindus und Muslimen ausgelöst. Rund 2.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Viele Hindus glauben, dass das muslimische Gotteshaus auf den Fundamenten eines älteren Hindu-Tempels errichtet wurde.

13. - 19. Oktober

Im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh sind mehr als 10.000 Hindu-Fundamentalisten festgenommen worden. Grund ist die Furcht vor neuen religiösen Unruhen. Die Behörden hätten außerdem die Pilgerstadt Ayodhya abgeriegelt, berichtete die Nachrichtenagentur UNI unter Berufung auf die Polizei am 13. Oktober. Trotz eines Versammlungsverbots erwartet der Welthindurat am 17. Oktober 100.000 Menschen in Ayodhya, die für den Bau eines Tempels auf dem Gelände einer 1992 zerstörten Moschee demonstrieren wollen.

In der südpakistanischen Stadt Karachi ist am 13. Oktober ein Aktivist einer muslimischen Immigrantenbewegung auf offener Straße erschossen worden, wie die Polizei mitteilte. Noor-ul Amin war das fünfte getötete Mitglied der Bewegung Mutahida Kami innerhalb der vergangenen zwei Monate. Laut Polizei bekannte sich zunächst niemand zu der Tat. Die Mutahida Kami repräsentiert vor allem muslimische Einwanderer aus Indien. In Pakistan kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Organisation und abtrünnigen Splittergruppen.

Zum dritten Mal seit Monatsbeginn hat Pakistan am 14. Oktober eine atomwaffenfähige Rakete getestet. Der Test einer Boden-Boden-Mittelstreckenrakete vom Typ Hatf IV sei erfolgreich verlaufen, sagte ein Armeesprecher der Nachrichtenagentur AFP in Islamabad. Eine Rakete desselben Typs, die auch Shaheen 1 genannt wird, war bereits in der vergangenen Woche (08.10.) getestet worden. Die Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von 700 Kilometern könnte atomare Sprengköpfe weit in indisches Gebiet transportieren. Der jüngste Test bilde vorerst den Abschluss der am 3. Oktober begonnenen Testserie, sagte der Armeesprecher.

Die pakistanische Armee hat nach Regierungsangaben im Nordwesten des Landes einen hochrangigen Führer der El-Kaida-Organisation getötet. Ein "wichtiges Mitglied" der Organisation sei einer der Männer, die nahe der afghanischen Grenze bei einer Anti-Terror-Aktion ums Leben gekommen seien, sagte der pakistanische Informationsminister Sheikh Rashid am 15. Oktober. Auf den El-Kaida-Mann, der sich möglicherweise auf der Liste der 20 von den USA meistgesuchten Mitgliedern des Netzwerks befinde, sei ein hohes Kopfgeld ausgesetzt gewesen. Weitere Angaben machte der Minister nicht.

Aus Furcht vor Religionsunruhen hat die indische Polizei bis zum 16. Oktober fast 17.000 Hindus vorübergehend festgenommen, meldete AP. dpa sprach von 47.000 Festnahmen. Damit soll deren Teilnahme an einer für den 17. Oktober angekündigten Demonstration in Ayodhya verhindert werden, wo Hindus und Muslime seit Jahrzehnten um ein Grundstück für ihre Gotteshäuser streiten. Mit der gerichtlich untersagten Massenkundgebung wollen die Hindus ihrer Forderung Nachdruck verleihen, an der Stelle der zerstörten Babri-Moschee einen Tempel zu bauen.
In der nordindischen Pilgerstadt Ayodhya haben sich tausende fundamentalistische Hindus am 17. Oktober Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Als die Sicherheitskräfte eine Massenkundgebung für den Bau eines umstrittenen Hindu-Tempels verhindern wollten, griffen Radikale die Polizisten mit Eisenstangen und Steinen an, wie eine AFP-Korrespondentin berichtete. Die Polizei setzte nach eigenen Angaben Gummigeschosse und Tränengas ein. Angaben zu Verletzten gab es zunächst nicht. Hunderte Anhänger des fundamentalistischen Welt-Hindu-Rats VHP wurden festgenommen, darunter der führende VHP-Politiker Ashok Singhal.

Bei einem Angriff auf das Haus des Regierungschefs in der indischen Unruheprovinz Kaschmir sind am 17. Oktober zwei Grenzschützer getötet worden. Ein weiterer Wachposten sei verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, teilte ein Sprecher der Grenzschützer in der Sommerhauptstadt Srinagar mit. Regierungschef Mufti Mohammed Sayeed war zum Zeitpunkt des Angriffs nach amtlichen Angaben nicht zuhause; allerdings habe sich seine Tochter Mehbooba Mufti, die Vorsitzende der Regierungspartei, in dem Haus aufgehalten. Augenzeugen berichteten von zwei schweren Explosionen in der Nähe von Sayeeds Wohnsitz. Die Täter seien in ein Einkaufszentrum geflohen.

20. - 31. Oktober

Separatistengruppen in Kaschmir haben ein Angebot Indiens angenommen, über die Zukunft der Unruheprovinz zu verhandeln. Die Huriyat-Konferenz, ein Zusammenschluss der um Eigenständigkeit Kaschmirs ringenden religiösen und politischen Gruppen, erklärte am 23. Oktober, binnen zehn Tagen ein Programm für Verhandlungen mit Indien und Pakistan vorzulegen.
Am 24. Oktober berichtete Arne Perras in der Süddeutschen Zeitung über neue Offerten Indiens im Dauerkonflikt um Kaschmir. So habe die indische Regierung einen 12-Punkte-Plan vorgelegt, mit dem Indien den Kontakt zu Pakistan normalisieren will. Dabei geht es neben bekannten Angeboten wie der Ausweitung des Flugverkehrs oder gemeinsamer Sportveranstaltungen auch um die Öffnung der Hauptstraße im geteilten Kaschmir. Sie verbindet Srinagar im indischen Teil mit Muzaffarabad im pakistanischen Teil Kaschmirs. Erstmals seit 1948 sollen dort wieder Busse verkehren dürfen. Noch überraschender war die Ankündigung Indiens, direkte Gespräche mit der kaschmirischen Separatistenbewegung Hurriyat führen zu wollen. Solche Kontakte hatte Delhi bisher stets abgelehnt.

Die pakistanische Armee hat rund 230 mutmaßliche Mitglieder des Terrornetzwerks El Kaida festgenommen. Zehn weitere Verdächtige seien bei dem Anfang Oktober begonnenen Einsatz getötet worden, berichtete die staatliche pakistanische Nachrichtenagentur APP am 26. Oktober unter Berufung auf einen hochrangigen Kommandeur. Der Einsatz, bei dem den Angaben zufolge auch zehn pakistanische Soldaten ums Leben kamen, war Teil einer mehrwöchigen Anti-Terror-Militärkampagne in der nordwestlichen Grenzregion zu Afghanistan. Im Mittelpunkt stand dabei die Stadt Angoor Adda in Süd-Waziristan. Unter den dort gefassten mutmaßlichen El-Kaida-Mitgliedern seien Usbeken, Afghanen und Pakistaner.

Im indischen Teil Kaschmirs haben mutmaßliche militante Islamisten am 26. Oktober eine Granate auf einen Konvoi der Grenzpolizei gefeuert. Nach Polizeiangaben verfehlte die Granate ihr Ziel und explodierte auf einer belebten Straße in der Stadt Bijbehara im Norden des Unionsstaats. Dabei wurden zwölf Menschen verletzt, darunter zehn Zivilpersonen. Ein Polizeisprecher machte Separatisten für die Tat verantwortlich.
Bei einem Granatenanschlag auf ein Fernsprechamt in der kaschmirischen Stadt Srinagar sind am 28. Oktober 35 Menschen verletzt worden. Vier von ihnen befanden sich in kritischem Zustand, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Er machte militante Islamisten für den Anschlag verantwortlich.
Im Bezirk Doda kamen am 28. Oktober bei der Explosion einer Landmine und Auseinandersetzungen mit Rebellen drei Soldaten ums Leben, acht weitere wurden verwundet.
Bei einem weiteren Zusammenstoß am 28. Oktober wurden in der Winterhauptstadt Jammu fünf Zivilisten verletzt.

Indien übte Kritik an der Reaktion Pakistans auf sein vorgeschlagenes Zwölf-Punkte-Programm zur Normalisierung der Beziehungen der beiden Länder. Pakistan hatte 27. Oktober erklärt, die meisten Vorschläge seien nichts Neues, da sie der pakistanische Ministerpräsident Khan Jamali bereits im Mai vorgebracht habe. Ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums nannte den Vorschlag von Gesprächen mit der kaschmirischen Allparteienkonferenz Hurriyat, der größten Separatistenvereinigung, "hinterlistig" und das gesamte Programm einen "taktischen Zug" Indiens, um sich als Friedensstifter der Region darzustellen. Das indische Außenministerium sprach am 28. Oktober von einer unglücklichen Äußerung. Eine künftige Antwort Pakistans sei hoffentlich inhaltlich konstruktiv und weniger derb in Tonfall und Wortwahl, sagte ein Sprecher.

Indien hat erstmals erfolgreich einen Marschflugkörper getestet, der mit Überschall-Geschwindigkeit fliegt. Das teilte am 29. Oktober das Verteidigungsministerium in Neu Delhi mit. Das gemeinsam mit Russland entwickelte Projekt "Brahmos" sei weltweit bisher das einzige, das diese Geschwindigkeit erreicht hat. Nach Angaben des Ministeriums ist der acht Meter lange und drei Tonnen schwere Flugkörper in der Lage, Sprengköpfe von bis zu 200 Kilogramm Gewicht etwa 290 Kilometer weit zu befördern.

Polizisten haben in der Nacht zum 30. Oktober den Oppositionsführer im pakistanischen Parlament festgenommen. Dem Vorsitzenden der Allianz für die Wiederherstellung der Demokratie (ARD), Javed Hashmi, werden Diffamierung der Streitkräfte und Vorbereitungen zu einem Umsturzversuch vorgeworfen, wie die Behörden mitteilten. Hashmi leitet ein Bündnis von 15 Oppositionsparteien in der Nationalversammlung, das insgesamt 78 der 342 Abgeordneten stellt. Hashmis Tochter Memona warf der Polizei vor, ihren Vater geschlagen und wie einen Kriminellen abgeführt zu haben.


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