Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt: Ereignisse ab Mai 2003

Zusammengestellt aus Agenturmeldungen

1. - 11. Mai 2003

Indien und Pakistan wollen nach einer Phase der politischen und militärischen Spannungen ihre diplomatischen Beziehungen wieder normalisieren. Beide Länder wollten ihre diplomatischen Verbindungen wieder vollständig aufnehmen, sagte der indische Premierminister Atal Behari Vajpayee am 2. Mai vor dem Parlament in Neu Delhi. Indien werde wieder einen Botschafter für Pakistan ernennen. Zudem sollten die zivilen Flugverbindungen zwischen beiden Ländern hergestellt werden. Zugleich betonte Vajpayee, eine internationale Vermittlung im Konflikt um die Kaschmir-Region sei nicht notwendig. Dies sei eine "bilaterale Angelegenheit, an der keine andere Partei" beteiligt sein solle. Pakistan und Teile der US-Regierung befürworten eine internationale Vermittlung in dem Konflikt der beiden Atommächte.

Die US-Sicherheitsbehörden haben nach eigenen Angaben einen Plan des Terrornetzwerks El Kaida für einen Anschlag mit einem Kleinflugzeug aufgedeckt. Wie ein Gewährsmann am 2. Mai in Washington mitteilte, sollte ein Flugzeug oder ein Hubschrauber mit Sprengstoff beladen in das US-Konsulat in der pakistanischen Hafenstadt Karachi gelenkt werden. Die Vorbereitungen für den Anschlag seien in der letzten Phase gewesen. Dem Gewährsmann zufolge steht die Aufdeckung des Plans in Zusammenhang mit der Festnahme sechs mutmaßlicher Mitglieder von El Kaida Anfang vergangener Woche in Karachi.
Nach Angaben des Innenministeriums in Islamabad wurden in der vergangenen Woche insgesamt mindestens zehn mutmaßlichen El-Kaida-Mitglieder in Pakistan festgenommen. Die Polizei stellte auch hunderte Kilogramm Sprengstoff sowie einen Lastwagen mit Waffen und Material für Bomben sicher. Damit sei ein Terroranschlag größeren Ausmaßes verhindert worden, bestätigte Innenminister Faisal Saleh Hayyat am 3. Mai. Weitere Einzelheiten nannte er nicht.

Im Zusammenhang mit einem Anschlag auf einen Zug in Bombay im März haben die indischen Behörden sechs Männer festgenommen, die mit der pakistanischen Islamistenorganisation Lashkar-e-Tayyaba in Verbindung stehen sollen. Wie der stellvertretende Chefminister des Unionsstaats Maharashtra, Chhagan Bhujbal, am 3. Mai erklärte, reisten die Männer nach Pakistan und hatten Kontakt zum dortigen Geheimdienst. Die Verdächtigen seien am Freitag einem Richter vorgeführt worden. Nach Angaben des Ministers bildeten sie in der Nähe von Bombay 20 Menschen im Umgang mit Waffen sowie im Bombenbau aus. Die Polizei habe zahlreiche Waffen und Munition sichergestellt. Auch Videokassetten mit Reden von Führern der Hezb-ul-Mujahedeen seien entdeckt worden. Sie ist die größte von rund einem Dutzend militanter Organisationen, die seit 1989 in Kaschmir gegen indische Sicherheitskräfte kämpfen. Bei dem Anschlag in Bombay waren am 13. März elf Menschen getötet und weitere 64 verletzt worden.

Islamabad öffnete am 6. Mai die Verkehrsverbindungen ins Nachbarland und gab die Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen bekannt. Ministerpräsident Zafarullah Khan Jamali forderte weiter vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick auf die Atomwaffen beider Länder. Er zeigte sich zudem entschlossen, auch im Streit um die geteilte Himalayaregion Kaschmir eine Lösung zu finden. Indien reagierte zunächst nicht. "Ich bin voller Hoffnung, dass sich in allen Punkten eine gute Lösung finden lässt, natürlich auch in der Kaschmir-Frage", erklärte Jamali. Pakistan wünsche einen ernsthaften Dialog mit dem Ziel einer "atomaren und strategischen Stabilität" in der Region, sagte er. Neben der Wiederaufnahme der Flug-, Bus- und Bahnverbindungen setzte sich Jamali auch für neue sportliche Kontakte ein.
Die Schritte zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Indien und Pakistan sind bei Hardlinern in beiden Ländern auf Kritik gestoßen. Trotz der Friedensbemühungen werde der Kampf in Kaschmir fortgesetzt, kündigte der Führer der Rebellengruppe Lashkar-e-Tayyaba, Hafiz Saeed, am 7. Mai an. Er forderte zudem die pakistanische Regierung auf, amerikanischem Druck, eine Lösung für den Kaschmir-Konflikt zu finden, nicht nachzugeben.

Bei zwei Angriffen von Rebellen sind im indischen Unruhestaat Tripura mindestens 21 Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Das meldete AFP am 7. Mai. Beim ersten Überfall schleppten Rebellen der verbotenen Organisation Tripura-Tiger schlafende Dorfbewohner aus ihren Häusern der Ortschaft Simnachara (andere Lesart: Fimnacherra) und erschossen sie aus nächster Nähe, wie die Polizei mitteilte. Bei einem zweiten Überfall in der Nähe der regionalen Hauptstadt Agartala erschossen Mitglieder der Nationalen Befreiungsfront Tripuras (NLFT) zwei Menschen. - Die in der Region ansässigen Stämme werfen den Siedlern vor, die Bodenschätze Tripuras auszubeuten und die einheimische Bevölkerung ihrer wirtschaftlichen Vorteile zu berauben. Simnachara liegt rund 25 Kilometer nördlich von Agartala, der Hauptstadt von Tripura. Ein Polizeisprecher in Agartala machte für den Überfall eine verbotene Rebellengruppe verantwortlich.Im vergangenen Jahr hatten Rebellen in dem Bundesstaat im Nordosten Indiens mindestens 150 Menschen getötet, in den vergangenen 20 Jahren waren es mehr als 10.000. Sie operieren vom Territorium des Nachbarstaats Bangladesch aus und kämpfen für die Unabhängigkeit des Bundesstaates.

Im Nordosten Indiens haben Separatisten in der Nacht zum 8. Mai wieder ein Massaker verübt. Wie der Regierungschef des Staates Tripura, Manik Sarkar, mitteilte, wurden bei einem Überfall vermutlich von Kämpfern der so genannten Tigereinheiten von All-Tripura zehn Menschen getötet und sechs verwundet. Die Dorfbewohner seien im Schlaf überfallen worden. Es war das zweite Massaker binnen zwei Tagen. Die Gesamtzahl der Todesopfer erhöhte sich damit auf 32. Für den Überfall am Dienstagabend, bei dem mindestens 19 Einwanderer aus Bengalen getötet wurden, soll eine andere Separatistengruppe in Tripura verantwortlich gewesen sein. Drei Menschen wurden bei weiteren Übergriffen auf Einwanderer aus Bengalen getötet. Sarkar sagte, offenbar hätten sich die beiden bislang verfeindeten Separatistengruppen verbündet, um ihr Ziel zu erreichen. Ob der letzte Angriff auch Einwanderern galt, war zunächst nicht klar.

Pakistan hat während des Besuchs des amerikanischen Vizeaußenministers Richard Armitage in Islamabad am Donnerstag seine Bereitschaft zum "substanziellen" Dialog mit dem verfeindeten Nachbarn Indien bekräftigt, wie die Regierung mitteilte. Informationsminister Sheikh Rashid Ahmed nutzte zugleich den Besuch des Amerikaners, um von den USA die Unterstützung für ein Referendum in der geteilten Region Kashmir zu fordern. "Es ist an der Zeit, dass Washington die UN-Resolutionen zu Kashmir mitträgt", sagte Ahmed am 8. Mai. Diese sehen eine Volksbefragung über den Status der sowohl von Indien als auch von Pakistan beanspruchten Himalaya-Region vor. Armitage sagte nach einem Treffen mit Präsident Pervez Musharraf, gegenüber dem Vorjahr würden weniger islamische Extremisten in den indisch regierten Teil Kashmirs eindringen. Auch sei die Zahl der tödlichen Anschläge niedriger. Zuvor hatte sich Armitage mit Regierungschef Zafarullah Khan Jamali und Außenminister Khursheed Kasuri getroffen. Spekulationen zurück, nach denen die USA Druck auf Pakistan und Indien ausüben, ihren Konflikt schnell zu lösen, wies er zurück. Vielmehr sei seine Rolle, "beim Zustandekommen des Dialogs zu helfen." Am 10. Mai wird Armitage in Indien erwartet.

Indien hat einen informellen pakistanischen Vorschlag zur atomaren Abrüstung in Südasien verworfen. Nach Medienberichten vom 9. Mai erklärte Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee bei einer Debatte im Parlament über die indisch-pakistanischen Beziehungen, das pakistanische Atomprogramm sei gegen Indien gerichtet. Indiens Sicherheitserwägungen hätten dagegen einen anderen Grund in der Region - nach Ansicht von Beobachtern ein versteckter Hinweis auf China als militärische Großmacht, berichtete die "Times of India". Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf hatte kürzlich vorgeschlagen, Indien und Pakistan sollten nach einer Lösung des Kaschmir-Problems gemeinsam auf ein Atomwaffen-freies Südasien hinarbeiten. Beide Staaten hatten jüngst eine Normalisierung ihrer Beziehungen beschlossen.
Indien hat am 9. Mai zum ersten Mal eine neue Rakete für den Luftkampf getestet. Die Luft-Luft-Rakete Astra mit einer Reichweite von 40 Kilometern wurde auf dem Testgelände Chandipur im ostindischen Orissa abgefeuert, wie die indische Nachrichtenagentur PTI meldete.

Die USA haben Indien und Pakistan aufgerufen, ihren seit Jahrzehnten andauernden Konflikt endlich einer friedlichen Lösung zuzuführen. Die beiden Atomstaaten sollten Seite an Seite leben und einen Weg finden, wie die Gewalt in dem zwischen beiden Ländern geteilten Kaschmir überwunden werden könne, forderte am 10. Mai der stellvertretende US-Außenminister Richard Armitage in Neu-Delhi. Nach seinem Treffen mit dem indischen Ministerpräsidenten Atal Bihari Vajpayee äußerte sich Armitage vorsichtig optimistisch über die Aussichten einer dauerhaften Versöhnungspolitik. "Ich hoffe, dass wir einen Prozess eingeleitet haben", sagte Armitage mit Blick auf seine Gespräche in Indien und zuvor in Pakistan.

Derweil kamen bei Angriffen mutmaßlicher islamischer Extremisten sieben Menschen ums Leben. Bei einem Schusswechsel indischer und pakistanischer Soldaten am 10. Mai an der Waffenstillstandslinie wurde ein Mädchen tödlich getroffen, sechs weitere Bewohner eines indischen Dorfes wurden verletzt.

Indien hat am 11. Mai erneut eine Kurzstreckenrakete getestet. Die Luft-Luft-Rakete vom Typ Astra ist Teil einer Weiterentwicklung der konventionellen Waffensysteme Indiens. Sie wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums an der Ostküste des Landes getestet. "Es ist nur ein Entwicklungstest. Es ist nichts Spektakuläres daran", sagte ein Sprecher des indischen Verteidigungsministeriums.

12. bis 18. Mai

Indien hat einen Botschafter für Pakistan berufen und damit einen weiteren Schritt der Annäherung zwischen den beiden verfeindeten Atommächten unternommen. Shiv Shankar Menon, derzeit Botschafter in China, solle bald sein neues Amt antreten, teilte das indische Außenministerium am 13. Mai in Neu Delhi mit. Indien hatte seinen Botschafter kurz nach einem Anschlag auf das indische Parlament im Dezember 2001 abberufen. Die Spannungen zwischen beiden Staaten waren durch den Anschlag in Neu Delhi verstärkt worden, für den Indien Pakistan verantwortlich machte. Der Karrierediplomat Menon war bereits Botschafter Indiens in Sri Lanka und Israel.

Bei mehreren Anschlägen auf Shell-Tankstellen in der pakistanischen Hafenstadt Karachi ist am 15. Mai nur geringer Sachschaden entstanden. Als Täter würden Motorradfahrer vermutet, die Feuerwerkskörper mit Zeitzündern an den Tanksäulen platziert hätten, sagte der örtliche Polizeichef Kamal Shah. Auf den Straßen Karachis hatten in der Nacht Tausende den Geburtstag des moslemischen Propheten Mohammed gefeiert.

Wenige Tage nach der Entsendung eines indischen Botschafters nach Pakistan hat die Regierung in Islamabad den Schritt mit der Benennung eines Gesandten beantwortet. Nach amtlichen Angaben ernannte der pakistanische Regierungschef Zafarullah Jamali am 17. Mai den Karrierediplomaten Riaz Mohammad Khan zum offiziellen Vertreter seines Landes in Neu Delhi. Eine Annahme der Berufung durch die indische Regierung stehe noch aus.

19. - 25. Mai

Sechs Mitglieder einer indischen Schäferfamilie in Kaschmir sind in der Nacht zum 19. Mai mit Äxten niedergemetzelt worden. Die Polizei machte islamische Extremisten für den Überfall verantwortlich. Dieser habe sich um Mitternacht in einem abgelegenen Bergdorf ereignet. Die Angreifer hätten vier Frauen und zwei Kinder umgebracht. Der Schäfer werde noch vermisst, vermutlich sei er entführt worden. Der Polizei zufolge galt der Anschlag vermutlich zwei Söhnen des Schäfers, die zurzeit in der indischen Armee dienten. Ein weiterer sei Polizist. Die drei Söhne hielten sich zum Zeitpunkt des Attentats nicht im Hause auf. In Kaschmir kommt es immer wieder zu gewalttätigen Überfällen, die nach Behördenangaben zumeist auf das Konto militanter Islamisten gehen. Diese kämpfen für die Unabhängigkeit Kaschmirs oder den Anschluss des indischen Teils an Pakistan.

Bei einer Schießerei in Neu-Delhi ist in der Nacht zum 22. Mai ein mutmaßlicher pakistanischer Extremist getötet worden. Nach Angaben der indischen Polizei wollte der Mann in Indien offenbar eine Zelle der pakistanischen Islamistengruppe Lashkar-e-Tayyaba aufbauen. Er habe zu diesem Zweck schon seit längerem unter falschem Namen in Neu-Delhi gelebt. Bei dem Toten seien Waffen und Munition sichergestellt worden, sagte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur PTI.

Mehrere Rohrbomben sind am 22. Mai im indischen Unionsstaat Gujarat explodiert. Dabei wurden dem Mann, der die Sprengsätze in einer Tasche mit sich führte, Gliedmaßen abgerissen, wie die Polizei mitteilte. Der Bewusstlose sei umgehend in eine Klinik eingeliefert worden. Weitere Verletzte habe es nicht gegeben. Über die Identität des Mannes sowie ein mögliches Motiv lagen zunächst keine Angaben vor. In Gujarat ist es in der letzten Zeit immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen gekommen, bei denen im vergangenen Jahr mehr als 1.000 Menschen ums Leben kamen (vgl. unsere Chronik vom Februar und März 2002).. Dabei wurden häufig auch selbst gebastelte Rohbomben eingesetzt.

Indiens Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee sieht derzeit keinen Anlass für ein Gipfeltreffen mit dem Pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf. Vajpayee sagte in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Ausgabe vom 23. Mai), Pakistan habe nichts unternommen, um den grenzüberschreitenden Terrorismus vollständig zu stoppen. Zur Einladung Pakistans für einen Besuch sagte Vajpayee, zunächst müsse der Boden für ein sinnvolles Engagement auf höchster Ebene bereitet werden. "Wir müssen entschlossene und glaubwürdige Maßnahmen Pakistans sehen, die grenzüberschreitende Infiltration zu beenden", sagte Vajpayee weiter.

26. - 31. Mai

Afghanistan hat am 27. Mai 66 pakistanische Taliban- und Al-Qaeda-Unterstützer frei gelassen. Nach einem Sprecher entlässt der afghanische Präsident Hamid Karsai die Gefangenen als eine Geste des guten Willens, um die Beziehungen zum Nachbarland Pakistan zu normalisieren.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der indische Premierminister Atal Behari Vajpayee haben in Berlin ihre gemeinsamen Positionen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bekräftigt. "Die Unterbindung von Terrorismus ist eine Pflicht zivilisierter Regierungen", sagte Schröder am 28. Mai auch mit Blick auf den geplanten Besuch des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf in Berlin. Zuvor hatte Schröder im Bundeskanzleramt mit Vajpayee über die bilateralen Beziehungen gesprochen. Vajpayees Maßnahmen "in Richtung einer friedlichen Lösung" des Konflikts um die zwischen Indien und Pakistan umstrittene Kaschmirregion werde er "jederzeit gegenüber jedem" würdigen, sagte Schröder und forderte Pakistan auf, die indische Initiative zu erwidern.

Indien hat erneut eine Boden-Luft-Rakete vom Typ Akash erfolgreich getestet. Die Mittelstreckenrakete mit einer Reichweite von 25 Kilometern wurde am 29. Mai im Osten des Landes gezündet, wie die indische Nachrichtenagentur PTI meldete. Dem Bericht zufolge wurde die Akash inzwischen so oft versuchsweise gestartet, dass sie schon bald als einsatzfähig betrachtet werden könne. Das 650 Kilogramm schwere Geschoss kann eine Nutzlast von 50 Kilogramm transportieren.


Zurück zur Chronik-Übersicht

Zurück zur Indien-Seite

Zurück zur Homepage